Mit ihrem Band in der Reihe "C.H. Beck Wissen" hat die Autorin eine Abhandlung zu Kleopatra VII. in knapper Form und ohne Anmerkungen vorgelegt. Sie bespricht neben den wichtigen Eckdaten und Handlungssträngen in Ägypten sowie Rom auch die Wahrnehmung und Interpretation dieser weltbekannten Königin von der Antike bis in die Moderne.
Harders' Publikation fällt in eine Zeit, in der Kleopatra wieder besonders viel Aufmerksamkeit erfährt: Gerade wurde ihr und Caesar im Historischen Museum Speyer eine Ausstellung gewidmet. [1] Im Institut du Monde Arabe in Paris läuft teils parallel eine Ausstellung zu "Le mystère Cléopâtre" [2] und in Madrid zu "Cleopatra. The immersive exhibition" [3]. In Liège wird sich eine weitere Ausstellung zu "Cléopâtre Superstar" anschließen. [4] Kleopatra ist offensichtlich auch noch mehr als zwei Jahrtausende nach ihrem Tod ein Mysterium und ein Superstar - um mit den Ausstellungstiteln zu sprechen. Aber wurde und wird sie im richtigen Licht gesehen und dargestellt, oder beruht das römische wie moderne Urteil zumeist auf Schriftstellern, die Augustus, dem Sieger über Kleopatra, nahestanden? Diese stellten sie als verführende, protzende Königin dar, sodass sich bis heute Mythen um sie ranken, die Harders versucht, aufzuklären.
Das Buch ist in zehn kurze Kapitel unterteilt. Kapitel I "Die Nase! Die Perle! Die Schlange! - Kleopatra als Projektionsfläche" (7-12) führt in die Thematik ein und erörtert, dass zwar viel über die Königin geschrieben wurde, es aber kein gesichertes Bildnis von ihr gibt - was wiederum die Fantasie anregt(e), wie sie wohl ausgesehen haben könnte. Natürlich existieren ägyptische Reliefs und Statuen, die Kleopatra im pharaonischen Stil zeigen, doch sind diese in der Regel nicht individuell gestaltet. Eine Ausnahme ist die Krone der Arsinoe II., der Schwestergemahlin Ptolemaios' II., die 270 v. Chr. starb. Sie nahm über rund 250 Jahre eine Ausnahmestellung in der ptolemäischen Dynastie ein - auch in Hinsicht auf die visuelle Gestaltung -, weswegen eigens für sie eine Kompositkrone kreiert wurde. Nach Arsinoe II. trugen sie nur noch zwei Königinnen: Kleopatra III. in sehr seltenen Fällen, in denen ihre Wichtigkeit für die Dynastie betont wurde [5], und eben Kleopatra VII.!
Ägyptische Traditionen bzw. Details bespricht die Autorin jedoch nicht, dafür aber antike Schriftsteller, wie z.B. Cassius Dio oder Plutarch, die die Königin aus Sicht der Römer bzw. des Westens beschrieben. Sie nahmen Anstoß an ihrer Inszenierung und dem zur Schau gestellten Prunk, wobei sie das Herrscherkonzept der Tryphé nicht verstanden bzw. verstehen wollten. Kleopatra liebte die Selbstdarstellung und stand damit in guter Tradition der Ptolemäerkönige. Sie inszenierte sich als Herrscherin, ja als Göttin eines der damals reichsten Länder der Welt, was nach griechisch-römischer Lesart als dekadent galt. Es prallten die unterschiedlichen Lebenseinstellungen des Ostens auf die des Westens, was die Autorin gekonnt darlegt. Es wird deutlich, dass Harders sich gut mit der klassischen Seite auskennt, jedoch die ägyptische nur streift. Auch wenn die Autorin in Kap. II "Alexanders Erben: Die Ptolemäer und Ägypten" (13-24) die "Doppelköpfigkeit" des ptolemäischen Pharao-Basileus (14) erwähnt, so nimmt sie selbst Kleopatra primär / nur als hellenistische basilissa wahr, nicht aber als weiblichen Pharao, so wie es z.B. im Katalog zu der oben genannten Speyer-Ausstellung gemacht wird. Sie geht auf die Heiratspolitik der ptolemäischen Dynastie und die Stellung der Ehefrauen bzw. Töchter der Könige ein, die sie zu Recht als Teil der dynastischen Selbstinszenierung (19) beschreibt. Kleopatra VII. war in dieser Hinsicht keine Ausnahme, zumal sie in ihrer Schwester Arsinoe IV. eine ehrgeizige Konkurrentin hatte. Hier hätte Harders vergleichend auf Beispiele der Lagidenzeit eingehen können, um Kleopatras Position in der Nachfolge mächtiger Ptolemäerköniginnen zu erläutern. Es böten sich etwa Kleopatra II. und ihre Tochter Kleopatra III. an, die teils zusammen und mit wechselnden Königen im 2. Jahrhundert v. Chr. regierten. Kleopatra II. herrschte aber auch kurzzeitig (132/1 v. Chr.) ohne jeglichen männlichen König über Ägypten oder zumindest Teile davon. Kleopatra VII. mag de facto eigenverantwortlich regiert haben, aber ein König stand ihr stets offiziell zur Seite, erst ihr Vater, dann ihre Brüder und schließlich ihr Sohn. Kleopatra II. hatte sich hingegen völlig von ihrem Brudergemahl Ptolemaios VIII. Euergetes II. losgesagt und zählte ihre eigenen Regierungsjahre, während er sich mit seiner zweiten Ehefrau Kleopatra III. - ihrer eigenen Tochter - erst außerhalb des Nillandes aufhielt und dann andere Teile Ägyptens regierte.
