sehepunkte 21 (2021), Nr. 10

Andrea Seidler / István Monok (Hgg.): Reformation und Bücher

Das Zusammenspiel von Reformation und Buchdruck ist ein reich bestelltes Forschungsfeld. Umstritten ist darin höchstens die Bedeutung, die man dem einen für das jeweils andere beimisst: Ermöglichte der Buchdruck die Reformation? Oder bewahrte das Anliegen der Kirchenreform die noch junge Medienrevolution vor dem Scheitern? Gewannen die reformatorischen Lehren durch ihre Verbreitung im Druck lediglich an Fahrt? Oder wurden sie überhaupt erst durch das Medium geformt? Antworten sind zuletzt (wieder) verstärkt bei den Produkten gesucht worden. Das heißt bei den Büchern als Mittel der Kommunikation, als Ware, Gebrauchs- oder Wertobjekt. Gleichzeitig ist der Blick gerichtet worden auf jene "Büchermenschen"[1], die Bücher schrieben und herstellten, kauften und lasen, sie sich auf verschiedene Weise aneigneten und, teils so verändert, weitergaben. Und schließlich hat man sich diesen Prozessen auch in europäischer oder sogar globaler Perspektive zugewandt, hat sie, vor allem im Zeichen ihrer transkulturellen Wirkungen, als vielgestaltige "Reformationen" betont.[2]

Ein Band unter der Überschrift "Reformation und Bücher" müsste hier Anschluss finden. Tatsächlich sind die Voraussetzungen günstig: Anders als der Untertitel vermuten lässt, widmete sich die Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte 2017, die der Band abbildet, nicht nur den Zentren, sondern ausdrücklich auch der Peripherie. Dabei konzentrierte man sich mit Ostmitteleuropa auf einen Raum, der in der neueren Reformationsforschung stärkere Beachtung gefunden hat.[3] In der vorliegenden Publikation ist dieser Fokus noch verstärkt, indem zwei ungarländische Fallstudien die Tagungsbeiträge zur oberrheinischen und zur jesuitischen Buchproduktion ersetzen.[4] Alle elf Beitragenden sind für ihre Themen einschlägig ausgewiesen. Dementsprechend bieten einige Aufsätze fast schon handbuchartige Überblicke, während andere Zugänge zur ungarischen und tschechischen Forschung öffnen.

Souverän gestaltet ist etwa der Durchgang von Urs B. Leu durch das Zürcher Verlagswesen im 16. Jahrhundert. In statistischen Erhebungen und dem Abgleich mit anderen Standorten, von der Druckleistung bis auf die Ebene der Autorenhonorare, werden die wirtschaftlichen Impulse der Reformation für den lokalen Buchhandel nachgezeichnet. Die Paralleldarstellungen von Frédéric Barbier zu Straßburg, Karl Vocelka zu Wien und Detlef Haberland zu Schlesien folgen anderen Ansätzen: Barbier entwirft eine große struktur- und mentalitätsgeschichtliche Perspektive, in der Straßburg zum Hotspot der Reformation und des Buchdrucks prädestiniert erscheint. Vocelkas eher ereignisgeschichtlicher Überblick greift dagegen bis weit ins 17. Jahrhundert aus, um die vergleichsweise dürftigen Spuren zu erklären, die der Buchdruck in Wien hinterließ. Weil Haberlands Beitrag gleich drei Orte - Breslau, Liegnitz und Neisse - abdecken muss, fällt er konzentrierter aus. Zugleich ist darin ein verbindendes Element der Überblicksdarstellungen betont: der Seitenblick auf Drucker, Autoren und Herrschaftsträger, die, teils in wechselnden Rollen, an der Entwicklung des Handwerks wie der Reformprozesse Anteil hatten.

In den Mittelpunkt stellt diese Konstellation Karl W. Schwarz' Betrachtung des protestantischen Missionsprojekts in den slawischen Grenzregionen der Habsburgerherrschaft, das Primus Truber mit dem Drucker Hans Ungnad in Gang setzte und so fast nebenbei das Slowenische als Literatursprache etablierte. Ähnliche Initiativen zum Reformationsexport beleuchtet Zoltán Csepregi, allerdings im Zuschnitt auf Bekehrungshoffnungen gegenüber Christen unter osmanischer Herrschaft oder sogar den Osmanen selbst, die vom Austausch deutschsprachiger Reformatoren mit ungarländischen Korrespondenten befeuert wurden.

