Die 1953 geschaffene Romanfigur des britischen Agenten James Bond ist bis heute wirkungsmächtig in der globalen Populärkultur. In den letzten Jahrzehnten hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen zugenommen. [1] Ebenso ist ein verstärktes biografisches Interesse an James Bond-Autor Ian Fleming zu verzeichnen. [2] 2023 ist die hier zu besprechende Aufsatzsammlung von Martin D. Brown, Ronald J. Granieri und Muriel Blaive erschienen, die Bond in den Kontext des Kalten Krieges einbettet. Wie die Herausgeber in der Einleitung betonen, ist der "Super-Spion" eine ganz wesentliche Kreation des "westlichen Kalten Krieges", ein heroischer Verteidiger von Demokratie, Kapitalismus und Freiheit. Im Rahmen der hier besprochenen multi-perspektivischen Studie erscheint Bond freilich komplex und vieldimensional. Der Band ist dabei in vier Teile gegliedert.
In Teil I "The Bondian Cold War" zeigt Mitherausgeber Brown zunächst auf, wie die Realität des Kalten Krieges in den Bond-Romanen stark gefiltert und verzerrt wurde. Fleming sei aufgrund seiner Vergangenheit als hochrangiger Mitarbeiter im Marine-Nachrichtendienst des Zweiten Weltkriegs eigentlich dazu prädestiniert gewesen, realistische Spionage-Belletristik zu schreiben. Doch um Bond optimal zu vermarkten, entschied er sich, den Plot so unpolitisch wie möglich anzulegen. Deshalb muss Bond gegen erfundene Verbrecher-Konglomerate wie SMERSH und SPECTRE antreten, während die kommunistische Bedrohung und viele klassische Schauplätze des Kalten Krieges in den Hintergrund treten.
Ronald Granieri erläutert, dass Bond spätestens durch die Verfilmungen in den 1970er Jahren eine "Amerikanisierung" erhalten habe, während die "Britishness" der Figur in den Romanen noch unverkennbar gewesen sei. Aber weil es nicht praktikabel war, Bond ganz nachzueifern, prägten US-amerikanische Actionhelden wie Jason Bourne oder Ethan Hunt neue Sichtweisen, die wiederum die jüngsten James Bond-Filme der Daniel Craig-Ära beeinflussten.
Bereits in den 1960er Jahren setzte laut Joseph Oldham ein Trend hin zu "Anti-Bond"-Stoffen ein, die den "Super-Agenten" bewusst konterkarieren: In Film-Adaptionen der Romane von John le Carré und Len Deighton sowie in den Fernsehserien Callan (1967-1972) und The Sandbaggers (1978-1980) wurde Spionage als moralisch ambivalentes, von grauen Bürokraten betriebenes Geschäft dargestellt.
Klaus Dodds und Lisa Funnell beleuchten die Nutzung von verborgenen Orten in der Tiefsee, in Vulkankratern und monströsen Bunkern als Bond-Handlungsorte, was sowohl den Zeitgeist des Kalten Krieges als auch das in den 1960er Jahren stark ausgeprägte Interesse an Tiefseeforschung und verborgenen Welten widerspiegelt.
Ein besonders gewinnbringender Abschnitt des Buchs ist Teil 2 zu "Facts versus Fiction", der sich mit realpolitischen Bezügen beschäftigt. So legt Gill Bennett dar, dass - obgleich viele Bond-Abenteuer von Fleming sensationalisiert wurden - der Autor Aspekte aus seiner Biografie und persönlichen Erfahrung verarbeitet hat. Dies lässt sich anhand von mittlerweile freigegeben Unterlagen in britischen Archiven nachvollziehen.
Ron Vogels Interview mit dem früheren Mossad-Agenten Avner Avraham macht deutlich, wie realitätsfremd James Bond letztlich ist. Gleichzeitig wird der fiktive Agent als Synonym für den ultimativen Geheimdienstmitarbeiter selbst von erfahrenen, echten Spionen geschätzt. Auch hat ein früherer Leiter des britischen Auslandsgeheimdiensts Bond als den besten "Rekrutierungs-Sergeant" für den Nachwuchs beschrieben.
