Die Teilung der Mittelmeerwelt in "Europa" und "Islam" war spätestens mit Henri Pirenne axiomatisch für die Betrachtung von Kulturen im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter und in nachfolgenden Epochen gewesen. Für das Früh- und Hochmittelalter wurde auch Byzanz in dieses Modell kultureller Grenzen einbezogen, die in der Nachfolge des Römischen Imperiums entstanden. Seitdem haben Kulturhistoriker immer wieder unter wechselnden Bezeichnungen und mit konzeptionell stetig sich wandelndem Horizont ihr Interesse am "Kontakt zwischen Kulturen", am "interkulturellen Austausch" oder an "transkulturellen Phänomenen" artikuliert. Nach Josef Strzygowski hat die Kunstgeschichte zögernd, aber doch konstant dieses Interesse begleitet. [1] Richard Ettinghausen konnte vor vierzig Jahren die künstlerischen Beziehungen zwischen Orient und Europa noch weitgehend auf formale Aspekte beschränkt untersuchen und lapidar feststellen, "daß der Einfluß des Vorderen Orients auf die europäische Kunst im ganzen gesehen nicht wesentlich war". [2] Eine solche (zudem noch quantifizierend gedachte) Verkürzung ist mit dem heute verbreiteten Ansatz kaum noch möglich, der die gegenseitigen Wahrnehmungen und Beziehungen von Kulturen thematisiert. Mit ihm konzentriert sich die Frage auf das "Wie" der Kulturkontakte. In einer breit angelegten Perspektive hatte die Ausstellung "Europa und der Orient" bereits 1989 Material zusammengetragen, das verschiedenen Ansätzen dienen konnte. Die Rolle von Reisenden, reisende Objekte, der Austausch von Formen und Konzepten, die verschiedenen Routen des "künstlerischen Austauschs" wurden hier ansatzweise diskutiert, doch spielte das Mittelalter dabei eine vergleichsweise untergeordnete Rolle im Vergleich zur Neuzeit, insbesondere des Kolonialzeitalters.
Der von Catarina Schmidt Arcangeli und Gerhard Wolf herausgegebene Sammelband einer Tagung am Kunsthistorischen Institut Florenz lenkt den Blick auf das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit, als Objekte zwischen den Höfen und Regierungen des Mittelmeerraumes hin- und hergingen - Gegenstände, die nicht nur als Repräsentanten ihrer jeweiligen Herkunftskultur, sondern auch als Botschafter des Austauschs fungierten. Die Plünderung von Konstantinopel durch die Kreuzfahrer 1204, durch die eine große Zahl von Kunstwerken in den lateinischen Westen gelangte, mag als Wendepunkt in der "Biografie" vieler einzelner Objekte gelten, vielleicht aber auch als ein Markstein für die Wahrnehmung künstlerischer Qualitäten durch die jeweils "andere" Kultur. Ein chronologischer Endpunkt der hier versammelten Untersuchungen ist schwieriger zu bestimmen - er liegt wohl in der Glanzzeit des Osmanischen Reiches im 16. Jahrhundert. Innerhalb dieses einigermaßen fest umschriebenen Feldes wird eine große thematische Fülle behandelt. Schon vorweg sei bemerkt, dass die hohe Qualität der Produktion - sorgfältige Edition der Texte und exzellenter Druck - den Band gegenüber vergleichbaren Sammelwerken auszeichnet.
Die achtzehn Beiträge lassen sich thematisch in mehrere Gruppen gliedern, wobei so mancher Beitrag mehrfach zugeordnet werden könnte:
Vom übergeordneten Thema her naheliegend sind Untersuchungen von Gattungen oder Objektgruppen, anhand derer sich Kulturkontakte belegen, beschreiben und verfolgen lassen. So zeichnet etwa David Jacoby den Export orientalischer Seiden nach Europa nach und bestimmt den Punkt, an dem sich dieser Handel - letztlich Opfer seines eigenen Erfolges - ab etwa 1400 auf der Grundlage einer stabilen italienischen Produktion in umgekehrter Richtung entwickelte. Dagegen dauerte der Import orientalischer Knüpfteppiche nach Florenz bis ins späte 16. Jahrhundert ungebrochen an, wie der Beitrag von Marco Spallanzani anhand einer überzeugenden Übereinstimmung von bildlichen und schriftlichen Quellen darstellt. Mit einem Streifzug durch verschiedene Sammlungen präsentiert Stefano Carboni orientalisches Glas, das sich heute in Italien befindet - jeweils mit interessanten Aspekten zur Herkunft und zum Transfer der Objekte; wobei sich jedoch die Frage aufdrängt, welche Bedeutung der Beschränkung auf die heutigen Nationalstaatsgrenzen zukommt.
