sehepunkte 25 (2025), Nr. 11

Miroslav Šedivý: The Victory of Realism

"The Victory of Realism" ist der zweite Band einer vom Autor angekündigten Trilogie, die sich mit der öffentlichen Reaktion auf internationale Krisen und Kriege zur Mitte des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Während sich der erste Band mit der italienischen Halbinsel zwischen 1830 und 1848 befasste [1], widmet sich der hier besprochene zweite Band der Analyse dieses Prozesses anhand der Einwohner des Deutschen Bundes zwischen 1839 und 1853. Die dem Buch zugrunde liegende These lautet, dass die multiplen internationalen Krisen und Konflikte in diesem Zeitraum zu einer Verunsicherung innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung des Deutschen Bundes geführt hätten. Einerseits seien dadurch Zweifel an der Stabilität der postnapoleonischen Ordnung entstanden, andererseits sei es zu einer verstärkten Hinwendung zum Nationalismus gekommen, der sich in der Forderung nach einem Nationalstaat und einem stärkeren Militär geäußert habe (1-2).

Dem Autor gelingt es, beide Aspekte der These nachvollziehbar zu belegen und anschaulich darzustellen. Dafür ausschlaggebend sind vor allem zwei Gründe:

Zum einen ist das Buch sinnvoll gegliedert und der Gedankengang lässt sich insgesamt gut nachvollziehen. Auf die etwas umfangreiche, 40 Seiten lange Einleitung folgen acht Kapitel, in denen verschiedene Facetten der internationalen Krisenwahrnehmung innerhalb des Deutschen Bundes zwischen 1839 und 1853 nachgezeichnet werden. Der Beginn des Untersuchungszeitraums sei durch keinen großen Krieg markiert, sondern entstehe durch eine Anhäufung mehrerer internationaler Krisen (1), auf die die Menschen innerhalb des Deutschen Bundes je nach Distanz zur jeweiligen Krise unterschiedlich intensiv reagierten hätten (13). Dies wird durch die Kapitel über die Orientkrise 1839 (41-62), die Rheinkrise 1840 (63-112) und die seit 1840 entstehenden Sicherheitsbedenken gegenüber einer skandinavischen Liga im Norden (113-144) verdeutlicht. Daran knüpfen sich Analysen zur deutschen Wahrnehmung der imperialen Ambitionen des Britischen Empires, mit besonderem Schwerpunkt auf den ersten Opiumkrieg 1839-1842 und dem nicht erklärten Krieg gegen die beiden Siziliens 1840 (145-174), der österreichischen Annexion Krakaus 1846 (175-208), den nationalen Ambitionen in Italien und den territorialen Expansionen der Vereinigten Staaten von Amerika zwischen 1845-1848 (209-246) und den Revolutionen von 1848 (247-294) an. Die inhaltliche Analyse endet mit dem Kapitel "The Triumph of Realism" zwischen 1849 und 1853 (295-333). Das Ende des Untersuchungszeitraumes werde durch die Veröffentlichung des Buches "Grundsätze der Realpolitik" von August Ludwig von Rochau und dem Beginn des Krimkrieges 1853 markiert, der für viele Deutsche die Erfüllung ihrer Befürchtungen in Bezug auf die Instabilität der postnapoleonischen Ordnung bedeutet hätte (38).

Zum anderen verfügt das Buch über eine beeindruckende Quellengrundlage. Für die Jahre 1834-1850 fehlen zwar noch die Bände der von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Quellenedition zur Geschichte des Deutschen Bundes. Gleichwohl kann der Autor diese Leerstelle durch einen enormen Forschungsfleiß überwinden. Šedivý wertete Quellen aus 35 Archiven in 14 europäischen und amerikanischen Ländern aus, analysierte systematisch oder fallbeispielbezogen 72 deutsche und internationale zeitgenössische Zeitungen und Journale, sowie zahlreiche zeitgenössische Publikationen, Tagebücher, Memoiren und Reiseberichte und weitere kulturelle Quellengattungen. Insgesamt gelingt es dem Autor gut, anhand der ausgewerteten Quellen die Reaktionen innerhalb des Deutschen Bundes auf die internationalen Krisen nachzuzeichnen. Trotz dieser bemerkenswerten Quellenbasis ist die Verwertung stellenweise jedoch nicht ganz plausibel. So ist es beispielsweise nicht erkennbar, warum für Šedivýs Aussage "By the beginning of 1841, support for strong naval power could even be found in western and southern Germany" (113) eine 1841 in Zürich publizierte Schrift des 1839 in die Schweiz exilierten Georg Herwegh sowie zwei Ausgaben der Deutschen Volkshalle, einer ebenfalls in der Schweiz herausgegebenen Zeitschrift, als Beleg dienen sollen. Die Schweiz war weder Teil des Deutschen Bundes noch können dort lokalisierte Beiträge als Beleg für eine Wahrnehmung im Rheinland oder in Westfalen herhalten.

Im Fazit resümiert Šedivý, dass die Deutschen mit jeder neuen internationalen Krise nicht nur ihre eigene Stellung im internationalen System, sondern auch die sie tragende postnapoleonische Ordnung als solche hinterfragten (341). Dies wurde mit Fokus auf das Sicherheitsempfinden nachvollziehbar belegt. Für die Erklärung der gesellschaftlichen Transformationsprozesse und deren Einfluss auf die Wahrnehmung der internationalen Ordnung sowie der steigenden Bedeutung der nationalen Integration in den 1840/50er Jahren dürfte dies jedoch nicht ausreichen, da für ein vollständiges Bild weitere - vor allem ökonomische und soziale - Faktoren berücksichtigt werden müssen. Zudem hatten manche Elemente der postnapoleonischen Ordnung eine erheblich stabilisierende Wirkung auf das internationale Staatensystem und verliefen somit diametral zu den im vorliegenden Buch skizzierten Wahrnehmungsprozessen. Ein Beispiel hierfür ist die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen durch internationale Organisationen. Die Forschung hat in den letzten Jahren den stabilisierenden Einfluss der internationalen Flussschifffahrtskommissionen für die postnapoleonische Friedensordnung nachgewiesen. [2] Insofern fügt das vorliegende Buch der Diskussion über die Transformation des internationalen Systems in den 1840/50er Jahren einen wichtigen neuen Baustein hinzu, dem weitere folgen müssen, um ein vollständiges Bild zu erhalten.


Anmerkungen:

[1] Miroslav Šedivý: Si vis pacem, para bellum: The Italian Response to International Insecurity 1830-1848, Wien 2021.

[2] Joep Schenk: The Rhine and European Security in the long Nineteenth Century. Making Lifelines from Frontlines, New York 2021; Ders.: The Central Commission for the Navigation of the Rhine. A First Step towards European Economic Security? in: Beatrice de Graaf / Ido de Haan / Brian Vick (eds.): Securing Europe after Napoleon. 1815 and the New European Security Culture, Cambridge 2019, 75-94; Constantin Ardeleanu: The European Commission of the Danube, 1856-1948. An Experiment in International Administration, Leiden 2020.

Rezension über:

Miroslav Šedivý: The Victory of Realism. The German Quest for International Security 1839-1853, Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2024, VIII + 414 S., ISBN 978-3-506-79540-3, EUR 69,00

Rezension von:
Lennart Schmidt
Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Empfohlene Zitierweise:
Lennart Schmidt: Rezension von: Miroslav Šedivý: The Victory of Realism. The German Quest for International Security 1839-1853, Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/11/39729.html


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