Der Krieg bleibt in Darstellungen zur Kölner Stadtgeschichte häufig ein Fremdkörper. "Dabei ist das Themenfeld Kriegsführung und Vorbereitung auf die Kriegsführung von zentraler Bedeutung für die Kölner Stadtgeschichte" (11). In seiner Studie untersucht der Kölner Archivar Max Plassmann die Frage, wie die führenden politischen Kreise der Stadt Köln mit dem Thema Krieg und Kriegsgefahr umgingen. Dabei geht es Plassmann ausdrücklich darum, die Grundzüge dieses Umgangs herauszuarbeiten, um eine Grundlage für die nähere Analyse einzelner Epochen und Ereignisse zu schaffen. "Wie und auf welcher Basis führte die Stadt Köln Krieg, welche grundsätzlichen Annahmen und Faktoren leiteten ihre militärischen Entscheidungen und ihre Vorbereitungen auf mögliche Kriege? Was war letztlich die Strategie von Bürgermeistern und Rat als politisch führender Elite, um die Interessen der Stadt und ihrer Bürger in kriegerischen Zeiten zu wahren?" (14) Entsprechend ist die Untersuchung Plassmanns als Längsschnittanalyse angelegt und deckt den Zeitraum der sich weitgehend selbstverwaltenden Kölner Bürgergemeinde zwischen dem 12. und 18. Jahrhundert ab (12-13).
Seine ausschließlich auf die Kölner Perspektive zugeschnittene Studie unterteilt Plassmann in zwei Abschnitte: Zunächst werden die grundlegenden Rahmenbedingungen wie Stadtverfassung, bewaffnete Kräfte, Militärverwaltung, geografische und politische Rahmenbedingungen, ökonomische Grundlagen und der Aspekt der Kölner Stadtbefestigung geschildert. Im zweiten Abschnitt analysiert er, anhand ausgewählter Beispiele, das Handeln der Stadt Köln in drohenden oder offen ausgetragenen Konflikten. Schon mit der Gliederung dieses Teils der Arbeit legt Plassmann ein Analyseraster vor, anhand dessen die verschiedenen "Szenarien gewaltsamer Auseinandersetzungen" behandelt werden. Trotz des sehr weit gefassten Untersuchungszeitraumes gelingt es ihm anhand verschiedener Beispiele die Motivation und Handlungsspielräume der Stadt differenziert darzustellen. Dabei arbeitet er schlüssig die Grundkonstante und oberste Prämisse der kölnischen Sicherheitspolitik heraus: Die Unabhängigkeit und Freiheit der Stadt zu bewahren. Mag dies noch relativ wenig überraschend sein, gelingt es ihm auch zu zeigen, wie und warum Köln über die Jahrhunderte hinweg defensiv agierte und sich beispielsweise kein eigenes Territorium aufbaute. "Nicht eine besondere Friedfertigkeit, sondern schon eine nüchterne Analyse der Möglichkeiten führten zu einer eher friedfertigen Politik" (118). Diese eher friedfertige Politik war den politischen Rahmenbedingungen und dem relativen (militärischen) Machtverlust der Stadt im Laufe der Zeit geschuldet. So urteilt Plassmann, dass sie seit dem 16. Jahrhundert kaum noch politische und militärische Ziele über die Absicherung der eigenen Existenz als Reichsstadt verfolgen konnte. (176) Selbst die Stadtmauer, als unentbehrliches Mittel um die Unabhängigkeit zu garantieren, konnte der Stadtrat aus eigener Kraft nicht mehr ausreichend bemannen. Die daraus resultierende Abhängigkeit von Bündnispartnern zwang Köln auch zu militärischen Ausgaben und Unternehmungen z. B. im Rahmen von Reichskriegen, die die Stadt bestenfalls indirekt sicherten.
