Der Kalte Krieg in Afrika begann im Kongo. In "Battleground Africa" beschreibt Lise Namikas die dramatisch-turbulenten ersten Jahre des Staates, der heute Demokratische Republik Kongo heißt, der sich lange Zaire nannte und der 1960 als Republik Kongo von der belgischen Kolonialherrschaft unabhängig wurde. Hier kreuzten sich Anfang der 1960er Jahre geradezu paradigmatisch eine der heftigsten Dekolonisierungskrisen mit einer der dramatischsten Krisen des Kalten Krieges, befeuert durch das Interesse an den reichen Ressourcen und der strategischen Bedeutung des zentralafrikanischen Landes. Doch trotz der Bedeutung der Kongokrise für den Kalten Krieg, trotz der Tatsache, dass die dort stationierte militärisch Friedensmission die Vereinten Nationen fast in den Bankrott trieb, ganz zu schweigen von den traumatischen Konsequenzen dieser Zeit für den Kongo und seine Bevölkerung selbst - "it is not an exaggeration that the Congo crisis is one of the most overlooked crises of the Cold War"(9). Und so hält die Literatur zur Kongokrise einem Vergleich mit der Zahl an Forschungsarbeiten zum Vietnamkrieg oder der Kubakrise auch kaum stand.
Erfreulicherweise zeichnet sich hier seit einigen Jahren eine Trendwende ab. Mittlerweile gibt es eine Reihe von neueren Arbeiten, oft mit Ansätzen jenseits der bisherigen, meist in der Logik des Kalten Krieges verhafteten Perspektiven älterer Literatur. Diese Zunahme liegt wohl zum einen an dem nun ganz allgemein größeren Interesse an den afrikanischen Staaten als eigenständigen Akteuren der internationalen Geschichte. Zum anderen verspricht die Erschließung neuer afrikanischer und ehemalig sowjetischer Quellenbestände neue Erkenntnisse. Letzteres hat sich auch Lise Namikas zunutze gemacht. Dem Buch liegt die Analyse eines beeindruckenden Quellenkorpus zugrunde. Sie hat es mehrheitlich in russischen und US-amerikanischen zusammengetragen, aber auch belgische und deutsche Archive besucht. Diese intensive Recherche ergab schon 2004 die mehr als 800-seitige Literatur- und Quellensammlung, die Lise Namikas gemeinsam mit Sergey Mazov im Rahmen einer Oral History Conference zur Kongokrise am Cold War International History Project des Wilson Center in Washington zusammengestellt und online zugänglich gemacht hat. [1]
"Battleground Africa. Cold War in the Congo, 1960-65" ist eine in 13 Kapiteln verfasste, detailreiche Beschreibung zu den Ereignissen im Kongo in den fünf Jahren zwischen den Unabhängigkeitsverhandlungen 1960 und der Machtergreifung Joseph Mobutus 1965, woran sich seine mehr als drei Jahrzehnte andauernde Herrschaft als Diktator Mobutu Sese Seko anschloss. In ihrer chronologisch angelegten Darstellung geht die Autorin auf einige Aspekte ausführlicher ein, etwa auf den ersten kongolesischen Premier, Patrice Lumumba, der - als "Red Devil" im Westen verschrien - zur internationalen Symbolfigur der Krise avancierte und zu Beginn des Jahres 1961 ermordet wurde. Andere Schwerpunkte sind die Haltung der US-amerikanischen Administrationen unter Eisenhower, Kennedy und Johnson gegenüber der Kongofrage oder die belgischen Interessen in der ehemaligen Kolonie.
Trotz des Titels beschränkt sich Lise Namikas erfreulicherweise nicht allein auf den Aspekt des Kalten Krieges. Gerade die Kongokrise lässt sich zu keinem Zeitpunkt "nur" als Dekolonisierungskrise oder Krise des Kalten Krieges beschreiben. Und auch wenn sich die Arbeit zu Recht auf den Kongo konzentriert, so hatte die Krise doch auch eine große gesamtkontinentale Bedeutung. Denn ein instabiler Kongo gefährdete die Stabilität der Nachbarländer und damit nicht zuletzt die Interessen der ehemaligen oder noch aktiven Kolonialmächte in Afrika. Die Mächte des Kalten Krieges waren überzeugt: Gelänge es, den Kongo dem eigenen Einflussbereich zuzuordnen, wäre dies auch der Schlüssel zum Rest des Kontinents. Ihr Engagement im Kongo verlief dabei verdeckt, denn einer klaren Intervention stand die Furcht vor einer fatalen Eskalation im Weg. Die internationale Debatte um den Kongo war dagegen eine willkommene Gelegenheit ihr jeweilig anti-koloniales Profil zu stärken. Gerade die Sowjetunion nutzte sie daher für einen Werbefeldzug bei den dekolonisierten Staaten Afrikas und Asiens.
