Der zyprische Präsident Erzbischof Makarios gehörte wie der Ägypter Gamal Abdel Nasser und der Kambodschaner Norodom Sihanouk zu der Riege nationalistischer Führer, die mit ständigem Finassieren den international ausgetragenen Konflikt zwischen den beiden deutschen Staaten auszunutzen wussten, um für ihre jungen blockfreien Staaten möglichst viel herauszuschlagen. Das machte sie in den 1960er-Jahren zum Schreckgespenst der an die Hallstein-Doktrin gefesselten Bonner Diplomatie, ohne dass Ost-Berlin aber wie gewünscht reüssieren konnte. Trilaterale Beziehungsgeschichten, die Archivbestände aufarbeiten, wie diese, sind angesichts der Bedeutung des Themas immer eine wissenschaftliche Bereicherung.
Makarios hatte sich seit der Unabhängigkeit Zyperns (1960) in der deutschen Frage klar auf die Seite der Bundesrepublik geschlagen. Angesichts der drohenden Teilung der eigenen Insel lag dies in seinem Interesse. Unter den Blockfreien war Zypern mit dieser Haltung aber eine Ausnahme. Dieser Startvorteil ging der Bonner Diplomatie verloren, weil ihr Denken auf die NATO gerichtet war und ihre strategische Äquidistanz zu Griechenland und der Türkei, den Hintergrundmächten des Zypern-Konflikts, die auch nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs (1964) beibehalten wurde, einer deutlichen Positionierung im Wege stand. So konnte die DDR 1964/65 offizielle Handelsbeziehungen mit Zypern aufnehmen.
Die Mitte der 1960er-Jahre war vom üblichen symbolischen Kleinkrieg der Bonner Botschaft gegen die Handelsvertretung der DDR geprägt. In Nikosia wurde er von einem besonders aggressiven Botschafter geführt - erfolglos, doch gleichzeitig hielt das zyprische Außenministerium die DDR-Vertretung an der kurzen Leine. Anfang der 1970er-Jahre sorgte der Wunsch Zyperns nach Assoziierung mit der EG für eine Annäherung an Bonn, bevor der deutsch-deutsch Grundlagenvertrag (1972) und die in dieser Studie nicht mehr behandelte türkische Invasion (1974) eine neue Grundlage schufen.
Diese Abläufe wurden in knapper Form bereits durch Werner Kilian erschlossen. [1] Kruse bietet dazu eine durch umfassendere Archivstudien fundierte Langfassung, die durchaus wichtige Einsichten vermittelt. So wird instruktiv die Bonner Aufbauhilfe für den zyprischen Staatsapparat in Form der Entsendung des NS-belasteten Heidelberger Juristen Forsthoff als Präsident des Verfassungsgerichtshofs untersucht, und es wird dargestellt, wie die DDR unterhalb der staatlichen Ebene auf Zypern Fuß fasste: durch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Genossenschaften, die Ausnutzung einer grundlegenden Sympathie auf dem ausgeprägten linken Flügel des zyprischen Parteienspektrums, humanitäre Hilfe für die Opfer der türkischen Luftangriffe von 1964 und schließlich durch Städtepartnerschaften. Vor allem bediente die DDR den dringenden Wunsch Zyperns nach Einbindung in den internationalen Luftverkehr, denn für Interflug spielte die Wirtschaftlichkeit keine Rolle. Die Versuche des Auswärtigen Amts, die Lufthansa in einen unrentablen Liniendienst nach Nikosia zu treiben, gediehen zwar bis zur Kabinettsbefassung, aber nicht weiter. Mit Recht stellt Kruse die politische Bedeutung von Luftverkehrsabkommen im den Anfängen des Jet-Zeitalters heraus.
Die sorgsame, landeskundige Einbettung der diplomatischen Beziehungen in die Verwicklungen der zyprischen Innenpolitik ist die Stärke dieser Münsteraner politikwissenschaftlichen Dissertation. Doch erbringt der betriebene Aufwand in der Regel nur Ergänzungen zu Kilians Skizze. Überhaupt setzt sich Kruse nur punktuell mit der Forschungsliteratur zur Hallstein-Doktrin auseinander; die maßgebliche fachhistorische Studie von Gray wurde nicht rezipiert. [2] Der innenpolitischen Einbettung fehlt das Gegenstück einer Kontextualisierung in den internationalen Beziehungen. Eine Studie, die die geostrategische Bedeutung Zyperns in der Perspektive der Bundesrepublik herausarbeiten will und auf die NATO fokussiert, sollte auf die Krise von deren Südflanke näher eingehen: Welche Bedeutung ist Zypern insgesamt zuzubilligen, angesichts des Rückzugs der Briten von Malta, der sowjetischen Flottenpräsenz im Mittelmeer und der Nahost-Krise? Zu Ulbrichts Besuch in Kairo 1965, vielleicht der wichtigsten Zäsur in der Geschichte der Hallstein-Doktrin, führt Kruse nur einen zeitgenössischen Artikel im "Spiegel" an (Anm. 831). Dann aber irritieren sachfremde Abschweifungen, z. B. zum Hitler-Stalin-Pakt (Anm. 201).
