Memoiren von Soldaten und insbesondere von Offizieren der Bundeswehr sind auf dem Buchmarkt eine Randerscheinung. Bei solchen Publikationen handelt es sich meist um sehr zurückhaltende Veröffentlichungen, wenn man den Begriff "glattgestrichen" vermeiden will. [1] Der Erkenntniswert solcher Autobiografien hält sich vielfach in Grenzen, weil Rücksichtnahmen auf andere zeitgenössische Akteure allzu oft unübersehbar sind.
Rolf Martens, geboren 1938, zwischen 1958 und 1985 Offizier der Bundesmarine und danach für ein schweizerisches Rüstungsunternehmen tätig, nimmt Anlauf, seinen Lebensweg zu erzählen. Um es vorwegzunehmen: Die vielfältigen und detaillierten Innenansichten seiner Vita und Verwendungen in der maritimen Teilstreitkraft der Bundeswehr wie im Bundesministerium der Verteidigung bieten Einblicke in die Karriere und den Alltag eines Marineoffiziers der Gründergeneration der Bundeswehr. Das ist ein militärgeschichtlicher Mehrwert an sich: Martens stellt immer wieder heraus, welche unterschiedlichen Generationen von Offizieren sich nach 1956 in der Bundesmarine zusammengefunden haben und nennt die Personen durchgängig mit Hinweisen auf ihren Eintritt in die deutschen Marinen, wenn er ihre Crew benennt, also den entsprechenden Offizierjahrgang. Auch das ist eine Besonderheit der deutschen Marinen, dass alle Offiziere einer Crew zugeordnet werden, die über die Jahrzehnte einen Kohäsionsfaktor im Marineoffizierkorps darstellt.
Die ersten elf Jahre seiner Marinelaufbahn verbrachte Martens durchgängig an Bord von Schiffen und Booten - meist veraltete und teilweise von der Royal Navy übernommene Erstausstattung -, wobei seine Zeit auf einem amerikanischen Raketenzerstörer der Charles-F.-Adams-Klasse (1965/66) herausragt. Solche modernen Schiffe bekam die deutsche Marine erst ab 1967. Der US-Zerstörer Claude V. Rickett, auf dem Martens fuhr, besaß dabei eine besondere Rolle, weil er als Versuch für die Multilateral Force der NATO (MLF) stand. Diese MLF sollte als atomar bewaffnete NATO-Flotte mit Über- und Unterwassereinheiten der Sowjetunion und ihrem aggressiven Gebaren eine weitere Komponente nuklearer Abschreckung entgegenstellen. Auf solchen Schiffen sollten Besatzungen aus verschiedenen Nationen zusammenwirken. Diese mixed manning demonstration auf Schiffen der US Navy wurde indes aufgegeben, als das MLF-Projekt scheiterte.
Martens, der dabei tiefe Einblicke in die moderne Raketen- und Sensorentechnik erhalten hatte, konnte in der Bundesmarine anschließend an einigen grundlegenden Vorschriften und Einsatzrichtlinien mitwirken, bevor er nach elf Jahren in der Marine an der Führungsakademie der Bundeswehr den "Lehrgang Admiralstabsdienst national" (vulgo: Generalstabslehrgang) besuchte. Damit war er prinzipiell für höhere Verwendungen in der Bundeswehr ausgewählt - wobei für die Marine grundsätzlich festgehalten werden muss, dass der Besuch dieses Lehrgangs nicht automatisch eine spätere Verwendung als Admiral bedeutete. Martens sollte genau das erleben.
Es verwundert in diesem Zusammenhang, dass Martens 1971 als nächste Verwendung ins Bundesverteidigungsministerium versetzt wurde. Dort war er als Stabsoffizier beim Chef des Stabes als Redenschreiber, persönlicher Referent und Mädchen für alles tätig. Chef des Stabes Fü S war Luftwaffen-Generalmajor Harald Wust, dessen schillernde Karriere in der Bundeswehr bis zum Amt des Generalinspekteurs führen sollte. Martens gewann an dieser Schnittstelle zwischen Militär und Politik vielfältige Einblicke in den Modernisierungsprozess, den die Bundeswehr seit etwa 1968/69 durchlief. Leider bleiben in Martens' Schilderungen jedoch die anderen Akteure im Umfeld der militärischen Spitze auffallend blass. Nach einem Bordkommando als 1. Offizier auf einem neuen Raketenzerstörer der Marine (D-103 Lütjens, Charles-F-Adams-Klasse, 1973-1975) folgte eine weitere Verwendung auf der Hardthöhe als Marineadjutant des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Admiral Armin Zimmermann. Hier gewinnt das Buch an Konturen, die Beschreibung der Akteure werden gehaltvoller.
