sehepunkte 11 (2011), Nr. 11

James H. Richardson / Federico Santangelo (eds.): Priests and State in the Roman World

Das Buch ist das gelungene Beispiel für eine Mischung aus Spezialaufsätzen und handbuchähnlichen Übersichtsdarstellungen. Neben Referenten einer Konferenz in Lampeter 2008 haben die beiden Herausgeber J.H. Richardson und F. Santangelo weitere Autoren zu Beiträgen aufgefordert, um das Thema abzurunden. Die Annahme der Herausgeber, dass die römische Religion und ihre Institutionen anders als oft behauptet nicht grundkonservativ sei und sich kaum verändert habe, wird von den Ergebnissen einer Vielzahl der Beiträge gestützt.

Ziel des vorliegenden Buches ist, mit einer Vielzahl von Herangehensweisen das Verhältnis von römischem Staat (zur Problematik des Begriffs, 18) und Priestern, Kollegien, einzelnen Priesterämtern als auch das Verhältnis von römischen organisierten Städten bzw. Regionen und Provinzen mit ihren jeweiligen Priestern zu untersuchen (17). Diese Zweiteilung beruht auf der 'Arbeitshypothese' (20), dass zum Verständnis der stadtrömischen Priestertümer, der Blick über Italien hinaus notwendig sei. Dies ist einer der wenigen Punkte, an denen ich den Herausgebern widerspreche, denn diese Herangehensweise bringt außer bei der Frage nach der Originalität und Herkunft einiger Priestertümer und Rituale, bei der der Blick in die italischen Städte notwendig ist, kaum Ertrag. Entsprechend gibt es auch in den Beiträgen des ersten Teils über die Priester in Rom keine Querverweise auf Ergebnisse des zweiten Teils über die städtischen Priester auf lokaler Ebene.

Die folgende Besprechung wird aus Platzgründen nur einen Teil der Beiträge vorstellen.

Im ersten Teil, in dem die 'Staats'priester im Zentrum stehen, wird unter anderem nach dem Zusammenwirken und Handeln der Priester und Magistrate gefragt, werden (bis auf die Aufsätze von A. Della Rosa, D. Hunt und D. Noy) das Personal und die konkreten Aufgaben der einzelnen Priesterkollegien beleuchtet, der Umgang und die soziale Funktion besonderen sakralen Wissens thematisiert.

Einem schon oft diskutierten Problem stellt sich J. North, Lex Domitia Revisited (39-61). Er schildert präzise und mit Verweisen auf die Forschungsliteratur die Diskussion um die Lex Domitia aus dem Jahr 104/03 v. Chr.: Das Ziel des Gesetzes war offenbar statt der bisherigen Kooptation in (drei) Kollegien, die Auswahl zumindest einiger der Priester unter Beteiligung des Volkes (minor pars populi) zu lenken. Die Nominatio als Voraussetzung für die dann folgende Wahl steht ebenfalls außer Frage, auch die Dauer dieser Regelung. Fraglich ist dagegen, ob alle Details, die nach 63 v. Chr. Gültigkeit hatten, auch schon für die lex Domitia galten. Am Ende seines Beitrags bietet North noch einige Ergänzungsvorschläge für die Priesterlisten, ILS 9338.

Im Beitrag zum Kollegium der Auguren (Inauguration and Foundation. An Essay on Roman Ritual Classification and Continuity, 63-90) unternimmt es C. Kvium über das hinauszugehen, was vor allem durch J. Linderski in seinem 1986 erschienenen ANRW-Artikel zum 'Augural Law' entwickelt wurde. Dabei konzentriert Kvium sich auf das Gründungsritual der Stadt Rom und damit auf die überlieferten Inaugurations-Riten sowie die Diskussion dessen, was das Pomerium ist. Hierzu gehören das etruskische Ritual der Stadtgründung, die unterschiedlichen Rechts- und Stadtqualitäten der Kolonien, die vor und nach 218 v. Chr. begründet wurden, aber auch die Unterschiede zwischen res sacra und res sanctae.

