Die Geschichte der griechischen Linken im 20. Jahrhundert, insbesondere der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), ist in Griechenland gut aufgearbeitet worden. Neben offiziellen Publikationen der KKE, die den marxistisch-leninistischen Standpunkt der Partei wiedergeben und der aktuellen Linie des jeweiligen ZK angepasst wurden, existieren wissenschaftliche Werke, die Aufschluss über Ereignisse, Parteien und einzelne Akteure geben. Allerdings fehlt die große Synthese. Im deutschsprachigen Raum hingegen sind nur Teilaspekte der Geschichte der KKE - beispielsweise ihre Rolle während der Bürgerkriege (1943-1944 und 1946-1949) - untersucht worden.
Um diese Lücke zu schließen, möchte der Griechenland-Historiker Heinz Richter mit seinem Buch über die Geschichte der griechischen Linken eine Gesamterzählung bieten - was ihm auch gelingt. Um dem Leser ein kompaktes Informationswerk an die Hand zu geben, hat er Quelleneditionen der KKE sowie Memoiren ausgewertet und die einschlägige Literatur umfassend eingearbeitet. Seine "Geschichte der griechischen Linken" kann daher als die Summe seiner jahrelangen Forschungen zu diesem Thema angesehen werden.
Das Buch gliedert sich in 13 Kapitel. Die ersten neun Kapitel sind der Geschichte der KKE von den Anfängen der sozialistischen Bewegung in Griechenland um die Jahrhundertwende bis zur Niederlage der Partisanenbewegung im Bürgerkrieg 1949 gewidmet. Die Geschichte der Linken ab 1949 - und insbesondere ab 1974 - fällt hingegen deutlich kürzer aus. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Griechenland wäre es sinnvoll gewesen, die Zeit nach dem Ende der Militärdiktatur 1974 ausführlicher zu behandeln, zumal die Beteiligung der Linken am parlamentarischen System in dieser Periode zum ersten Mal reibungslos vollzogen und von den bürgerlichen Kräften akzeptiert wurde.
Richter wählt eine doppelte Vorgehensweise: In jedem Kapitel geht der Geschichte der griechischen Linken die Beschreibung der allgemeinen politischen Entwicklung Griechenlands voraus. So will der Autor die Entscheidungen linker Akteure in den jeweiligen Zeitkontext einordnen und dem Leser die Hintergründe besser verständlich machen. Jedoch besteht hier die Gefahr einer Verwischung der Schwerpunkte, denn die Darstellung der griechischen Vorgänge nimmt einen großen Raum ein.
Im Mittelpunkt steht - verständlicherweise - die Geschichte der KKE. Keine andere linke Partei hat die Geschicke Griechenlands derart beeinflusst und sogar die bewaffnete Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat gesucht. Wie es dieser Partei gelang, aus den bescheidenen Anfängen ihres Vorgängers, der Sozialistischen Arbeiterpartei Griechenlands (SEKE), im Jahr 1918 die revolutionäre Massendynamik der vierziger Jahre zu entfalten, davon handeln die ersten neun Kapitel. Darin beschreibt Richter faktenreich die Entstehung und die Entwicklung der KKE bis zum Bürgerkriegsende 1949. Die Phase der "unmöglichen Revolution" in der Zwischenkriegszeit - um an die Titel der grundlegenden Werke von Aggelos Elefantis und Polymeris Voglis anzuknüpfen, die Richter leider nicht erwähnt - wurde von erbitterten Fraktionskämpfen begleitet. Am Ende stand die Stalinisierung der KKE nach der Intervention der Komintern und der Ernennung von Nikos Zachariadis zum Generalsekretär Ende September 1935.
Während der Diktatur unter Ioannis Metaxas (1936-1941) wurde die KKE wie keine andere Partei systematisch verfolgt; ihre Führung wurde verhaftet, und zahlreiche Mitglieder oder Sympathisanten wurden auf verschiedene Ägäis-Inseln verbannt. Erst der Beginn der deutschen Besatzungszeit im April 1941 eröffnete der KKE neue Handlungsspielräume. Richter erklärt die Ursachen für den Erfolg der Kommunisten beim Aufbau einer politischen Massenbewegung (EAM) und eines schlagkräftigen Partisanenheeres (ELAS). Die Errichtung eines "Volksstaates" war zweifellos die Sternstunde der KKE.