Zimmermann war seit April 1972 Generalinspekteur, ausgewählt vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt. Er sah seinen Vorgänger General Ulrich de Maizière sehr kritisch, weil er "Veröffentlichungen pensionierter Generale über aktuelle Themen, die in Verantwortung der amtierenden Bundeswehrführung fielen, für wenig hilfreich hielt". (257) Martens geht dabei davon aus, dass es Verbindungen zwischen noch aktiven und ehemaligen Generalen gab. Differenzierte Beobachtungen zu den Personen der Leitungsebene im Ministerium runden seine Schilderungen ab. Krisen um Stasi-Informanten im BMVg, einen Kommandeur der Führungsakademie, der sich gegen die Akademisierung der Offizierausbildung wendete, und Konflikte an den Bundeswehruniversitäten - vor allem in Hamburg - um die richtige Mischung zwischen militärischer und wissenschaftlicher Bildung, und nicht zuletzt die Rudel-Affäre 1976/77 zeigen auf, dass auch der Adjutant des GI tiefe Einblick in die gesamte Bundeswehr gewinnen konnte. Der Absturz des Generals Wust als Nachfolger des verstorbenen Admirals Zimmermann erscheint in einem differenzierteren Blick als es die Aufzeichnungen von Hans Apel vermuten lassen. [2] Offensichtlich hatte der Bundesverteidigungsminister dem General aus persönlichen Animositäten und antimilitaristischen Marotten heraus das Wasser abgegraben. Freilich hätten tiefergehende Beschreibungen den Leser mehr über das Innenleben des Ministeriums erfahren lassen.
Die vielseitigen Schilderungen Martens' über eine abgebrochene Anschlussverwendung als Kommandant eines Zerstörers (sein maritimes Lebensziel!) führen unvermittelt in eine persönliche Krise; Familie und Alkohol waren die Belastungsfaktoren. Dann wurde er mit herausfordernden Landverwendungen auf das Abstellgleis geschoben. Das Karriereende war erreicht, wie seine Vorgesetzten urteilten. Der Abschied aus der Marine im Jahr 1985 kam auch für ihn plötzlich - als Folge des Personalstärkegesetzes unter Minister Manfred Wörner. Der Wechsel in eine zivile Beschäftigung bei einem schweizerischen Rüstungshersteller bedeutete einen neuen Lebensabschnitt. Da der Autor hier nur kursorisch darstellt, was er für diese Firma geleistet hat, bleibt dieser Abschnitt etwas vage.
Zu resümieren ist, dass das Buch vielfältige tiefe Einblicke vor allem in die technische Entwicklung der Bundesmarine ermöglicht. Die Überlast solcher Schilderungen im Buch wie auch die vielfache Zurückhaltung bei der Beschreibung anderer Personen in seinem persönlichen Umfeld, die mitunter in sachlicher Konkurrenz zu Martens und seinem Agieren gestanden haben, lassen aber nur bedingt erkennen, zu welchen Aushandlungsprozessen es sowohl innerhalb der Marine bei technischen Fortschritten als auch im Verteidigungsministerium um die Frage der richtigen Struktur gekommen ist. Leider verzichtet der Autor vollkommen auf Literatur, die den ein oder anderen beruflichen Lebensabschnitt hätte akzentuieren können.
Die phasenweise Einbindung privater Entwicklungen (etwa Familie, Kinder, Alkoholsucht, Borduntauglichkeit) lassen erkennen, wie entbehrungsreich ein Leben als Offizier, insbesondere der Marine mit ihren langen Auslandsreisen, ist oder sein kann. Dem Rezensenten drängt sich der Eindruck auf, dass diese negativen Seiten für den Beruf des Marineoffiziers durchaus bestimmend sind. Insofern ist es eine erschreckend sachliche Lebensbeschreibung mit maritimen Einsichten, die sich eher an ein maritimes Publikum wendet.
Anmerkungen:
[1] Festzustellen vor allem bei Ulrich de Maizière: In der Pflicht. Lebensbericht eines deutschen Soldaten im 20. Jahrhundert, Bonn 1989.
[2] Hans Apel: Der Abstieg. Politisches Tagebuch 1978-1988, Stuttgart 1990, 58-60.
Rolf Martens: Marine - Wirtschaft - Wissenschaft. Erlebnisse, Begegnungen und Reflexionen eines Offiziers der Nachkriegsgeneration 1958-2008, Berlin: Carola Hartmann Miles-Verlag 2025, 500 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-96776-093-4, EUR 44,80
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