Wer bei dem Beitrag von J.H. Richardson, The Vestal Virgins and the Use of the Annales Maximi (91-106) meint, es ginge in erster Linie um die Vestalinen, hat sich getäuscht. Der Autor zeigt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Historiographen der späteren Republik und der Kaiserzeit auf die Annales Maximi der Pontifices Bezug nahmen. Zunächst untersucht Richardson die antike Überlieferung und den modernen Umgang mit der 'Beerdigung', 'Lebendbestattung' der Vestalischen Nicht-Jungfrauen. Ein Ritual soll dazu dienen, ein religiöses Unrecht oder ein Sakrileg ungeschehen oder wieder 'recht' zu machen. Hier hilft aber das 'entombing' nicht, bleibt doch die Vestalin auch nachher entjungfert. Eine Wiedergutmachung kann es also nicht geben. Er kommt zu dem Schluss, dass das Ritual mit der ganzen Inszenierung vom Wegsehen der Priester bis zum Wegschließen der Vestalin bezweckt, dass diejenige, die davon betroffen ist, im wahrsten Wortsinn aus der Welt verschwinden soll. Es geht also nicht um Entsühnung, um Strafe. Wenn man Richardson hierin folgt, dann ist auch sein zweiter Schritt folgerichtig, dass es daher auch keinen Bericht über diese Ereignisse in den Annales Maximi gegeben haben kann. Jede Dokumentation dieser Ereignisse würde Person wie Sakrileg wieder in die Welt zurückbringen. Richardson versteht daher seine Ergebnisse zum Inhalt der Annales maximi und ihrer Rezeption als komplementär zu denen von E. Rawson in CQ 1971.

F. Glinister widmet sich den weiblichen Saliern ('Bring on the Dancing Girls': Some Thoughts on the Salian Priesthoods, 107-136). Dabei wendet sie sich vor allem gegen die Theorie, dass es sich bei diesen Mädchen um Personen niederen Status handele, vielleicht gemietete Tänzerinnen, eine Theorie, die vor allem auf conducticia bei Festus 439,18L beruht. Gegen die bisherige dominierende Interpretation versteht Glinister das Wort als terminus technicus zur Ernennung der weiblichen Salierpriester, die in diese Gruppe wahrscheinlich schon im Kindesalter eingeschrieben worden seien.

Der klar strukturierte und alle Facetten der Aufgaben der Fetiales beleuchtende Text von J. Rich, The Fetiales and Roman International Relations (187-242) handelt die einzelnen den Fetialen oft zugeschriebenen Funktionen und ihrer möglichen Entwicklung im Verlauf der Republik (und der weniger belegten Kaiserzeit) ab. Es ist nicht nur eine Zusammenfassung seines Buches zur Kriegserklärung in der römischen Republik (1976), sondern er bietet neue Aspekte durch den Fokus auf das Sakralrecht (zum Begriffsproblem, 191) und die Einarbeitung der neuen Literatur und Fragestellungen. Dabei arbeitet er heraus, dass einige antike Darstellungen idealisierten Konzepten folgen. Keineswegs kann man die Fetiales als 'Wächter' des rechten Handelns der Senatoren und des Senats bezeichnen, denn sie handeln im Auftrag. Unterschiede in der Darstellung, möglicherweise der Aufgaben, aber auch der Glaubwürdigkeit der Überlieferung gibt es für die Rituale im Kontext der Kriegsvorbereitungen und Kriegserklärungen in der frühen Republik und der Zeit der außeritalischen Expansion; für Rituale im Kontext internationaler bzw. bilateraler Verträge; für Rituale wegen Restitutionsansprüchen; für die Rituale, die sich auf die Herausgabe der Täter bzw. auf Wiedergutmachung bei Übergriffen auf römische Gesandte und andere Römer beziehen.

