Es ist die vita Marci Antonini philosophi in der so genannten Historia Augusta, die für Geoff W. Adams im Mittelpunkt des Interesses steht. Um diese in vielerlei Hinsicht problematische Biographie besser verstehen zu können, wird sie in dem hier zu besprechenden Buch vor dem Hintergrund zweier ihrer Kontexte besprochen, zum einen des literarischen Werkes, von dem sie einen Teil bildet (17-53), zum anderen des Bildes, das man sich in der Spätantike allgemein von Marc Aurel gemacht hat (213-240). Das Herzstück der Arbeit aber bildet ein Kommentar der vita selbst (55-184), ergänzt durch einen Überblick über die Bewertung Marc Aurels in anderen Biographien der Historia Augusta (185-212). Im Anhang wird die vita zudem zweisprachig abgedruckt (255-314), wobei der lateinische Text sich an Hohls Teubneriana orientiert, den Adams unter Rekurs auf die Loeb-Ausgabe von David Magie an einigen Stellen modifiziert hat, allerdings ohne diese Eingriffe im Einzelnen zu kennzeichnen. [1]
Das erste Kapitel ("The vita Marci Antonini philosophi and the Historia Augusta") gibt zunächst kurze Übersichten zur biographischen Tradition der Antike und zu den von der Historia Augusta verwendeten Quellen, um bereits nach rund zehn Seiten zu Marc Aurel überzugehen und sich vor allem mit dem Aufbau der vita zu beschäftigen. Etwas kurz kommen dabei literarische Aspekte, die nur unter der Fragestellung behandelt werden, was bei der Verwendung der Historia Augusta als historischer Quelle zu berücksichtigen ist (20-22).
Das zweite und dritte Kapitel enthalten einen detaillierten Lemma-Kommentar, der die vita Marci vorwiegend in historischen Kategorien interpretiert und mit der Parallelüberlieferung vergleicht. Dies ist ein sehr willkommener Beitrag zur Kommentierung der Historia Augusta, die für weite Teile der Sammlung nach wie vor ein Desiderat darstellt. Dabei sind allerdings zwei Prämissen in Rechnung zu stellen, die Adams seinen Ausführungen zugrundegelegt hat und auf die gleich noch ausführlicher einzugehen sein wird: Zum einen ist er bemüht, kritische Aussagen der vita über Marc Aurel nach Möglichkeit abzuschwächen, zum anderen hält er die Kapitel 15-19 für eine Interpolation, die er daher in seiner Interpretation zunächst gänzlich ausblendet und erst in einem separatem Kapitel im Anschluss bespricht.
Das vierte Kapitel ("Marcus Aurelius' General Representation in the Historia Augusta") beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung der positiven Darstellung Marc Aurels in seiner eigenen vita, um dann die Übereinstimmung dieses Bildes mit den Rekursen auf ihn in späteren Biographien der Historia Augusta plausibel zu machen. Dem gleichen Ansatz folgt auch das fünfte Kapitel ("Marcus Aurelius in the Third and Fourth Century"), in dem der zeitliche Horizont erweitert und ein Vergleich mit dem Bild Marc Aurels unter anderem bei Dio, Herodian, Aurelius Victor und Eutropius durchgeführt wird. Auch hier betont Adams trotz der Singularität der biographischen Form der Historia Augusta die Übereinstimmungen in der positiven Wahrnehmung des Kaisers.