Das geringe Maß, in dem Kruse substantiell über den Forschungsstand hinaus gelangt, dürfte sich auch daraus erklären, dass die Quellengrundlage im Wesentlichen wieder die schon von Kilian ausgewerteten Akten des Auswärtigen Amts und des MfAA der DDR sind. Sicherlich bringt Kruse wichtige Ergänzungen aus Akten der SED und der Lufthansa. Obwohl der Autor den Umfang seiner Archivrecherchen in Nikosia betont, kommen aber die Akten des zyprischen Außenministeriums nur sporadisch ins Spiel. Ein wenig verwundert es auch, dass genau dieser Archivbestand im ausführlichen Quellenverzeichnis vergessen wurde, und dass in den Anmerkungen nur knappste Angaben zur Fundstelle gemacht werden, während deutsche Archivdokumente abundant beschrieben werden. Hier wäre ein klärendes Wort in der Einleitung angebracht gewesen. Dass ein zyprischer Beamter seinem Vorgesetzten auf Deutsch berichtet, wie das als wörtlich gekennzeichnete Zitat auf Seite 194 nahelegt, ist zu bezweifeln.
Kruse legt Wert darauf, die Wahrnehmung des Zypern-Problems durch die bundesdeutschen Akteure vor Ort und in Bonn zu rekonstruieren und kommt zu dem an sich überzeugenden (und nicht überraschenden) Schluss, dass antikommunistische Reflexe zu einer beträchtlichen Verzerrung führten. Die Quelleninterpretation weist jedoch methodische Schwächen im Umgang mit diplomatischen Akten auf. So soll sich etwa das Generalkonsulat Nikosia in seiner internen (!) Berichterstattung an das Auswärtige Amt vor der Unabhängigkeit zurückgenommen haben, "um die Engländer nicht zu verärgern" (36 f.).
Besonders erwähnenswert ist der opulente Abbildungsteil, der allerdings auch viel Füllmaterial enthält (Porträts der Bundeskanzler, Zeitungsausschnitte usw.).
Die Einsichten des Buchs wären leichter zu rezipieren, hätte Kruse auf unwesentliche Details verzichtet. Die strikt chronologische Erzählung besteht vor allem aus manchmal seitenlangen Paraphrasen von Archivunterlagen. In diesem Narrativ handeln die Akteure nicht, sondern schreiben, berichten, formulieren und merken an. Es ist ja instruktiv, dass im deutsch-deutschen Konkurrenzkampf auch die Abnahme einer unverkäuflichen Kartoffelernte zum politischen Objekt wird. Muss man aber entlang der Quellen noch zwischen Winter- und Frühkartoffeln differenzieren (220-222)?
Kruses zentraler Schluss, die gleichermaßen engen Beziehungen zu Griechenland und zur Türkei hätten es Bundesrepublik unmöglich gemacht, das aus dem übergeordneten strategischen Interesse an der Südflanke der NATO folgende Gebot strikter Neutralität im Zypern-Konflikt durchzuhalten, überzeugt. Die beabsichtigte Neubewertung der Rolle der Insel (11) kommt damit aber noch nicht zustande. Wenn Kruse der bundesdeutschen Diplomatie eine latent pro-türkische Haltung zuschreibt, darf außerdem gefragt werden, wie sich dieses Urteil zu seinen offenkundigen Sympathien für Makarios und die griechische Volksgruppe verhält.
Anmerkungen:
[1] Werner Kilian: Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955-1973, Berlin 2001.
[2] William G. Gray: Germany's Cold War. The Global Campaign to isolate East Germany, 1949-1969, Chapel Hill 2003. Rezension: http://www.sehepunkte.de/2004/05/4438.html
Thorsten Kruse: Bonn-Nikosia-Ostberlin. Innerdeutsche Fehden auf fremdem Boden 1960-1972 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 58), Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013, 367 S., ISBN 978-3-4470-6766-9, EUR 49,00
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