Neues bietet "Battleground Africa" dem Leser vor allem zur Haltung der Sowjetunion. So weist Lise Namikas nach, dass das Interesse der Supermacht am Kongo nach dem Tod des kongolesischen Premiers Patrice Lumumba keineswegs nachließ. Das Engagement der USA überstieg zwar das der Sowjetunion beträchtlich, und dem Westen gelang zudem, was dem Osten verwehrt blieb: Sie konnten einige Persönlichkeiten der kongolesischen Politikelite für sich gewinnen. Doch Namikas zeigt, dass die sowjetische Unterstützung beispielsweise des Oppositionspolitikers Antoine Gizenga auch in den späteren Jahren deutlich größer ausfiel, als bisher angenommen, ein Ergebnis das Sergey Mazow kürzlich bestätigt hat. [2] Der Konflikt hatte ganz offenbar über die ganzen fünf untersuchten Jahre hinweg die ungebrochene Aufmerksamkeit der sowjetischen Führung, auch wenn ihr Engagement am Ende selten über Säbelrasseln in den Foren der Vereinten Nationen hinausging. Eine längerfristige sowjetische Strategie fehlte jedoch ganz offensichtlich. Die Supermacht unter der Führung Chruschtschows wirkte hilflos angesichts der Ereignisse in Afrika. Hierin, das macht Namikas ebenfalls klar, waren sich der Westen und der Osten sehr ähnlich.
Es ist eine echte Herausforderung, die Krise mit ihren vielen Ebenen und zahlreichen lokalen, nationalen und internationalen Akteuren in eine kohärente Darstellung zu bringen. Das ist der Autorin recht gut gelungen. An manchen Stellen wäre die Lektüre leichter gefallen, hätte Namikas die Schlüsse noch klarer benannt, die sie in ihrer detailreichen Schilderung zieht. Es sind auch nicht alle Argumente gleich überzeugend. So waren die wirtschaftlichen Interessen am Kongo einflussreicher als es im Buch mitunter scheint. Verbunden mit dem Ost-West-Konflikt waren sie die treibenden Kräfte hinter dem vielfältigen internationalen Engagement in der Kongokrise. Immer wieder dominierten sie das Geschehen, wie bei der Frage zur Zukunft der abtrünnigen Provinz Katanga. Positiv zu konstatieren ist, dass Lise Namikas die Kongolesen und ihre politische Elite als eigenständige Akteure ernst nimmt. Das ist ein erfreulicher Kontrast zu den meisten früheren Arbeiten. Doch auch bei ihr dominiert die Außenperspektive, und weiterhin herrscht hier noch der größte Forschungsbedarf.
Insgesamt ist "Battleground Africa" eine sehr lohnende Lektüre. Den Leser erwartet eine Vielzahl faszinierender Details, neue Erkenntnisse und anregende Fragen für die weitere Forschung - sei es zur Historiographie des Kongos, zur Geschichte des Kalten Krieges und der Dekolonisierung in Afrika oder ganz allgemein zur internationalen Geschichte der 1960er Jahre.
Anmerkungen:
[1] Lise Namikas / Servey Mazov: CWIHP Document Reader compiled for the international conference. "The Congo Crisis 1960-1961"; Washington D.C. 23-24 September 2004: http://www.wilsoncenter.org/publication/the-congo-crisis-1960-1961 [12.10.2013]; dazu: Dies.: Report on a CWIHP Critical Oral History Conference on the Congo Crisis, 1960-1961. History through Documents and Memory: http://www.wilsoncenter.org/article/history-through-documents-and-memory-report-cwihp-critical-oral-history-conference-the-congo [12.10.2013].
[2] Sergey Mazov: A distant Front in the Cold War. The USSR in West Africa and the Congo, 1956-1964 (= Cold War International History Project series), Washington D.C. 2010.
Lise Namikas: Battleground Africa. Cold War in the Congo, 1960-1965 (= Cold War International History Project Series), Stanford, CA: Stanford University Press 2013, XVI + 350 S., 21 s/w-Abb., ISBN 978-0-8047-8486-3, GBP 52,50
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