Das kölnische Engagement muss jedoch immer auch unter politischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Augenfällig ist in jedem Fall, dass es neben der Schlacht von Worringen und dem Neusser Krieg praktisch keine größeren militärischen Unternehmungen im direkten Umfeld gab. Die kölnische Politik hat an diesem Frieden entscheidend mitgewirkt. Man vertraute seine eigene Sicherheit nicht blind Reichsinstitutionen wie dem Kaiser oder dem Niederrheinisch-Westfälischen Kreis an. Dort assoziierte Fürsten und deren Interessen mussten genau beobachtet werden, sodass Köln seine Belange schützen und wo immer es sinnvoll war auch kooperieren konnte. Dabei bedeuteten militärische Vorteile einer Kooperation nicht automatisch politische und wirtschaftliche Vorteile (173/174). Plassmann identifiziert ein weiteres Grundmuster der Kölner Politik: "Den Schutz von Kaiser und Reich oder Reichsinstitutionen zu suchen, und zwar gegen den Erzbischof von Köln. Der Einsatz von Truppen außerhalb der Stadt diente [...] häufig dem Ziel, die notwendige Gegenleistung für Schutz und Unterstützung zu erbringen, und keinen unmittelbaren Kölner Interessen" (152). Auch griff Köln bei Bedarf auf das Mittel einer (zeitlich befristeten und situationsabhängigen) Neutralität zurück. Dies geschah jedoch stets unter der Prämisse Verluste zu vermeiden, politische Ziele zu erreichen und wirtschaftliche Interessen zu wahren. Eine Neutralitätspolitik verfolgte die Stadt nicht, sondern sie stand im Rahmen der eigenen Opportunität auf der Seite des Kaisers (205). Die zunehmende militärische Schwäche beeinträchtigte auch die politische Position Kölns; gleichzeitig konnte man auch Vorteile daraus ziehen - denn Köln war, wie Plassmann eindrücklich zeigt, als Festung, Verkehrsknotenpunkt und Handelszentrum für jede potenzielle Konfliktpartei attraktiv. Auf Grundlage seiner Infrastruktur konnte man es sich tatsächlich leisten, militärisch ins Hintertreffen zu geraten und defensiv zu agieren, aber trotzdem gleichzeitig eine politisch wichtige Rolle spielen (224).
Eine Stärke der Studie ist ihre große Quellennähe, in der ausführlich auf die Bestände des Stadtarchivs zurückgegriffen wird. Plassmann thematisiert aber auch die hinsichtlich der Fragestellung schwierige Quellenlage: Zwar ist die archivalische Überlieferung für die Stadt Köln günstig, jedoch fehlen fast immer (auch in der Frühen Neuzeit) Angaben zur Entscheidungsfindung und zu den Mehrheitsverhältnissen im Rat. Sowohl die Ratsprotokolle als auch die Ratskorrespondenz lassen daher oft nur Rückschlüsse und indirekte Nachweise zur Motiven, Verhandlungen und Durchführung von militärischen Aktivitäten zu (25-26).
Äußerst interessant sind die Abschnitte, in denen Plassmann zeigt, wie Köln sich immer wieder an die sich verändernden Rahmenbedingungen anpasste, Bedrohungslagen analysierte, Bündnisse aktivierte und sich auf einen Konflikt vorbereitete; gleichzeitig aber versuchte, die eigenen Aufwendungen und Verluste zu minimieren. In diesem Zusammenhang macht der Autor klar, wie bewusst sich Köln seiner eigenen Schwäche war. "Weder finanziell noch hinsichtlich der Bevölkerungszahl konnte sie [Köln] aber - wie andere Reichsstädte auch - in der Frühen Neuzeit eine eigenständige, auf eigenen Mitteln basierende Konkurrenz zu den Fürsten darstellen" (204). Auch das Scheitern des kölnischen Systems in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird von Plassmann untersucht. In Folge der politischen Umwälzungen im europäischen Mächtesystem konnte Köln den Verlust der Unterstützung durch Kaiser und Reich nicht mehr diplomatisch kompensieren, was zu einer regelrechten Ohnmacht und in der Konsequenz zum Verlust der Selbstständigkeit führte.
Im besonders lesenswerten Kapitel "Grundzüge einer Strategie der Reichstadt Köln" konzentriert Plassmann seine Thesen und argumentiert dafür, die auf dem Minimalkonsens basierenden Kölner Kriegslenkungen nicht mit den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie sie an die vormodernen Staaten angelegt werden. Ziele, Handlungsoptionen und Mittel waren kaum zu vergleichen und müssen daher aus einer anderen Perspektive analysiert werden (243/244).
Die Studie ist ein wichtiger Beitrag nicht nur zur kölnischen Stadtgeschichte, sondern zur (reichs)städtischen Geschichte und Militärgeschichte insgesamt. Dem Autor gelingt es, die scheinbaren Widersprüchlichkeiten der Rahmenbedingungen zu analysieren und die kölnischen Handlungsmuster herauszuarbeiten. Sowohl für die Analyse einzelner Epochen der Stadtgeschichte, wie auch die Analyse anderer Städte und mindermächtiger Herrschaften gibt Plassmann wichtige Denkanstöße und Perspektiven.
Max Plassmann: Eine Stadt als Feldherr. Studien zur Kriegsführung Kölns (12.-18. Jahrhundert) (= Stadt und Gesellschaft; Bd. 7), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, 295 S., 30 Farbabb., ISBN 978-3-412-51783-0, EUR 39,00
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