Mit dem Aufbrechen der eurozentrischen Perspektive auf die internationale Geschichte hat auch die Bewegung der sogenannten "blockfreien" Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das verstärkte Interesse der Forschung auf sich gezogen. [1] Mit gutem Grund: Immerhin waren 1964 insgesamt 65 Staaten der Welt zur zweiten Konferenz der Blockfreien nach Kairo eingeladen. Ebenfalls 1964 entstand im weiteren Zusammenhang der Bewegung und mit wirtschaftlicher Prioritätensetzung die "Gruppe der 77", die heute 130 Mitglieder umfasst. Bereits die beiden hier genannten, 50 Jahre zurückliegenden Ereignisse verweisen darauf, dass die Staaten, die sich in der Blockfreien-Bewegung zusammenfanden, vielfältige und sehr grundsätzliche Ziele verfolgten. Dabei setzten die Mitgliedstaaten im Laufe der Jahre durchaus eigene, nationale Akzente. Die partikularen oder auch gemeinsamen Ambitionen der Blockfreien sind bis heute keineswegs erfüllt. Dies betrifft insbesondere Wirtschaftsinteressen des globalen "Südens" gegenüber dem "Norden" (31). Für die politische Sphäre ist bezeichnend, dass ein wichtiges Gründungsmitglied der Bewegung, Jugoslawien, mittlerweile gänzlich von der politischen Landkarte verschwunden ist, anstatt dass es sie dauerhaft hätte wesentlich mitgestalten können.
Diese Entwicklungen waren bei den Anfängen der Bewegung selbstverständlich nicht abzusehen. Der vorliegende Band stellt entlang dreier relevanter Zusammenkünfte der Staaten - in Delhi 1947, Bandung 1955 und Belgrad 1961 - der erst 1961 wirklich institutionalisierten Bewegung ihre Ursprünge, Entstehungsbedingungen und frühen Schwerpunktsetzungen in den Mittelpunkt. Er beleuchtet jedoch auch für die Folgejahre die thematischen und regionalen Gewichtsverschiebungen innerhalb der Gruppe.
Die Initiative zu einem engeren Zusammenschluss von Staaten, die die Blockkonfrontation des Kalten Kriegs meiden und auflösen wollten, lag bei drei sehr unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten, die Staaten mit differierenden politischen und Gesellschaftssystemen, Traditionen und Zukunftsvisionen respektive -perspektiven lenkten: Jawaharlal Nehru (Indien), Gamal Abdel Nasser (Ägypten) und Josip Broz Tito (Jugoslawien). Diese Politiker verfolgten von Beginn an verschiedene, auf lange Sicht wohl nur in Teilen miteinander kompatible Agenden. Maria Framke und insbesondere Carolien Stolte zeigen beispielsweise für die Politik New Delhis konzeptionelle Kontinuitäten zu indischen Erfahrungen und Anliegen der Zwischenkriegszeit auf. Hierbei stellten der Kampf gegen den Imperialismus sowie die sukzessive Entfremdung von der internationalen Politik westlicher Staaten wichtige, jedoch nicht die einzigen Aspekte dar. Die Strategie Nassers konnte gerade an diese beiden Schwerpunkte anknüpfen. Eine - immer schwierig auszubalancierende - aktive Politik außerhalb der verfeindeten Blöcke des Kalten Kriegs war zudem auch für Titos Sicherheitspolitik attraktiv, mit der er sich gegen Bedrohungen und Vereinnahmungsversuche aus Ost und West schützte.