Eine der beiden der Arbeit zugrundeliegenden Annahmen besteht, wie schon gesagt, darin, dass die vita Marci eine dezidiert positive Haltung zu ihrem Protagonisten als dem 'Philosophen auf dem Kaiserthron' einnimmt. Vor diesem Hintergrund versteht Adams auch die in ihr enthaltenen die Kritikpunkte letztlich als Bestätigung dieser Tendenz, da diese seiner Meinung nach entweder durch den Kontext entkräftet oder durch den Aufbau an den Rand gedrängt werden (so vor allem die Kapitel 20 und 29). [3] Dies entspricht nicht der gängigen Wahrnehmung der vita, in der vielmehr positive und negative Aspekte gleichermaßen zur Sprache kommen. Gerade mit Blick auf die Frage, wie sich das Bild Marc Aurels als weitsichtiger und um das Wohl seiner Untertanen besorgter 'Philosophenkönig' platonischer Prägung mit der Bestimmung von Commodus zu seinem Nachfolger verträgt, ließe sich auch für eine schrittweise Konterkarierung der positiven Sichtweise argumentieren, die der Biograph zunächst zu vertreten scheint. [4]
Das entschiedene Eintreten von Adams für seine Lesart der vita ist an sich natürlich zu begrüßen, als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang jedoch, dass er die erste Prämisse einer vorwiegend positiven Darstellung Marc Aurels mit einer zweiten kombiniert hat, nämlich dem Ausschluss der Kapitel 15-19 aus seiner Interpretation, da er diese für eine Interpolation hält. [5] In diesem Abschnitt wird das Leben Marc Aurels vom Tod seines Mitregenten Lucius Verus bis zu seinem eigenen behandelt, was deswegen ungewöhnlich ist, weil im weiteren Verlauf der vita die gleichen Ereignisse zum Teil ein zweites Mal dargestellt werden, vor allem sein Lebensende. Dennoch entspricht die Nichtberücksichtigung des Abschnittes keineswegs der communis opinio. [6] Um so nachdrücklicher vertritt Adams seine Sichtweise - die diesbezügliche Argumentation durchzieht das ganze Buch [7] -, allerdings nicht zuletzt mit Verweis darauf, dass man auf diese Weise zu einer kohärenteren und positiveren Zeichnung des Protagonisten gelangen kann. Da für beide Thesen weitere Argumente angeführt werden, handelt es sich nicht um einen Zirkelschluss im eigentlichen Sinn, dennoch hätte man sich mehr Reflexion über das wechselseitige Verhältnis dieser beiden Grundannahmen durch den Autor gewünscht.
Insofern ist der Versuch von Adams, die in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche vita Marci dadurch als historische Quelle zu retten, dass ihr Aufbau als folgerichtig und ihre Tendenz als einheitlich positiv erwiesen wird, zwar angesichts des generellen Mangels verlässlicher Quellen für diese Zeit durchaus verständlich, kann aber - jedenfalls was den Rezensenten angeht - nicht als erfolgreich angesehen werden. Das gleiche gilt für den Nachweis, dass es sich bei den Kapiteln 15-19 um eine Interpolation handelt. Mit diesen Einschränkungen ist das Buch jedoch ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis sowohl der Historia Augusta als auch der Wahrnehmung Marc Aurels in der Antike, das sich vor allem durch die gründliche Kommentierung der vita Marci als nützlich erweisen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ernst Hohl: Scriptores historiae Augustae, Bd. 1, Leipzig 1955; David Magie: The Scriptores historiae Augustae, Vol. 1, Cambridge 1921.
[2] "The most notable aspect of this biography it its partiality toward the princeps. The Vita Marci was composed in such a positive fashion that it could almost be classed as a aretalogy, rather than biography." (9).
[3] Vgl. hierzu vor allem 100-103; 127-130; 201-204 und 242f.
[4] Exemplarisch sei mit Kap. 27,2-5 auf eine Stelle verwiesen, an der beide Aspekte durch die Verleihung der tribunicia potestas an Commodus und den Hinweis, dass Marc Aurel Platons Worte aus der Politeia ständig im Munde geführt habe, in so engem Zusammenhang miteinander erwähnt werden, dass sich auch ohne expliziten Hinweis des Autors eine kritische Sichtweise ergibt. Für eine weitergehende Interpretation in dieser Richtung vgl. Dennis Pausch: Der Philosoph auf dem Kaiserthron, der Leser auf dem Holzweg? - Marc Aurel in der Historia Augusta, in: Millennium-Jahrbuch 4 (2007), 107-155 (von Adams nicht herangezogen).
[5] Diesen Teil des Textes hält er zudem für den hinsichtlich der Abfassungszeit älteren, und zwar wegen der in ihm enthaltenen Anrede an Diokletian, die er also offenbar als authentisch akzeptiert, obwohl er sich des Umstandes bewusst ist, dass solche Invokationen in der Historia Augusta häufiger vorkommen und von der Mehrheit der Forschung als fingiert betrachtet werden (vgl. 21f. und 161f.).
[6] Vgl. z.B. Jörg Fündling: Marc Aurel, Darmstadt 2008, 180 (von Adams nicht herangezogen).
[7] Vgl. v.a. 3-10; 13; 21f.; 27-37; 42f.; 155-162; 240f.
Geoff W. Adams: Marcus Aurelius in the Historia Augusta and Beyond, Lanham, MD: Lexington Books 2013, IX + S., ISBN 978-0-7391-7638-2, USD 80,00
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