sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8

Stefania Gerevini: Facing Crisis

Die Amtszeit des Dogen Andrea Dandolo (1343-1354) verlief turbulent. Der Chronist Marino Sanudo (1466-1536) charakterisiert sie knapp, aber völlig zutreffend folgendermaßen: In questo suo tempo, sempre quasi fu guerra, peste e carestia. [1] Hinter der Trias "Krieg, Pest und Hungersnot" verbergen sich gesellschaftspolitische Herausforderungen, denen zu begegnen keine einfache Sache war: Neben die Jahrtausendkatastrophe der Großen Pest von 1348 traten wachsende Spannungen mit den Stadtstaaten in Norditalien, die dem territorialen Ausgreifen Venedigs mit Argwohn begegneten, ein Krieg mit der großen Rivalin Genua und innenpolitische Spannungen im Nachklang zur Serrata von 1297, d.h. zur Abschließung des Großen Rats. Welche Rolle kam den Adligen in der Regierung der Serenissima zu, über welche Machtfülle verfügte der Doge, wie ließ sich die Zweiteilung der Bürger in cittadini originari und cittadini per privilegio kalibrieren? Andrea Dandolo fand einige ausgesprochen probate Lösungen, die wesentlich zur Problembewältigung und zum Wandel in der politischen Ausrichtung Venedigs beitrugen.

In der vorliegenden Studie wird Wandel durch das Brennglas der Krise hindurch betrachtet, wobei Krise gleichermaßen als aktuelles Ereignis wie als "faculty to discern and adjudicate" (5) verstanden wird. Der Krisenbegriff selbst rückt damit sehr nahe an das heran, was (zumindest im monastischen Bereich) als Schlüsselqualifikation für Menschen in Leitungsfunktionen galt und gilt: discretio, d.h. die Gabe, abhängig von Ort, Zeit und Umständen Entscheidungen immer wieder neu und anders, eben situationsadäquat, zu treffen. Andrea Dandolo verfügte über die Gabe der discretio. Er zeigte nicht nur "enduring concern for legitimacy, institutional continuity, and legal order" (26), erneuerte das Verwaltungswesen verfasste eine Summula statutorum floridorum Veneciarum, eine Chronica brevis und eine Chronica per extensum descripta, sondern ließ auch sämtliche von der Serenissima bisher geschlossenen inneritalienischen und "ausländischen" Verträge in zwei Bänden sammeln und ordnen. Ergebnis waren der Liber Blancus und der Liber Albus. Integraler Bestandteil der politischen Reformbemühungen war der Bereich der Kunstpatronage.

Gegliedert in vier große Abschnitte (I. Facing Crisis; II. The High Altar; III. The Chapel of Sant'Isidoro; IV. The Baptistery of San Marco) betrachtet Stefania Gerevini, Associate Professor an der Mailänder Privatuniversität Bocconi und Research Fellow der British School in Rom, in ihrem neuen Werk die "complex fabric of Venetian public patronage and the dynamic social and political realities that undergirded it" (5). Im Medium der Kunst zeigte sich das ganze Spektrum der aktuellen Probleme, die Dandolo, die venezianische Regierung und die breitere Gesellschaft beschäftigten. Die im Markusdom vorgenommenen Arbeiten werden als öffentlichkeitswirksame visuelle Aussagen und integraler Bestandteil der Bemühungen um eine Reform des Staatsaufbaus verstanden. Zentralthese ist, dass sich in den von Dandolo in San Marco initiierten Projekten die politischen Spannungen der Zeit ebenso wie die durch sie hervorgerufenen institutionellen und kulturellen Reaktionen abbilden.

Wenn es in der Natur von Krisen liegt, das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinschaft zu bedrohen, das Überleben dieser Gemeinschaft aber von der Ausübung von krisis abhängt, dann folgt daraus, dass die Fähigkeit Venedigs, als mittelalterliches christliches Gemeinwesen Krisen zu bewältigen, wesentlich von seiner Fähigkeit abhing, situationsabhängig und angemessen auf Störungen und Veränderungen im göttlichen Heilsplan zu reagieren. Historiographie in Bild und Wort spielte in diesem Prozess eine zentrale Rolle.

Im Zeitraum von 1343 bis 1345 wurde der goldene, aus Byzanz stammende Altar von San Marco pro magnificentia civitatis überarbeitet, der Eingriff selbst auf der pala d'oro durch zwei lange Inschriften verewigt. Zeitgleich gab man bei Paolo Veneziano eine pala feriale in Auftrag, die für San Marco beispiellose Momente intensiver Hingabe, menschlichen Leids und göttlicher Intervention zeigte, die ihrerseits als Reaktion auf das erhöhte Bedürfnis nach Sicherheit in Zeiten von Instabilität verstanden werden konnten. Deutlicher als zuvor kündete das Altarensemble, dem eine wichtige Rolle im politischen Zeremoniell Venedigs zukam, nun von der praesentia des Hl. Markus und dem Schutz, den dieser Staatspatron "seinem" Gemeinwesen zu gewähren gewillt war.

