Als Dwight D. Eisenhower 1961 ging und John F. Kennedy kam, mag insbesondere intellektuelle Amerikaner eine ähnliche Erleichterung ergriffen haben wie liberale Westdeutsche, als der greise Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963 endlich sein Amt aufgab. Dass Adenauer sich mit dem vergleichsweise blutjungen Kennedy nicht im Entferntesten so gut verstand wie mit dessen Vorgänger und seinem derselben Generation angehörenden Außenminister John Foster Dulles, stand für einen Generationswechsel hier wie dort. Angesichts der Stellung, die ihnen die amerikanische Verfassung als Staats- und Regierungschef zuweist, wächst vielen amerikanischen Präsidenten historische Bedeutung zu, zumal, wenn sie über zwei Wahlperioden amtieren. Folgerichtig debattieren amerikanische Historiker intensiv über die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rolle ihrer Präsidenten.
Der Autor skizziert einleitend den Wandel des Urteils über den 34. Präsidenten. Den Intellektuellen der 1950er und 1960er Jahre galt Eisenhower als eher schlicht denkender Kriegsheld, ein wenig inspirierter Fiskalist und Kalter Krieger, der sein Amt mehr oder weniger einfallslos verwaltete. In den 1970er Jahren fiel das Urteil positiver aus: ein fähiger Politiker, der aus dem Hintergrund gestaltete, um seinen Mythos als Kriegsheld zu wahren. Heute hat sich das Bild eines in seinen Grundüberzeugungen an den religiösen Werten und traditionellen Tugenden ausgerichteten, gleichwohl hochintelligenten - wenn auch nicht intellektuell brillanten - modernen Staatsmannes durchgesetzt. Der Autor stellt Eisenhowers aktive und innovative Rolle als Begründer der militärischen und zivilen Atompolitik der Vereinigten Staaten ins Zentrum seines Essays. Freilich lassen gerade seine bisweilen euphorischen Erwartungen an die Segnungen der Atomenergie Eisenhower heute als "Dinosaurier" erscheinen; zu seiner Zeit galt er damit als modern. Dagegen mag man in dem von Zeitgenossen kritisierten Streben nach einem ausgeglichenen Haushalt heute eine vorbildliche Haltung erkennen.
Eisenhowers Vorgänger hatte mit seiner zunächst wirtschaftsdiplomatischen, dann aber zunehmend militärisch ausgelegten "Containment"-Politik gegen die Sowjetunion sowie mit dem Krieg in Korea nicht nur erhebliche Staatsdefizite angehäuft, sondern auch eine bedeutende Rüstungsindustrie am Leben erhalten. Eisenhower erkannte darin bereits vor seiner Wahl ins Präsidentenamt eine Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft. Wenn eine stetig wachsende Rüstungsindustrie nicht nur hohe Steuern, sondern auch Lohn- und Preiskontrollen sowie die staatliche Wirtschaftslenkung erforderten, erodierten in seinen Augen mit der Marktwirtschaft und dem freien Unternehmertum auch die Quellen der wirtschaftlichen Stärke des Landes und die persönliche Freiheit seiner Bürger. Der Kalte Krieg durfte in Eisenhowers Augen nicht so geführt werden, dass das Bemühen um immer mehr und bessere Waffen genau das in Frage stellte, was man verteidigen wollte. Eisenhower hatte sich die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Stärke der Vereinigten Staaten als deren wichtigste Ressource auf die Fahnen geschrieben. Soziale Stabilität und wirtschaftliche Prosperität galten ihm als ebenso bedeutende integrale Bestandteile der nationalen Sicherheit wie militärische Stärke.
Im Bestreben, statt militärischer Überlegenheit in allen Bereichen eine hinreichende und angemessen finanzierbare Abschreckung ins Werk zu setzen, sah Eisenhower in Kernwaffen die preiswerte Alternative zu konventionell bewaffneten und mannschaftsstarken Großverbänden. Folgerichtig trieb er den Ausbau sowohl der taktischen als auch der strategischen Atomwaffen voran. Eisenhower dachte auch an den Einsatz taktischer Atomwaffen, um den Koreakrieg zu beenden. Schon früh kritisierten sogar Militärs die nur vermeintlich billigere Alternative, zumal sie rasch in den totalen Atomkrieg münden könne. Eisenhower war überzeugt, dass es vor dem Hintergrund der absoluten Vernichtungskraft der Wasserstoffbomben kaum zu einem globalen militärischen Zusammenstoß kommen werde. Vielmehr rechnete er mit einer sehr langen Auseinandersetzung, die voraussichtlich ohne militärische Konflikte auf dem Feld der Ideologie, Wirtschaft und Politik geführt werden würde. Mindestens ebenso wichtig wie die militärische war die zivile Nutzung der Atomkraft: Auch Eisenhower träumte den Traum unbegrenzt verfügbarer, weil billiger Energie. Unter staatlicher Kontrolle sollte die private Atomindustrie sie zum Wachstumsmotor nicht nur für die Industriestaaten, sondern auch für die Entwicklungsländer machen. Um die zivile wie die militärische Nutzung der Kernkraft zu fördern, initiierte Eisenhower eine Bildungs- und Forschungsinitiative - wieder ein sehr moderner Zug. Angesichts der wachsenden Angst der Amerikaner vor einem Atomkrieg und besorgt über die sich ausbreitende Furcht, machte der Präsident früh Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung zwischen den Supermächten und zur globalen Nutzung der Kernenergie; auch stellte er erste Überlegungen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen an. Nebenbei bemerkt, ist es verblüffend, dass Nikita Chruschtschow von einer gegensätzlichen ideologischen Position aus zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen kam wie sein Gegenspieler in Washington. Namentlich verband beide eine tiefe Skepsis gegen den militärisch-industriellen Komplex und gegen die Verschwendung von Ressourcen für Rüstungszwecke. Beide hofften, mit Atomwaffen diese Verschwendung einschränken zu können.
Insgesamt stellt der Autor den Präsidenten als Begründer der amerikanischen Nuklearstrategie mit ihren Komponenten Rüstungsbegrenzung und Nichtverbreitung vor, dem am Ende jedoch weder der Ausgleich des Haushalts gelang noch ein echter Erfolg in der Rüstungsbegrenzung. Sein Nachfolger, das sei noch ergänzt, verabschiedete sich sofort aus der gültigen Strategie der massiven nuklearen Vergeltung. Allerdings blieben die Modernisierung des taktischen und strategischen Atomarsenals, Rüstungsbegrenzung im Benehmen mit der Sowjetunion und die Nichtverbreitung Kernkomponenten der amerikanischen Nuklearstrategie bis ans Ende des Kalten Krieges. Unter einem eher reißerischen als zutreffenden Titel hat der Autor einen kompakten Essay geschrieben. Er bietet dem einschlägig Bewanderten kaum Neues. Aber dem Einsteiger vermittelt er eine kompakte Grundlage.
Brian Madison Jones: Abolishing the Taboo. Dwight D. Eisenhower and American Nuclear Doctrine 1945-1961 (= Helion Studies in Military History; Nr. 7), Solihull: Helion & Company 2011, 172 S., ISBN 978-1-907677-31-1, GBP 25,00
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