Die Grenzen zwischen Imagination und Realem werden mitunter fließend, wie Trevor McCrisken und Christopher Moran darlegen. So versuchten CIA-Wissenschaftler erfolgreich, den ikonischen Spezialschuh mit der vergifteten Klinge aus From Russia with Love (1963) nachzubauen. Laut einem KGB-Überläufer sah sich das Zentralkomitee der KPdSU jeden neuen Bond-Film an, um nach Möglichkeit etwas aus der High-Tech-Ausrüstung kopieren zu lassen. Fleming selbst war mit CIA-Chef Allen Dulles bekannt und wurde bei einer Diner Party beim Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy im März 1960 um seine Meinung gebeten, wie Bond wohl mit dem kubanischen Rebellenführer Fidel Castro verfahren würde. Fleming schlug vor, das Castro-Regime mit psychologischer Kriegsführung zu destabilisieren. Seine Idee, auf Kuba Angst vor nuklearer Verseuchung zu schüren und so gegen den sowjetischen Verbündeten Stimmung zu machen, wurde Dulles zugetragen, der Gefallen daran fand.
Dass das Bond-Phänomen große Wirkung hinter dem Eisernen Vorhang entfaltete, zeigen im dritten Teil "Global Bond: Behind the Curtain" die Beiträge von Filip Kovacevic, Tarik Cyril Amar und Karsten Brüggemann. Obgleich das Produkt Bond in den Ostblockstaaten legal nicht erhältlich war, wurden sowohl Romane als auch Filme produziert, die einen sowjetischen Gegentyp zu Bond entwarfen, der letzterem politisch, intellektuell und moralisch überlegen zu sein hatte.
Der Bond-Film The Living Daylights (1987) nimmt laut Arne Segelke eine Sonderstellung ein, weil er Bond in einem damals tagesaktuellen geopolitischen Konflikt positionierte. Dabei handelte es sich um den "Jihad" der afghanischen Mudschahedin gegen die Rote Armee. Der Film habe ähnlich wie Rambo III (1988) dabei mitgeholfen, diesen Konflikt an die westliche Öffentlichkeit zu verkaufen.
Die Beiträge des vierten Teils "Of Human Bondage: Gender, Sexuality and the Spy" nähern sich ihrem Sujet unter gendergeschichtlichen Fragen. Tanfer Emin Tunc zufolge fing Bond den Zeitgeist der 1960er Jahre ein, indem er nicht nur den Optimismus des "American Way of Life" transportierte, sondern dem männlichen Publikum auch eine erstrebenswerte heterosexuelle Cold War-Maskulinität vorführte.
Dagegen zeichnen Stephanie Jones und Claire Hines nach, wie der britische Kinostarts von Octopussy (1983) mit der Wiederwahl von Margaret Thatcher in den Unterhauswahlen vom Juni 1983 zusammenfiel. Die im Film transportierten Gender- und Kalter Kriegs-Thematiken wurden medial im Sinne des Thatcherism wiedergegeben. Sowohl in Octopussy, als auch For Yor Eyes Only (1981) finden sich kurze Anspielungen auf Thatcher, was deren Bedeutung sowohl legitimierte als auch ironisch untergrub.
Zusammenfassend ist "The Bondian Cold War" ein vielschichtiger Band, der wichtige Impulse gerade für die deutschsprachige Bond-Rezeption liefert, die bis dato vor allem auf kulturwissenschaftliche oder filmhistorische Aspekte fokussiert ist.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a: James Chapman: Licence to Thrill. A Cultural History of the James Bond Films, London 1999; Edward P. Dallis-Comentale / Stephen Watt / Skip Willman (eds.): Ian Fleming and James Bond: The Cultural Politics of 007, Bloomington 2005; Claire Hines / Terence McSweeney / Stuart Joy (eds.): James Bond Will Return: Critical Perspectives on the 007 Film Franchise, New York 2024.
[2] Oliver Buckton: The World Is Not Enough: A Biography of Ian Fleming, London 2021; Nicholas Shakespeare: Ian Fleming: The Complete Man, London 2023.
Martin D. Brown / Ronald J. Granieri / Muriel Blaive (eds.): The Bondian Cold War. The Transnational Legacy of a Cultural Icon (= Routledge Studies in Espionage and Culture), London / New York: Routledge 2023, 270 S., ISBN 978-0-3675-6936-5 , GBP 130,00
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