Die recht pauschalen, zunächst einmal negativ formulierten Gemeinsamkeiten konnten Differenzen und nationale Egoismen nicht verdecken. Alle drei Staatenlenker hatten über die genannten Grundsätze der Blockfreien-Politik hinaus die Erhöhung des eigenen internationalen Prestiges und Einflusses im Sinn. Zudem bezogen sie aufgrund der ungleichen nationalen und internationalen Ausgangspositionen in relevanten Fragen der internationalen Politik mitunter differierende Positionen. Im jugoslawischen Ansatz beispielsweise machte sich, wie die Beiträge von Nataša Mišković und Jovan Čavoški erläutern, nicht nur in der Frage der sowjetischen Atomtests 1961 ein kämpferisch-sozialistischer Blick auf die Welt bemerkbar. Dies führte dazu, dass Jugoslawien in derlei Fragen Moskau näher stand als etwa seinem blockfreien Partner in Delhi. Matthieu Rey wiederum führt am Beispiel der Konferenz von Bandung vor Augen, dass die internationalen Kontakte der Blockfreien innerarabischen Zwistigkeiten nicht nur eine neue Bühne, sondern auch erhöhte internationale Bedeutung und Brisanz verschaffen konnte. Die ursprüngliche Beschränkung der Bewegung auf drei Erdteile wurde noch in den 1960er Jahren überwunden. Es blieb jedoch bei einem Zusammenschluss von Staaten, die sich auf der Basis letztlich national definierter Interessen in den komplexen Verflechtungen und Zusammenhängen eines vom Kalten Krieg wesentlich mitgeprägten internationalen Systems behaupten mussten. Damit konnten die inhärenten Spannungen auf Dauer nicht abgemildert werden. Deutlichster Ausdruck waren bilaterale Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedstaaten, ein Thema, das in dem Band nicht weiter ausgeführt wird. In anderen Bereichen gelang es wohl zum Teil, gegensätzliche Positionen, die blockfreie Staaten in internationalen Fragen bezogen, durch Formelkompromisse zu übertünchen. Die zugrundeliegenden Differenzen waren auf diese Weise jedoch nicht zu bereinigen. Dietmar Rothermund verweist entsprechend darauf, dass mit dem Ende des Kalten Kriegs einzelne Blockfreie ohne weiteres neue Interessenallianzen bilden konnten. Diese gingen einerseits über die alten Grenzen der Bewegung hinweg, schlossen andererseits aber ehemalige vermeintliche Mitstreiter aus. Der Verbund BRICS - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - stellt eine überraschende Verbindung von Staaten dar, deren Erfahrungen und Erbe aus den Zeiten des Kalten Kriegs unterschiedlicher kaum sein könnte.
Im Zusammenspiel diskutieren die Beiträge, die größtenteils auf eine von Nataša Mišković initiierte Züricher Konferenz von 2011 zurückgehen, wichtige chronologische und thematische Facetten der Blockfreien-Bewegung und ordnen sie in nationale und transnationale Prozesse des 20. Jahrhunderts ein. Dabei unterstreichen Jürgen Dinkel und wiederum Carolien Stolte, dass die Blockfreien-Bewegung nicht nur diplomatische und wirtschaftliche Ziele verfolgte, sondern zugleich der kulturellen Identitätsfindung und Selbstvergewisserung diente - ein Forschungsansatz, den Itty Abraham in seinem Beitrag, dem theoretisch ambitioniertesten des Bandes, mit Überlegungen über das Bestreben, etwa mit dem Anti-Rassismus neue Normen internationalen Zusammenlebens zu etablieren, fortführt. Auf diese Weise gelingt es dem Band, zusätzliche Perspektiven auf die Geschichte der Blockfreien-Bewegung zu eröffnen. Angesichts des wissenschaftlichen Gehalts des Sammelbandes hätte er eine weite Verbreitung und Beachtung verdient: Es steht allerdings zu fürchten, dass die horrende Preispolitik des Verlags, der für insgesamt 232 Seiten 145 US-Dollar berechnet, einer breiten Rezeption im Wege steht.
Anmerkung:
[1] Vgl. zuletzt Svetozar Rajak: No bargaining chips, no spheres of interest. The Yugoslav origins of cold war non-alignment, in: Journal of Cold War Studies 16 (2014), Nr. 1, S. 146-179. In weiterem Zusammenhang auch Vijay Prashad: The darker nations. A people's history of the Third World, London 2007.
Miskovic Natasa / Fischer-Tiné Harald / Boskovska Nada (eds.): The Non-Aligned Movement and the Cold War . Delhi, Bandung, Belgrade (= Routledge studies in the modern history of Asia), London / New York: Routledge 2014, XVIII + 232 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-0-415-74263-4, GBP 85,00
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