Um das Verständnis des größten Diadochenreiches, des Seleukidenreiches, und seine westliche bzw. östliche Ausrichtung, sein Verhältnis zum Achaimenidenreich sowie zu den einzelnen Regionen und deren Traditionen, wird angesichts der Heterogenität seiner Teile und eines extrem unterschiedlich dichten bzw. dünnen Quellenbestandes seit langem gerungen. In die in den letzten Jahrzehnten und Jahren besonders intensiv und hinsichtlich nahöstlicher Quellen und Sichtweisen teilweise sehr kompetent geführte Debatte greift Sonja Plischke mit dem aus ihrer Doktorarbeit entstandenen Buch "Die Seleukiden und Iran" auf regionaler Basis ein. Mit dem von ihr untersuchten geographischen Bereich folgt Plischke ihrem Doktorvater, dem namhaften Erforscher der antiken Geschichte Persiens Josef Wiesehöfer. Betreut wurde die Arbeit auch von Linda-Marie Günther, dies nicht zuletzt im Hinblick auf die ebenfalls viel diskutierte Epoche des Hellenismus.
Bereits die Ausstattung des Buches mit mehr als dreißig Münzabbildungen enthält eine Aussage über das Seleukidenreich und dessen Osten: Nächst königlichen Willensbekundungen in Inschriften geben Bilder und Legenden auf Münzen Auskunft über die "seleukidische Konzeption von Herrschaft im Osten und ihre kulturelle Ausrichtung". Während im seleukidischen Iran erstere mit nur 14 Dokumenten sehr rar sind, liegen viele östliche Prägungen der Seleukiden von Seleukos I. bis Antiochos IV. vor und stellen daher "wertvollste Quellenzeugnisse" für den Iran unter den Seleukiden dar (11-12). Plischke geht nach einem Kapitel über Forschungssituation, Quellen und Vorgeschichte (I.: 1-21) ihren Gegenstand in zwei großen Zugriffen an: Zum einen legt Plischke Strukturen sowohl der seleukidischen Herrschaft in den sogenannten Oberen Satrapien wie etwa Verwaltungsaufbau und Münzprägung dar als auch Bedingungen, die die seleukidische Herrschaft bei ihrer Etablierung vorgefunden hat, wie etwa Bergvölker und nomadische Gruppen sowie vorhandene Bewässerungssysteme und Straßen sowie lokale und regionale Kulttraditionen, schließlich aber auch solche Phänomene und Einrichtungen, in denen zugleich Herrschaftsbedingungen und von den Seleukiden gestaltete Strukturen entgegentreten wie in den Städten und Städtegründungen sowie der Religionspolitik (II.: 22-172). Das alles fasst Plischke unter dem Begriff "strukturelle Bedingungen" zusammen. Zum anderen bietet Plischke chronologisch und nach den Seleukidenherrschern von Seleukos I. bis Antiochos IV. (der Überlieferung entsprechend weitestgehend ohne Seleukos III. und IV.) angeordnete Darstellungen der Ereignisse im Iran, bisweilen aber auch Zustände sowie Herrschaftsvorstellungen und -ziele (III.: 173-314). Aus letzteren ergeben sich einige Überschneidungen bzw. Doppelungen zwischen den Kapiteln II. und III.
Ihr "Fazit" zieht Plischke nicht im Anschluss an den Aufbau ihrer beiden Hauptkapitel und auch nicht im Anschluss an die von ihr in diesen beiden Kapiteln immer wieder detailliert referierten und bewerteten Forschungspositionen, sondern indem sie sich von den beiden Begriffen 'Herrschaftskonzeption' (der Seleukiden selbst) und 'Herrschaftstradition' (der Seleukiden in Bezug auf ihre östlichen Vorgänger) leiten lässt, in denen Spannweite und Spannungsintensität seleukidischen Herrschens im Osten ihres Reiches ausgedrückt sind (IV.: 315-334): Die Seleukiden sind nicht mit einem festen Herrschaftskonzept, etwa dem von einem Teil der Forschung postulierten 'makedonischen' oder dem von einem anderen Teil der Forschung vertretenen achaimenidischen, angetreten. Sie haben sich vielmehr an regionalen und lokalen Traditionen orientiert, jedoch nicht sklavisch an Vorgegebenes gehalten, sondern sind pragmatisch verfahren (besonders deutlich 327 ausgedrückt). Weiter haben sie ihr Herrschertum allmählich entwickelt bis hin zum König nicht mehr als Person, sondern als diese transzendierende Institution, die sich im Herrscherkult seit Antiochos III. manifestiert und durch Antiochos IV. noch gesteigert wird. In diesen Resultaten liegt der Schwerpunkt eindeutig bei der Seleukidendynastie und nicht beim Osten ihres Reiches. Denn anders als im seleukidischen Babylonien mit seiner dichten Quellenlage ist im Iran das Verhalten und konkrete Handeln zwischen Untertanenindividuen und -gruppen und den seleukidischen Herren mit Ausnahme etwa der Frataraka (die in Plischkes ausführlichen Indizes leider fehlen) kaum jemals fassbar. An der dadurch bedingten einseitigen Betrachtungsweise kann auch Plischke nichts ändern.
Stellt das von Plischke zwischen "Herrschaftskonzeption" und "Herrschaftstradition" gespannte Ergebnis eine originelle und Erkenntnis fördernde Leistung dar, so haben die beiden Hauptkapitel der Untersuchung neben den gemeinsamen Vorzügen der skrupulösen Verwendung von Quellen und der treffsicheren Heranziehung und Bewertung einer enorm umfangreichen Literatur ihre je eigenen Meriten: Das dem seleukidischen Auftreten in den Oberen Satrapien gewidmete Kapitel III. zeichnet minutiös die einzelnen Ereignisse, Handlungen und entwickelten Konzepte zur "Begründung und Konsolidierung der Herrschaft im Osten" (173) nach. Das Strukturkapitel II. beschreibt und bewertet Forschungspositionen zu Regierung, Aufbau und Infrastruktur des Seleukidenreiches und insbesondere seines Ostens so, dass es als Kompendium hierfür gelten kann. Insgesamt reiht sich Plischkes Buch würdig in jene neueren Forschungen ein, die nahöstliche Strukturen im Seleukidenreich angemessen berücksichtigen.
Sonja Plischke: Die Seleukiden und Iran. Die seleukidische Herrschaftspolitik in den östlichen Satrapien (= Classica et Orientalia; Bd. 9), Wiesbaden: Harrassowitz 2014, XVIII + 408 S., 33 Abb., ISBN 978-3-447-10061-8, EUR 78,00
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