Einmal im Jahr, in der Regel im Frühjahr, führt die Historische Kommission für Mecklenburg eine wissenschaftliche Tagung durch. Diese orientieren sich thematisch zumeist an Jubiläen. 2005 war es die 250. Wiederkehr des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleiches von 1755. [1] Drei Jahre später fand am 28. und 29. März 2008 in Schwerin eine Tagung unter dem Titel "Im Bund mit Bonaparte - Mecklenburg in der Franzosenzeit" aus Anlass der zweihundertsten Wiederkehr des Beitritts der beiden mecklenburgischen Herzogtümer zum Rheinbund im Februar bzw. März 1808 statt. Der vorliegende Band stellt die Druckfassung der dort gehaltenen Vorträge und zweier weiterer Beiträge dar. Wiederum ist die kurze Zeitspanne zwischen Tagung und Drucklegung, ca. 1 ¼ Jahr, bemerkenswert, jedenfalls für deutsche Verhältnisse.
In ihrem Vorwort gehen die beiden Herausgeber der Frage nach, was denn eigentlich unter der Franzosenzeit, speziell in Mecklenburg, zu verstehen sei und wie lange bzw. von wann bis wann sie gedauert habe. Nach der Durchsicht der einschlägigen Literatur, nicht nur zu Mecklenburg und nicht nur der geschichtswissenschaftlichen Arbeiten, können sie feststellen, dass der Begriff v.a. nach der gleichnamigen plattdeutschen Erzählung "Ut de Franzosentid" von Fritz Reuter von 1859 eine gewisse Konjunktur erlebte, wollen sich aber nicht darauf festlegen, ob sie unmittelbar dafür verantwortlich war. Seit 1945 verringerte sich der Gebrauch um ab 1990 eine erneute Konjunktur zu erleben. Während für andere Teile Deutschlands mit Franzosenzeit unterschiedliche Zeitspannen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende der Befreiungskriege bezeichnet werden, scheint sich für Mecklenburg damit die Bezeichnung der Jahre 1806 bis 1815 eingebürgert zu haben, wobei der Zeitraum vom Herbst 1810 bis zum Frühjahr 1813 "als die eigentliche Franzosenzeit" bezeichnet wird (8).
Den Tagungsbeiträgen im engeren Sinne vorangestellt ist eine Laudatio auf Dr. Peter-Joachim Rakow zu dessen 75. Geburtstag von Georg Moll, die aber als Vortrag ebenfalls auf der Tagung im März 2008 gehalten worden ist. Wie bereits bei dem Band zum Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755 ist auch beim vorliegenden eine thematisch breite Streuung mit dem Ziel einer möglichst umfassenden Darstellung des Phänomens "Mecklenburg in Franzosenzeit" zu konstatieren. Zu Beginn finden sich vier Beiträge, die sich mit den politischen bzw. ereignisgeschichtlichen Dimensionen befassen. Matthias Asche behandelt die politischen Verhältnisse, insbesondere die außenpolitischen Beziehungen der beiden mecklenburgischen Herzogtümer am Ende des Alten Reiches. Im Zentrum seiner Betrachtungen stehen insbesondere die völlig gegensätzlichen Verhältnisse zum "großen" Nachbarn im Süden, dem Königreich Preußen. Grob gesagt war Mecklenburg-Schwerin eher prokaiserlich und damit eher antipreußisch, Mecklenburg-Strelitz dagegen propreußisch. Letzteres äußerte sich u.a. auch in den dynastischen Beziehungen, Stichwort Königin Luise, eine gebürtige Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Wolfgang Grunert schließt zeitlich daran an und betrachtet die Rolle der beiden Mecklenburg im Europa Napoleons. Er sieht die napoleonische Zeit als Transformationsprozess in der europäischen Staatenwelt und fragt deshalb v.a. nach der Stellung der beiden Herzogtümer in und zu diesem Prozess, an dessen Ende im vorwiegend deutschsprachigen Raum in der Mitte Europas der Deutsche Bund an die Stelle des Alten Reiches trat. Helmut Stubbe da Luz untersucht die Beziehungen Mecklenburgs zu Frankreich, insbesondere zum direkt dem Kaiserreich zugehörigen und benachbarten Elbedepartement - nicht zu verwechseln mit dem Elbedepartement des Königreichs Westphalen, das die Altmark und den größten Teil des Herzogtums Magdeburg umfasste. Im Zentrum seiner Ausführungen steht die Einbindung der beiden Herzogtümer in die französische Okkupationsverwaltung. Breiten Raum nehmen dabei Vorbereitung und Nachwirkungen des Russlandfeldzugs von 1812/13 ein. Wolf Karge geht schließlich der Frage nach den Auswirkungen der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt für Mecklenburg nach. Der Rückzug von Teilen des preußischen Heeres durch Mecklenburg-Schwerin brachte die erste französische Besetzung und die Einrichtung eines Gouvernements für Mecklenburg-Schwerin im November 1806 mit sich. Bei der thematischen Nähe dieser Beiträge kann es nicht ausbleiben, dass es zu partiellen Überschneidungen kommt, aber der Schwerpunkt der Betrachtungen und der methodische Zugriff sind jeweils ein anderer.
