"Alexander der Große und Ägypten" - unter diesem Titel stand 2011 eine Tagung in Breslau, deren Akten mit dem hier zu besprechenden Band nun vorliegen. Tatsächlich scheint das Land am Nil in kultureller und religiöser, aber auch in wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht eine starke Anziehung auf die Griechen und auch auf Alexander ausgeübt zu haben. Gleichzeitig beginnt mit seiner Eroberung des Landes - zumindest in der Nachschau - in Ägypten eine neue Epoche. [1] Erklärtes Ziel der Organisatoren der Tagung war daher eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die nur durch die Einbeziehung zahlreicher Disziplinen zu bewerkstelligen ist (Nawotka, Grieb, 7). Wie gut ihnen diese Zusammenfügung gelungen ist, bestätigen die 22 versammelten Beiträge eindrücklich. Sie offerieren ein breites Forschungspanorama, können aus Platzgründen aber nicht alle mit einbezogen werden.
Freilich lässt bereits der Untertitel "History, Art, Tradition" erahnen, dass man sich "Alexander und Ägypten" auf sehr unterschiedliche Weise nähern kann. Hauptgrund dafür sind die vorhandenen Quellen, die nicht nur aus verschiedenen Kulturen und Zeiten stammen, sondern vor allem auch ihrer Intention nach bzw. kontextuell sehr differenziert gehalten und dementsprechend zu bewerten sind. Grob lassen sich vier Bereiche erkennen: a) ägyptische Quellen und b) solche klassischer Autoren zur Geschichte Alexanders und/oder Ägyptens zur Argeadenzeit, zu denen sich c) archäologische und numismatische Hinterlassenschaften gesellen, sowie d) Dokumente, die vornehmlich für die Rezeptionsgeschichte relevant sind. Die Anordnung der Beiträge innerhalb der Publikation scheint auf dem Untertitel zu rekurrieren.
Zunächst zu nennen sind die Arbeiten, deren Fokus auf den genuin ägyptischen Quellen aus der Argeadenzeit liegt. Sie bezeugen, dass Alexander (wie auch seine direkten Nachfolger) als legitime Herrscher von den einheimischen Priestern anerkannt wurden: Sie erscheinen als Könige und Ritualisten in der Tempeldekoration (Bosch-Puche, 55-87; Schäfer, 165-167; Ladynin, 221-240), und nach ihren Regierungsjahren werden Urkunden und andere Dokumente datiert (Moje, 241-271 [2]). Dennoch bieten diese Quellen wenig Konkretes zu Alexander und seinem Aufenthalt in Ägypten, auch ist sein persönliches Engagement bei der Errichtung eines Heiligtums nicht unmittelbar aus dem Tempelbauprogramm ableitbar. Vielmehr lässt sich eine weitgehende Kontinuität konstatieren, ist doch die Bautätigkeit und das Dekorationswesen gerade unter den späteren Argeaden und den frühen Ptolemäern an vielen Standorten als eine Fortführung von Projekten zu sehen, die in der 30. Dynastie begonnen worden waren. [3]
Für Informationen zu Alexanders Aufenthalt in Ägypten und den mit ihm verbundenen Taten sind wir auf die Berichte klassischer Autoren angewiesen, die teils sehr ausführlich, aber nicht ohne Widersprüche sind (vgl. zum chronologischen Ablauf Wojciechowska, Nawotka, 49-55; und passim für einzelne Aspekte). Einige Beiträge verorten den Hintergrund von Handlungen Alexanders innerhalb griechischer geostrategischer Vorstellungen bzw. wirtschaftlicher Entwicklungen, die sich bereits einige Jahrzehnte zuvor herausgebildet hatten (vgl. Meißner, 15-27; Grieb, 169-219 macht die Gründung von Alexandria im Zuge von Neugründungen griechischer Handelsmetropolen in der südöstlichen Ägäis sehr plausibel, vernachlässigt dabei aber ein wenig die Relation zum ägyptischen Hinterland).
Viel Aufmerksamkeit wird der Fragestellung nach der göttlichen Abstammung Alexanders geschenkt, die bereits zu dessen Lebzeiten von elementarer Bedeutung war (Ulanowski, 29-48; Sekunda, 107-117; vgl. auch Fulińska, 119-144, die sich diesem Thema über die hellenistischen Münzprägungen nähert). Für Ägypten besonders signifikant ist in diesem Zusammenhang das Orakel von Siwa, das Alexander u.a. als Sohn des Zeus-Ammon auswies. Das war ein wichtiger Aspekt, die seine Anerkennung als legitimen ägyptischen Herrscher möglich machte; für eine tatsächlich durchgeführte Krönung zum Pharao gibt es allerdings nach wie vor keine stichhaltigen Belege (vgl. Pfeiffer, 89-106, der auch ägyptische und kuschitische Quellen in seine Überlegungen mit einbezieht).