Ebenso wenig wie beim Beitrag von D. Hunt zu den Bischöfen (291-311) ist nachvollziehbar, wieso der ausgezeichnete Beitrag von D. Noy, Jewish Priests and Synagogue Officials in the Graeco-Roman Diaspora in Late Antiquity (313-332) in diesem Band und außerdem noch im ersten Teil der stadtrömischen Priesterkollegien einen Platz findet.

Der Schwerpunkt des zweiten Teiles liegt auf den Priesterämtern und Priestern der Städte und Provinzen. Den Auftakt macht ein Überblicksbeitrag von A. Raggi, 'Religion' in Municipal Laws? (333-346), der knapp die schon oft nachgezeichneten Regelungen in den Stadtgesetzen darstellt.

Mit dem Beitrag von E. Isayev, Just the Right Amount of Priestly Foreignness: Roman Citizenship for the Greek Priestess of Ceres (373-390) kommen dann allerdings die stadtrömischen Priester wieder in den Blick. Auch wenn die Rekrutierung der Priesterinnen außerhalb Roms erfolgte, so sind sie doch in den stadtrömischen und nicht in den städtischen Kult einer italischen Stadt eingebunden. Isayev stellt das Konzept der Fremdheit im Bereich von Bürgerschaft und Religion in den Mittelpunkt. Der Text bietet einen kurzen Überblick über den Cereskult in Rom und untersucht die Einzigartigkeit wie Vergleichbarkeit der Priesterin mit anderen Priestern und Priesterinnen.

Dagegen geht R. Häussler in der Tat in die Provinz: Beyond 'polis Religion' and sacerdotes publici in Southern Gaul (391-428). Er wendet den Blick weg von den Aufgaben und der Präsenz städtischer Priester hin zur Wahrnehmung und Wahlfreiheit der Individuen und Gruppen in religiösen Angelegenheiten. Für seinen Ansatz verwirft er daher auch das Konzept der 'polis'-Religion als heuristisch nicht tragfähig. In Fallstudien zu Glanum, Nîmes, Aix-en-Provence und Apt mit den jeweils umliegenden Dörfern sowie den Landheiligtümern geht er ein auf die Vielfalt der lokalen Panthea, die Rolle der 'Religiösität', die Möglichkeiten religiöser Organisation, und die unterschiedliche Art der Partizipation der lokalen Eliten an diesen Organisationsformen. Der Aufsatz bietet darüber hinaus noch viele Hinweise auf neuere Grabungen, Funde und Ergebnisse.

Der Beitrag von B. Goffaux, Priests, Conventus and Provincial Organisation in Hispania Citerior (445-469) untersucht den Titel, den sozialen Status, die Prosopographie und Chronologie der für die Konventsbezirke von Bracara Augusta, Carthago Nova tätigen Priester bzw. die städtischen Priester, die von den Konventsversammlungen geehrt wurden. Städtische Kulte bzw. Priester (flamines) am Konventsort werden ebenfalls identifiziert und deren Relevanz für die Rolle des Kaiserkults am Konventsort festgestellt. Ein Ausblick auf die Funktion der Aufgaben der Kaiserkultpriester auf städtischer, auf Konvents- wie auf Provinzebene bildet zusammen mit einer Appendix von 17 Inschriften zu Konventspriestern den Schluss.

Status and Gender in the Priesthood of Ceres in Roman North Africa untersucht V. Gaspar (471-500). Diesem Thema haben sich seit dem wegweisenden Aufsatz von J. Gascou in AntAfr 1987 immer wieder Kenner der nordafrikanischen Städte gewidmet. Das Ergebnis der Untersuchung ist daher auch nicht überraschend: Cereskulte gibt es in einer Vielzahl von Erscheinungsformen, auf einer eher unspektakulär, lokal (privat) organisierten Ebene wie auch auf der Ebene eines für die Stadt zentralen Kults. Priesterinnen, über deren Status den Aussagen der Inschriften folgend dann naturgemäß kaum etwas gesagt werden kann, stehen neben männlichen Priestertümern, deren Inhaber zumindest in Karthago in die städtische Ämterlaufbahn eingebunden sein konnten.