Die Neugestaltung des Hochaltarensembles war jedoch nur eines der im Innenraum von San Marco verwirklichten Projekte. Zu ihnen gehörte auch die dem Ritterheiligen Isidor von Chios geweihte Kapelle. Im ab 1350 verwirklichten Bildprogramm wurden frömmigkeitstheologische Bedürfnisse und politische Ideen abgebildet, die sich maßgeblich aus den aktuellen Konflikten und Krisen ableiteten. Dandolo hatte die Isidor-Reliquien, die Anfang des 12. Jahrhunderts nach Venedig überführt worden und seither in Vergessenheit geraten waren, "neu" entdeckt und mit der Kapelle für einen würdigen Aufbewahrungsort gesorgt. Die reiche Ausstattung mit Bild, Text und Skulptur band säkulare Geschichte und Hagiographie aneinander und sollte die Gläubigen von der interzessorischen Wirkkraft des Heiligen überzeugen - und dies in einer Zeit, in der Venedig Krieg gegen die Erzrivalin Genua führte (in deren Einflussbereich sich die Heimatinsel Isidors, Chios, damals befand). Die Kapelle zeugt von dem Bemühen "to memorialize Venice's long-standing engagement with the East, its military prowess, and the priority of its presence in lands that were later (re)claimed by Genoa and other rivals" (125). Mit Blick auf die Rolle des Dogen ist festzuhalten, dass bildlich der Eindruck vermittelt wird, er agiere außerhalb Venedigs als mit sämtlichen Vollmachten ausgestatteter Oberbefehlshaber, in Venedig selbst aber als oberster Beamter des Staates, als Inkarnation von Gerechtigkeit und städtischer Frömmigkeit, dessen Machtfülle durch den Adel eingehegt wurde.

Die Mosaiken des Baptisteriums wurden noch vor Dandolos Dogat in Angriff genommen und waren vor seinem Tod vollendet. Sie bildeten die Heilsgeschichte ab, setzten auf ein "reenactment of Christ's death and resurrection" (163) und lieferten kraftvolle biblische Beispiele für soziale Interaktion, Assimilation und Einheit in der Vielfalt. Das Kuppelmosaik mit Szenen der Aussendung der Apostel verwies auf Venedigs koloniale Ansprüche und auf eine expansionsbedingte soziale Diversität. Die Tatsache, dass der Doge in der großen Kreuzigungsszene an der Ostwand des Baptisteriums in kniender Demutshaltung vor dem Gekreuzigten (ohne Ehefrau und Kinder) zu sehen ist, legt die Betonung auf Dienst und Aufopferung, weniger auf Privilegien und persönliche Macht. Die Darstellung des Dogen und zweier Amtsträger erfolgt ohne konkrete Namensnennung. Ersterer erscheint als Diener der Stadt, nicht als ihr Beherrscher, eingebunden in gemeinschaftlich verantwortetes Regierungshandeln, für dessen rechte Ausführung wiederum die beiden Amtsträger stehen. Venedigs einzigartige Regierungsform - das, was in Aristoteles' Politik als regimen mixtum charakterisiert wird und von Ptolemäus von Lucca und Heinrich von Rimini, beide mit den politischen Verhältnissen in Venedig wohlvertraut, positiv beschrieben wurde - fand so an zentraler Stelle eine eingängige Würdigung.

Durch drei im Chorbereich, der Isidor-Kapelle und im Baptisterium vorgenommene Arbeiten wurde in San Marco, der Hauptkirche Venedigs, "to crisis with krisis" reagiert (206). Die Beispiele verweisen insgesamt auf eine neue Vision von Regierungshandeln und zeugen von der Macht des Visuellen, durch das politische Bedeutung nicht nur vermittelt, sondern auch erzeugt werden konnte. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts war Venedig daran gelegen, (neu) zu definieren, was die Stadt war, wer dazu gehörte und wie sie am besten verwaltet wurde. Die Bilder in San Marco dienten zusammen mit Dandolos Rechtssammlungen und chronikalen Werken dazu, auf diese Fragen eine Antwort zu geben - sie wurden gleichsam zu Venedigs Verfassung in Bildern.

Die mit bewundernswerter Akribie und breiter Kenntnis der Quellen und der Sekundärliteratur ausgeführte Untersuchung, der eine Vielzahl qualitativ hochwertiger Abbildungen beigegeben ist, wird ihrem Untertitel gerecht: Kunst und Politik gingen im Bereich des Markusdoms eine kongeniale Verbindung ein. Nicht nur die Venedig-Forschung ist durch Gerevinis Arbeit reicher geworden, sondern grundsätzlich alle Disziplinen, in denen dem Zusammenspiel von politischem und künstlerischem Wirken nachgespürt wird.


Anmerkung:

[1] Marino Sanudo: Vitae ducorum Venetorum italice scriptae (= RIS; 22), Mailand 1733, 628.

Rezension über:

Stefania Gerevini: Facing Crisis. Art as Politics in Fourteenth-Century Venice, Dumbarton Oaks, Washington, D.C.: Dumbarton Oaks Research Library & Collection 2024, XII + 240 S., zahlr. Farb-Abb., ISBN 978-0-88402-503-0, GBP 75,95

Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venedig
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Stefania Gerevini: Facing Crisis. Art as Politics in Fourteenth-Century Venice, Dumbarton Oaks, Washington, D.C.: Dumbarton Oaks Research Library & Collection 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/07/39718.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.