Die nächsten drei Beiträge könnte man mit Umgang und Reflexion der Betroffenen umschreiben. Antje Koolmann bietet eine kommentierte Edition des Tagebuchs Prinz Georgs von Mecklenburg-Strelitz, das er während seines Aufenthalts in Paris vom Oktober 1807 bis zum Mai 1808 führte. Die unsichere Zukunft der beiden Herzogtümer führte ihn ebenso wie Erbprinz Friedrich Ludwig von Mecklenburg-Schwerin in die französische Hauptstadt. Er sollte dort zusammen mit dem Legationsrat Hans Graf von Schlitz die Interessen von Mecklenburg-Strelitz vertreten. In seinen Aufzeichnungen berichtet er über den alltäglichen Ablauf einer solchen Mission, die aus zahllosen Empfängen und Besuchen zu bestehen schien. Ernst Münch behandelt den Umgang der Repräsentanten der Stadt und Universität Rostock mit zwei hohen französischen Beamten. Es handelt sich zum einen um die Ehrenpromotion des französischen Intendanten für Mecklenburg, Joseph François Dominique Bremont, vom 24. März 1807, und zum anderen um die Audienz für den französischen Vizekonsul in Rostock, Heinrich Christoph Martienssen, am 14. Februar 1807. Beide Fälle sind schöne Beispiele für den durch die äußeren Verhältnisse bestimmten Umgang mit Repräsentanten der Okkupationsmacht. Gut dokumentiert ist die Diskussion der Rostocker Professorenschaft über die Auswahl der verbalen Attribute, mit denen man den Intendanten Bremond in der Promotionsurkunde zusätzlich ehren wollte. Kaum hatte sich die politische Lage im Sommer 1807 wieder etwas geändert, wurde der gerade Geehrte vom zurückgekehrten Herzog und seinem Hof mehr oder weniger kalt gestellt. Eine Ehrenbezeugung bei einem nochmaligen Besuch in Rostock im März 1808 lehnte der Rat der Stadt rundweg ab. Martienssen hatte es von Anfang an schwerer. Er wurde vom Rostocker Rat als Emporkömmling und Günstling der Franzosen angesehen. Um die erwähnte Audienz musste er deshalb auch geradezu betteln, bevor sie ihm gewährt wurde. Sein Verhältnis zum Rat blieb aber auch weiterhin gespannt und schließlich endete Martienssen am 2. April 1808 im Freitod. Anke John untersucht die Wahrnehmung der napoleonischen Ära in zeitgenössischen Predigten. Auch sie kann einen von den äußeren bzw. politischen Verhältnissen bestimmten Wandel feststellen, was sich z.B. in der unterschiedlichen Bewertung der Rheinbundzeit vor und nach 1813 in den Predigten belegen lässt.
Mit Sabine Bocks Ausführungen zur Nutzung der Kirchen während der französischen Besetzung und den daraus erwachsenden Folgen, die zu den Anfängen der Denkmalpflege in Mecklenburg gerechnet werden können, beginnt eine Reihe von Beiträgen, die lose oder im weiteren Sinne mit dem Thema Mecklenburg in der Franzosenzeit verknüpft sind. Christian Bunners geht dem Verhältnis von Geschichte und Geschichten in dem bereits genannten Buch von Fritz Reuter "Ut de Franzosentid" nach. Gero Seelig behandelt das Schicksal der Schweriner Gemäldesammlung in den Jahren 1807 bis 1815, als große Teile nach Paris gingen und später wieder zurückgeholt wurden. Michael Busch widmet sich in einem zeitlich länger angelegten Beitrag der jüdischen Emanzipation in Mecklenburg und der ständischen Reaktion darauf in den Jahren 1755 bis 1817, d.h. der Zeit vom Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich bis zur Aufhebung des unter französischem Druck erlassenen Emanzipationsediktes von 1813. Busch konstatiert einerseits ein deutliches Emanzipationsbestreben ab 1802, andererseits eine grundlegende Ablehnung durch die Landstände, die schließlich 1817 auch die Aufhebung des Edikts von 1813 erzwangen. Mit einem Detail der landständischen Politik in der Franzosenzeit, den Forderungen der Gutspächter an den Landeskonvent von 1811, beschäftigt sich Gerhard Heitz und Matthias Mahnke stellt schließlich Überlegungen zur Popularität eines Landesherrn auf der Grundlage von überlieferten Geburtstagsgedichten für Großherzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin aus dem Zeitraum 1820 bis 1836 an, denen die untersuchten Gedichte als edierter Anhang beigefügt sind.
Wiederum kann gesagt werden, dass sich die Organisatoren der Tagung und die Herausgeber des Tagungsbandes um eine möglichst breite und fachlich fundierte Behandlung des Themas "Mecklenburg in der Franzosenzeit" bemüht haben. Das Ergebnis ist ein wichtiger Baustein für die mecklenburgische Landesgeschichte und sollte auch bei der weiteren Erforschung der Geschichte nicht nur der benachbarten Länder und Regionen zum Vergleich mit herangezogen werden. Man darf auf die weiteren Bände der Reihe gespannt sein.
Anmerkung:
[1] Dirk Schleinert: Rezension von: Matthias Manke / Ernst Münch (Hgg.): Verfassung und Lebenswirklichkeit. Der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich von 1755 in seiner Zeit, Rostock: Schmidt-Römhild 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/07/12030.html.
Matthias Manke / Ernst Münch (Hgg.): Unter Napoleons Adler. Mecklenburg in der Franzosenzeit (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg. Reihe B Neue Folge: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte; Bd. 2), Rostock: Schmidt-Römhild 2009, 461 S., ISBN 978-3-7950-3747-5, EUR 35,00
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