In seiner Darstellung der Nachkriegsgeschichte (Kapitel 10-13) nimmt Richter weitere linke Akteure ins Visier. Während die KKE im osteuropäischen Exil mit ihren Dämonen der Besatzungszeit (1941-1944) und des Bürgerkriegs (1946-1949) zu kämpfen hatte, etablierte sich in Griechenland eine neue linke Partei, die Vereinigte Demokratische Linke (EDA). Richter schildert den Kampf von EDA-Abgeordneten um die Unabhängigkeit von der Exil-KKE als einen Emanzipationsprozess der demokratischen Linken. Hierin sieht er folgerichtig die Wurzeln der Spaltung der KKE im Jahr 1968 in einen orthodoxen und einen eurokommunistischen Flügel.
Waren es bis 1974 die Kommunisten, welche die politische Szene der Linken beherrschten, gehörte die Zeit danach der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) und ihrem charismatischen Gründer, Andreas Papandreou. Die PASOK entwickelte sich zu einer "zweiten EAM", die Anhänger der ehemaligen alten Parteien, linke Intellektuelle, Kommunisten, die Jugend und ärmere Schichten ansprach und um sich scharte. Papandreou war der "Klebstoff" für diese heterogenen Wählerschichten, die sich für seine verbalen Angriffe auf die NATO, die EWG und die "griechische Oligarchie" begeistern ließen (472). Knapp ein Jahr nach dem Beitritt Griechenlands zur EWG (am 1. Januar 1981) gewann die PASOK die Wahlen, und Papandreou wurde Ministerpräsident. Griechenland hatte seine erste sozialistische Regierung.
Für Richter stellt die Regierungszeit der PASOK eine "verpasste Gelegenheit" zur Reformierung der verkrusteten, vom Klientelismus geprägten politischen Strukturen Griechenlands dar. Die schnelle - und für viele überraschende - Verwandlung der PASOK in eine Partei alten Stils, die sich jedoch nicht nur damit begnügte, ihre Parteimitglieder mit Verwaltungsposten zu belohnen, sondern den gesamten Staatsapparat ihrem Willen unterwarf, bedeutete einen großen Rückschritt, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als das neue EWG-Mitglied vor der Jahrhundert-Herausforderung stand, den "großen Sprung" nach vorne zu wagen und den politischen und wirtschaftlichen Anschluss an den Westen zu erreichen. Die Folgen seien heute noch spürbar, resümiert der Autor.
Richters berechtigte und von konkreten Beispielen begleitete Kritik an der PASOK ist die eines von den griechischen Entwicklungen enttäuschten deutschen Sozialdemokraten, der die Geschichte des modernen Griechenland zum Lebensthema seiner wissenschaftlichen Forschungstätigkeit gemacht hat. In seinen "Erinnerungen eines Zeithistorikers" wird dies besonders deutlich. Diese sind nicht nur ein persönlicher Lebensbericht; sie gewähren Einblicke in die politische Situation Griechenlands seit Ende der sechziger Jahre, als er mit der Archivrecherche zu seiner Dissertation begann. Aus diesem Grund ergänzen sie sehr gut seine "Geschichte der griechischen Linken".
Geboren wurde Richter am 18. März 1939 in Heilbronn. Bereits in den ersten Jahren nach dem Untergang des "Dritten Reichs" entdeckte er seine Lust am Lesen. Die große Bibliothek seines Vaters überlebte jedoch die unmittelbare Nachkriegszeit nicht. Viele wichtige Bücher wurden gegen Mehl und Eier eingetauscht. Trotzdem las Richter alles an Literatur, was er in die Finger bekam, beispielsweise Gustav Schwabs berühmte Sagen, die in ihm das Interesse an der griechischen Antike weckten.
Seinen Weg zum modernen Griechenland fand Richter allerdings erst 1958 während einer abenteuerlichen Reise nach Thessaloniki und Ioannina. In Epirus wurde er mit den Spuren der jüngsten traumatischen Vergangenheit konfrontiert: Die Ruinen der von den deutschen Besatzungstruppen zerstörten Dörfer und die Erinnerungen der Landbevölkerung an den Bürgerkrieg (1946-1949) öffneten ihm die Augen für das tragische Schicksal eines kleinen Landes, das dem Durchschnittsbürger in West- und Mitteleuropa weitgehend unbekannt war. Zurück in Deutschland nahm Richter ein Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und englischen Philologie an der Universität Heidelberg auf. Im Fach Geschichte besuchte er Vorlesungen von Werner Conze und des Schweizer Historikers Rudolf von Albertini. Bei einem Seminar über die Konferenzen von Jalta und Potsdam fand er die Gelegenheit, seine Forschungsinteressen mit seiner persönlichen Griechenland-Suche zu verbinden.