Für die Mechanismen des Austauschs sind Untersuchungen zu diplomatischen Missionen und den damit einhergehenden Geschenken grundlegend. Deborah Howard stellt die Viten dreier venezianischer Diplomaten dar, die nach Konstantinopel und Syrien entsandt waren; die Darstellung der materiellen Ausstattung ihrer Haushalte erweist sich jedoch als wenig ergiebig. Giovanni Curatola wertet die Schriften des Venezianer Stadtschreibers Marin Sanudo aus dem späten 15. Jahrhundert aus: In seinen Diarii sind z.T. minutiös die Geschenke verzeichnet, die mit Mamluken und Osmanen ausgetauscht wurden. Eine anders geartete politische Konstellation lag der Geschenk-Diplomatie zwischen Ragusa und den Osmanen zugrunde, die Joško Belamarić untersucht. Der unübersichtlichen Struktur dieses Beitrags zum Trotz wird deutlich, wie Handel und Diplomatie ineinandergriffen und welche Anspannung materieller und menschlicher Ressourcen dies zur Folge hatte. Für weiter zurückliegende Epochen wie die Ayyubidenzeit lässt sich dies, wie Anthony Cutler aufzeigt, auf transmediterranen Handelsrouten postulieren, jedoch fehlen an vielen Stellen die eindeutigen Belege.
Motive des "Fremden" kommen zur Sprache, sobald die Sphäre der Bedeutungen näher beleuchtet wird. Maria Vittoria Fontana befasst sich mit Episoden in lateinischen Geschichtswerken des Spätmittelalters, in denen Muḥammad und Ḫadīǧa beschrieben und bildlich dargestellt sind. Dabei wird deutlich, dass hier nicht auf orientalische Bildquellen zurückgegriffen wurde. Almut Goldhahn interpretiert Teppich-Darstellungen in Marienbildern bzw. Darstellungen der Sacra Conversazione der Renaissance als Symbolisierung des hortus conclusus; dabei fließen Aspekte der Kostbarkeit des Materials und der Überwindung des muslimischen Gegners (wurde dieser immer bezüglich der Herkunft der Teppiche mitgedacht?) mit ein. In ihrem Beitrag "On the Difficulties of Depicting a 'Real' Turc" zeichnet Ulrike Ilg nach, wie sich lateinische Beschreibungen von Orientalen von der antiken Tradition emanzipierten, um dann eigene Stereotypen und Fantasien zu entwickeln, wie sie etwa bei John Mandeville vorliegen. Auch Bernhard von Breydenbach und Erhart Reuwich reproduzierten Klischees, selbst wenn sie sie mit dem Siegel "sicut vidimus" versahen. Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts gelangen "realistische" Bilder von Orientalen in den Westen. Jedoch sind diese bezeichnenderweise ihrerseits auf die Vorbilder osmanischer Miniaturmalereien zurückzuführen, während für die eigene Anschauung nur begrenzte Möglichkeiten bestanden. Grafische Darstellungen des "Großtürken" im 15. und 16. Jahrhundert untersucht Alberto Saviello auf Vorbilder und Bedeutungen. Sie lassen sich als Darstellung gottloser Hybris im Streben nach Weltherrschaft lesen.
Mehrere Untersuchungen widmen sich der Übernahme von Motiven und "Einflüssen": Florence Moly behandelt die lateinischen Versionen von Ibn Buṭlāns Taqwīm aṣ-Ṣiḥḥa, eines medizinischen Werkes, von den ersten Übertragungen ins Lateinische im 12.-13. Jahrhundert bis zur reich bebilderten Handschrift am Mailänder Hof der Visconti. Sylvia Auld verfolgt das Motiv der radial angeordneten Tierdarstellungen (wie am Paderborner Hasen-Fenster) und andere Entsprechungen zwischen Ost und West, die am wahrscheinlichsten durch Kulturkontakte zu erklären sind, ohne dass man sie beweisen könnte. Diese Darstellung bettet sie in weitergehende Überlegungen zum künstlerischen Austausch während der Kreuzfahrerzeit ein. Einen von der Mittelmeerwelt etwas abgerückten Gegenstand diskutiert Turgut Saner, dessen Beitrag sich mit den verschiedenen Quellen der rumseldschukischen Architektur und ihres Baudekors befasst. Einen diachronischen Ansatz unternimmt Giovanni d'Erme, der künstlerische Motive und Inhalte aus Altiran bis hin zur Cappella Palatina in eine Sequenz stellt; mehrfach hebt seine Darstellung in die Sphären des Numinosen ab und operiert mit Behauptungen von Kontinuität und Identität, für die man eindeutige Belege vermisst. Mechanismen der künstlerischen Anlehnung und Motivsuche untersucht Claus-Peter Haase anhand der Orientalismen bei italienischen und flämischen Malern des 14. bis 16. Jahrhunderts. Er arbeitet nicht nur heraus, was die abendländischen Künstler am islamischen Ornament reizte, sondern auch, worin ihre Übernahme vom Vorbild abwich. Im Tenor dieses Beitrags lässt sich feststellen, dass man ohne Conoisseurship auch in einer kulturtheoretisch ausgerichteten Debatte um Transkulturalität nicht auskommt.