Nicht zuletzt gehörten zu diesem Informantennetz die Siebenbürgener Sachsen, die Attila Verók als eifrige Schüler, und das meint hier: Leser Melanchthons vorstellt. Erschlossen wird das, wie in allen übrigen Beiträgen, aus der Zusammenstellung zeitgenössischer Privat- und Schulbibliotheken. So liest István Monok die Entwicklung verschiedener ungarländischer Bibliotheken zwischen orthodoxer Bestandswahrung und dynamischer Ergänzung als Spiegel ihrer je äußeren, durch Krieg verhärteten oder kulturell durchmischten Disposition. Zur Vorsicht mahnt dagegen, nolens volens, Martin Krickls Dokumentation einer digitalen Erschließung der Wiener Hofbibliothek. Denn sie zeigt, dass selbst, wo sich Bestände einer bestimmten Zeitstellung rekonstruieren lassen, ein unwägbarer Rest bleibt, der historisch nicht erfasst wurde. In die gleiche Kerbe schlagen schließlich auch die Beiträge von Edina Zvara und Richard Šípek. Sie nehmen Adelsbibliotheken in den Blick, deren Bestände durch Erbfälle zerstreut oder neu kombiniert wurden und die erst durch die Sichtung von Nutzungsspuren offenbaren, wer welche Bücher wie gebrauchte - und dass darin die gedankliche Auseinandersetzung mit einem Text bloß eine Möglichkeit unter vielen war.

Insgesamt bietet der Band aber wenige solcher Einwände. Die Beiträge beruhen auf durchweg solider Literatur- und Quellenkenntnis. Zu leicht werden dabei aber eingefahrene Narrative - die Reformation als Modernisierungsprojekt und katholische Obrigkeiten als Fortschrittsverweigerer, Bücher als bloße Vehikel der (Reform-)Ideen usw. - bedient, die der Forschung nicht mehr selbstverständlich sind. Genuin neue Sichtweisen ergeben sich daraus jedenfalls nicht. Zumal einige Aufsätze hier nicht zum ersten Mal erscheinen, sondern nur oberflächlich verändert oder in Übersetzung.[5]

Geschuldet sind solche Versäumnisse aber letztlich der Herausgeberschaft. Schon die mehr assoziative - und vom Rezensenten aufgelöste - Abfolge der Beiträge ohne Rubriken zeigt an: Es fehlen die Leitmotive. Anstelle einer orientierenden Einleitung beschränken sich Andrea Seidler und István Monok auf ein "Vorwort", das im Wesentlichen den Ankündigungstext der Tagung wiederholt und die Beiträge zusammenfasst. Anschluss an die weitere Reformationsforschung wird kaum gesucht, methodische Prämissen werden nicht aufgestellt. Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit in den Begriffen: Warum man nun von "Peripheren Zentren" (7) sprechen oder verschiedene Faktoren und Akteure frühneuzeitlicher Herrschaft als "Macht" (8, 11) fassen will, wird weder selbst noch aus der Literatur erklärt. Entschuldigen mag man das, hier wie sonst im Band, mit der Fremdsprachigkeit einiger Mitwirkender. Ein sorgfältiges Lektorat hätte aber die Lesbarkeit insgesamt verbessert und manchen allzu groben Fehler - etwa eine im Kontext als "Mediatisierung" (41, 48) missverstandene médiatisation - rechtzeitig behoben. So bleibt von der Tagung, dass ihr, vom äußeren Anlass des Reformationsjubiläums abgesehen, augenscheinlich kein Erkenntnisinteresse aufgegeben war. Deshalb fehlt den Beiträgen ein gemeinsamer Auftrag und dem Band ein greifbares Ergebnis.


Anmerkungen:

[1] Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucksformen, Tübingen 2019 (= Beiträge zur historischen Theologie; Bd. 187), hier: 15ff.

[2] Im Horizont der Tagung etwa: Carlos M. N. Eire: Reformations. The Early Modern World, 1450-1650, New Haven / London 2016. Oder neuer: Ulinka Rublack (ed.): Protestant Empires. Globalizing the Reformations, Cambridge 2020.

[3] Matthias Weber (Hg.): Reformation, Berlin / München 2014 (= Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 22); Howard Louthan / Graeme Murdock (eds.): A Companion to the Reformation in Central Europe, Leiden 2015 (= Brill's Companion to the Christian Tradition; Bd. 61).

[4] Abrufbar unter: https://www.hab.de/wp-content/uploads/2019/04/hab_forschung_arbeitskreis_mediengeschichte_programm_2017.pdf [1.8.2021].

[5] Beispiele sind: Zoltán Csepregi: Der Königsboden unter Osmanenherrschaft? Türkenmission in Siebenbürgen? Fruchtbare Missverständnisse in Melanchthons und Bullingers Briefwechseln, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 40 (2017), 13-28; Edina Zvara: Esterházy Pál protestáns könyvei, in: Folyamatosság és változas. Egyházszervezet és hitélet a veszprémi püspökség területén a 16-17. században, hg. von Balázs Karlinszky / László Tibor Varga, Veszprém 2018, 279-291.

Rezension über:

Andrea Seidler / István Monok (Hgg.): Reformation und Bücher. Zentren der Ideen - Zentren der Buchproduktion (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 51), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, 232 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11271-0, EUR 68,00

Rezension von:
Tilman Moritz
Universität Paderborn
Empfohlene Zitierweise:
Tilman Moritz: Rezension von: Andrea Seidler / István Monok (Hgg.): Reformation und Bücher. Zentren der Ideen - Zentren der Buchproduktion, Wiesbaden: Harrassowitz 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/10/33878.html


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