Als Richter mit seiner Dissertation im Jahr 1967 begann, wurde in Griechenland eine Militärdiktatur errichtet. Seine Archivrecherche in Athen gestaltete sich unter dem antikommunistischen Obristen-Regime äußerst schwierig, da die Zeit der deutschen Besatzungsherrschaft tabuisiert und die kommunistische Widerstandsbewegung verteufelt wurden. Die Suche des jungen deutschen Doktoranden nach zuverlässigen Zeitzeugen führte ihn schließlich zu ehemaligen, politisch gemäßigten Protagonisten. Einer von ihnen war der politische Kopf der früheren Widerstandsbewegung Nationale und Republikanische Griechische Liga (EDES), Komninos Pyromaglou. Richters Dissertation, die 1973 unter dem Titel Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946) erschien, spiegelt eindeutig Pyromaglous republikanisches Weltbild wider. Dieses Buch trug einerseits dazu bei, das staatlich verordnete antikommunistische Bild zu revidieren. Andererseits verfestigte es den Mythos von der "siegreichen verlorenen Revolution" der KKE.
Nach 1974 reiste Richter oft nach Griechenland und lernte zahlreiche Persönlichkeiten - unter anderen den gemäßigten linken Politiker Leonidas Kyrkos und den streitbaren Publizisten Nikolaos Dimou - kennen. Mit einigen von ihnen schloss er Freundschaften fürs Leben. In den achtziger Jahren richtete er seinen Forschungsblick zudem auf die Geschichte des geteilten Zypern, dem er vier Bände aus seiner historischen Werkstatt widmete.
Nach seiner Habilitation 1988 war Richter Privatdozent an der Universität Konstanz. Von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2003 lehrte er - ab 1995 als Professor - an der Universität Mannheim. Zusammen mit seinem Kollegen Reinhard Stupperich gibt er die wissenschaftliche Zeitschrift Thetis heraus. Dort werden Beiträge zur Geschichte und Archäologie Griechenlands und Zyperns veröffentlicht. Zugleich betreut er eine Publikationsreihe, Peleus, in der wichtige Monografien erscheinen. Aber sein Versuch, einen Lehrstuhl für griechische und zypriotische Zeitgeschichte an einer deutschen Hochschule zu gründen, war nicht erfolgreich.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Richter 2015 bekannt, als ihm der Prozess auf Kreta gemacht wurde. Angeklagt worden war er wegen "Leugnung" nationalsozialistischer Verbrechen. Der Stein des Anstoßes war die griechische Übersetzung seines Buches über die Eroberung Kretas im Mai 1941 durch deutsche Fallschirmjäger. Darin soll er die Verbrechen der Invasoren an der kretischen Zivilbevölkerung gerechtfertigt haben. In einem Kapitel seiner Erinnerungen schildert Richter ausführlich seine "kretischen Probleme". Sich selbst sieht er in der Rolle des Sündenbocks für die angebliche "deutsche Schuld" an der griechischen Wirtschaftskrise (150). Trotz der Mobilisierung lokaler kretischer Vereine und Verbände sprach das Gericht den deutschen Historiker - zu Recht - frei. Es sah sich nicht zuständig, über die Aussagen eines wissenschaftlichen Werks zu urteilen. Im Gegensatz dazu ist der Streit über die Aberkennung des ihm von der Universität Kreta verliehenen Ehrendoktortitels offen.
Richters lesenswerte Erinnerungen zeugen von dem jahrelangen Ringen des Autors mit seinem wissenschaftlichen Gegenstand und der politischen Kultur eines Landes, in dem er viele Freunde und Leser fand und an dem er oft verzweifelte. Zur Vermittlung der griechischen Zeitgeschichte in Deutschland hat er einen wichtigen Beitrag geleistet.
Heinz A. Richter: Geschichte der griechischen Linken (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 77), Wiesbaden: Harrassowitz 2017, 558 S., 24 Tbl., 3 Kt., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-447-10846-1, EUR 50,00
Heinz A. Richter: Hellas und Zypern in meinem Leben. Erinnerungen eines Zeithistorikers (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 76), Wiesbaden: Harrassowitz 2017, 235 S., 128 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-10769-3, EUR 30,00
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