J.M. Reynolds, bietet mit ihrer Analyse What did Ancient Priests Do? Some Evindence from Roman Cyrenaica (501-505) zwar den kürzesten Beitrag dieses Bandes, aber einen, den man nicht missen möchte. Sie umreißt dabei aktuelle Diskussionen um die Rolle, Funktion und strukturellen Rahmenbedingung der Priester in griechischen Städten wie bspw. dem Begriff demoteles im Hinblick auf den 'staatlichen' Rahmen eines Kultes und Priesteramtes, die Eponymität von Priestern, die Hierarchie von Kultpersonal.

Priests in Augustan Egypt (507-528) werden von Livia Capponi untersucht. Neben dem (überarbeiteten) Exemplar des Gnomon des Idios Logos aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts, das auf einen Text aus augusteischer Zeit zurückgeht, sind es Papyri aus Tebtunis und Soknopaiou Nesos, die die Veränderungen in augusteischer Zeit belegen, welche unter anderem Eingriffe in priesterliche Privilegien (Steuerfreiheit, Einnahmequellen, u.a.) bedeuteten. Ein zweites Thema Capponis ist die Entwicklung des Herrscherkults.

Trotz B. Burrells Monographie 'Neokoroi' aus dem Jahr 2004 und wohl eher wegen der immer noch attraktiven These L. Roberts zur Städterivalität in Kleinasien widmet sich S. Dimitriev den Neokoriai of Ephesus and City Rivalry in Roman Asia Minor (529-552). Die Städte mit Kaiserkult(tempeln) für die Provinz wurden mit dem Neokorie-Titel ausgezeichnet. Die Geschichte des ephesischen Provinz-Kaiserkults, der provinzialen Kaiserkulttempel und der durchaus komplexen und erfindungsreichen Erklärung für die ephesischen Neokorie-Münzprägungen werden vom Autor dargestellt, die Priester spielen bei dieser Fragestellung allerdings keine Rolle.

S. Lambert hat mit seinem Vor- und Nachwort versehen ein Manuskript der 1997 verstorbenen S.B. Aleshire mit neuem Titel publiziert: The Attic Gene and the Athenian Religious Reform of 21 BC (553-575). Ihre These lautet, dass durch die von ihr konstatierte Veränderung bei Priestern von Jahres- zu Lebenszeit, von Losauswahl zu Wahl, und durch die stärkere Einbindung der Gene in Athen, ein Rekurs auf die vermeintlich klassischen oder auch vorklassischen, insgesamt altehrwürdigen Strukturen der Kulte angestrebt worden seien, die sich in den auch in anderen Bereichen zu beobachtenden Klassizismus und eine 'Archaisierung' im augusteischen Athen einpassen.

B. Rossignol widmet sich einem Thema, dass bisher nur von wenigen und dann eher summarisch oder statistisch bearbeitet wurde, den Municipal and Provincial Priests from the Danubian Provinces (Pannonia, Dacia, Moesia Superior) (577-603). Da für alle diese Provinzen zusammen die Zahl der bekannten Inschriften von/für Priester sich nur auf 143 beläuft, arbeitet er nach vergleichenden einführenden Abschnitten dann vor allem mit wenigen Fallbeispielen.

Ein Quellenindex und ein gut nutzbare Generalindex (605-643) runden den insgesamt gelungenen Band ab.

Rezension über:

James H. Richardson / Federico Santangelo (eds.): Priests and State in the Roman World (= Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge; Bd. 33), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, 643 S., ISBN 978-3-515-09817-5, EUR 88,00

Rezension von:
Marietta Horster
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Marietta Horster: Rezension von: James H. Richardson / Federico Santangelo (eds.): Priests and State in the Roman World, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/11/19976.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.