Einige Studien auf der Mikro-Ebene einzelner Objekte erhellen die Beziehungen zwischen Werkstätten, ihren Produkten und der Rezeption von künstlerisch gestalteten Objekten besonders deutlich. So kann Fernando Valdés Fernández im Fall der Cordobeser Elfenbein-Schnitzereien den Zusammenhang von Geschenkdiplomatie und Hofwerkstätten überzeugend darstellen und stellt Überlegungen an, was mit den Werkstätten geschah, als mit dem Zusammenbruch des Kalifats der wichtigste Auftraggeber entfiel. Avinoam Shalem schreibt über die Behandlung von Objekten als Individuen, die nach ihrem muslimischen ein zweites Leben als christliche Reliquien erfuhren und somit nicht nur Zeugen für kulturelle und ökonomische Interaktion waren, sondern eine "Biografie" erwarben; aufgrund ihrer Fremdheit waren sie offen für verschiedenste Projektionen. Ähnliches ließe sich für einige Glasobjekte im Beitrag von Stefano Carboni (etwa den Sacro Catino in Genua) ebenfalls ausführen.
In ihrer Einleitung bekennt Catarina Schmidt Arcangeli als Herausgeberin in unnötiger Bescheidenheit, dass die thematische Breite nicht so stark entwickelt sei wie man wünschen könne. Sie ist im Gegenteil beeindruckend. Für eine noch größere Breite, ohne thematisch auszufransen, hätte man vielleicht archäologisch erschlossenes Material stärker berücksichtigen können - hier ist allerdings Vieles erst noch zu bearbeiten. Themen der Architektur hätten das Spektrum sicherlich noch bereichert; an den unbeweglichen Objekten lassen sich Mechanismen des künstlerischen Austauschs in anderer Weise verfolgen als bei den transportablen Gütern. Wirklich vermisst hat der Rezensent jedoch nur die Einbeziehung des Materials, das bei fast allen in diesem Band behandelten Transfers doch immer, manchmal nebenbei, den Besitzer gewechselt haben muss: Geld kommt leider gar nicht vor. An den Münzen hätten sich weitere entscheidende "Interaktionen" und wechselseitige Einflüsse aufzeigen lassen. Die Ansätze der Beiträge, ihre Breite und die Tiefe ihrer Analysen sind verschieden. Fast allen kann man auf mehreren Ebenen etwas abgewinnen. Daher wird man den Band bei allen Fragen der transkulturellen Beziehungen und des künstlerischen Austauschs im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gerne zur Hand nehmen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. als frühen Versuch einer stark gerafften Gesamtdarstellung: Karl M. Swoboda: Berührungen der christlich-abendländischen Kunst mit der des Islam, in: Alte und Neue Kunst. Wiener Kunstwissenschaftliche Blätter 1 (1952), 7-33.
[2] Richard Ettinghausen: Der Einfluß der angewandten Künste und der Malerei des Islams auf die Künste Europas, in: Joseph Schacht / Clifford E. Bosworth (Hgg.): Das Vermächtnis des Islams, Zürich / München 1980, Bd. II, 61-84, hier 82 [engl. Original: Muslim Decorative Arts and Painting. Their Nature and Impact on the Medieval West, in: Joseph Schacht / Clifford E. Bosworth (eds.): The Legacy of Islam, London 1973, repr. in: Stanley Ferber (ed.): Islam and the Medieval West. A Loan Exhibition at the University Art Gallery, Binghamton 1975, 5-26, hier 21: "The impact of the Near East on the art of Europe has, on the whole not been vital"].
Catarina Schmidt Arcangeli / Gerhard Wolf (eds.): Islamic Artefacts in the Mediterranean World. Trade, Gift Exchange and Artistic Transfer, Venedig: Marsilio Editori 2010, 244 S., ISBN 978-88-317-0984-2, EUR 48,00
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