Es bleibt die Rezeptionsgeschichte, die eine intensive Beschäftigung mit Alexanders Aufenthalt in Ägypten in späteren Jahrhunderten erkennen lässt. Im Mittelpunkt stehen Episoden aus dem Alexanderroman (vgl. Malinowski, 273-285; Ionescu, 367-375; Szalc, 377-390). Dagegen spielt Alexander in ptolemäischer Zeit in ägyptischen (Tempel-)Kontexten außerhalb von Datierungen nach dem eponymen Alexanderpriester keine Rolle und er wird anders als im hellenistischen Kontext nicht mehr in den ptolemäischen Dynastiekult einbezogen (Dumke, 337-346). Dass auch in der Neuzeit mit dem erneut einsetzenden Interesse an Ägypten Alexander große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, zeigt der bis heute nicht nachlassende Versuch, seinen Begräbnisort in Alexandria ausfindig zu machen (Łukaszewicz, 307-314; sehr instruktiv sind die Ausführungen von Matthey, 315-336, in denen er aufzeigt, dass der in Alexandria aufgefundene Sarkophag Nektanebos' II. erst relativ spät als Grablege von Alexander interpretiert wurde).
Für die Benutzung hilfreich sind die Indizes am Ende des Bandes; der Abgleich zwischen den Artikeln und interne Verweise hätten aber gerade im Hinblick auf die interdisziplinäre Ausrichtung konsequenter und flächendeckender ausfallen können.
Insgesamt bietet der Band mit seinem reichhaltigen Themenspektrum einen guten und aktuellen Überblick über "Alexander und Ägypten". Untersuchungen speziell zu Detailfragen führen zu neuen Ergebnissen und einem besseren Verständnis von einer Epoche im Umbruch. Gerade in der Retrospektive erweist sich das Ägypten der Argeadenzeit als eine Art Scharnier zwischen der alten Kultur am Nil und dem Ptolemäerreich, das in jeder Hinsicht auf die von Alexander gelegten Fundamente aufbauen konnte. Besonders prägnant ist die Involvierung der Herrscher in die ägyptische Religion, die für eine Legitimierung des Königtums kaum zu überschätzen war. Das "neue" Ägypten war nun aber viel stärker auf den Mittelmeerraum ausgerichtet und weit mehr in das dortige Geschehen eingebunden, als dies in früheren Zeiten der Fall gewesen war.
Anmerkungen:
[1] Siehe etwa die Überblicke bei G. Hölbl: Geschichte des Ptolemäerreiches. Politik, Ideologie und religiöse Literatur von Alexander dem Großen bis zur römischen Eroberung, Darmstadt 1994, 9-14; 69-72; W. Huß: Ägypten in hellenistischer Zeit 332-30 v.Chr., München 2001, 55-78.
[2] Problematisch in diesem Beitrag ist allerdings der gewählte Terminus "private demotische Quellen", vor allem da der Autor keine Definition bietet, was genau er darunter versteht. So handelt es sich bei einigen der vorgestellten Dokumente um Urkunden, die durch ein (Tempel-)Notariat und nicht von, sondern eben für Privatpersonen ausgestellt wurden. Zu dem verbindlichen Formular zählte auch die Datierung nach dem amtierenden König. Diese Urkunden haben damit (wie auch andere herangezogene Quellen) durchaus einen "offiziellen Charakter" - und es ist zumindest in diesen Fällen irreführend, von einer Nennung Alexanders in privaten Quellen zu sprechen.
[3] In diese Richtung bereits M. Chauveau / Chr. Thiers: L'Égypte en transition: des Perses aux Macédoniens, in: P. Briant / Fr. Joannès: La transition entre l'empire achéménide et les royaumes hellénistiques (vers 350-300 av. J.-C.). Actes du colloque organisé au Collège de France par la «Chaire d'histoire et civilisation du monde achéménide et de l'empire d'Alexandre» et le «Réseau international d'études et de recherches achéménides» (GDR 2538 CNRS), 22-23 novembre 2004, Paris 2006, 375-404.
Volker Grieb / Krzysztof Nawotka / Agnieszka Wojciechowska (eds.): Alexander the Great and Egypt. History, Art, Tradition (= Philippika. Altertumswissenschaftliche Abhandlungen; 74), Wiesbaden: Harrassowitz 2014, 458 S., ISBN 978-3-447-10270-4, EUR 83,00
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