In Kap. III "Alexandria als Bühne" (24-33) wird die ptolemäische Hauptstadt kurz beleuchtet, bevor in Kap. IV "Eine ptolemäische Prinzessin" (33-44) Kleopatras Geschichte unter ihrem Vater Ptolemaios XII. charakterisiert wird. Kap. V "Königin von Caesars Gnaden" (44-62) erörtert die politischen Entwicklungen unter Caesar und deutet ihre Beziehung als die eines "Arbeitspaares" (59). Die Autorin hätte in diesem Kapitel mehr darauf eingehen können, dass Kleopatra sich gerade am Beginn ihrer Herrschaft als weiblicher Pharao manifestieren wollte und musste. Deswegen förderte sie u. a. ägyptische Tempelbauprojekte, die Harders selbst erwähnt.
Kap. VI "Die Königin und der Triumvir" (62-76) geht zum einen auf Kleopatras Verhältnis zu Marcus Antonius ein, zum anderen werden die römischen Machtverhältnisse beleuchtet - gerade in Hinsicht auf Caesars Erben, C. Octavius, den späteren Augustus. Auch bei Marcus Antonius, der sich als Dionysos inszenierte (70), ging es nicht nur um Erotik, sondern um eine Arbeitsbeziehung und, wie es Katja Lembke so treffend ausdrückte, um den Mythos der Macht. [6] Auf den Seiten 63-64 wird Kleopatra im Isis-Gewand angesprochen und nur Plutarch als Quelle herangezogen. Spätestens seit Kleopatra I. sind die Ptolemäerköniginnen aber auch rundplastisch als Isis gut nachweisbar. [7] Insgesamt waren die Darstellungen der griechisch-ägyptischen basilissai nahezu identisch mit denjenigen der Isis, die in Alexandria entwickelt wurden und griechische mit ägyptischen Elementen vereinten. [8]
Kap. VII "Königin versus Matrone" (76-88) thematisiert geschickt die Darstellung der Kleopatra als Hetäre und der Octavia - der Schwester Octavians und Frau des Marcus Antonius - als Heilige und pflichtbewusste Ehefrau, auch über seinen Tod hinaus. Diese Darstellung beruht auf römischen Quellen, und darauf basiert - teils bis heute - oft die Wahrnehmung.
Kap. VIII "Das Ende einer Königin" (88-101) beleuchtet die Ereignisse, die zu Kleopatras Selbstmord und dem Ende der Ptolemäerdynastie führten. Kap. IX "Her Infinite Variety - Kleopatra in der Rezeption" zeigt an einigen klug gewählten Beispielen, wie die nachfolgenden zwei Jahrtausende das Bild der Kleopatra weiterentwickelten und prägten.
Kap. X, ein Epilog mit dem Titel "Viva la Diva!", fasst die vorangegangenen Kapitel zusammen und kommt zu dem Schluss, dass Kleopatra in mancher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung war, doch "ihre Herrschaft kam nicht aus dem Nichts, sondern fußt auf einer 3000 Jahre alten Tradition und einem besonderen dynastischen Selbstverständnis und Herrschaftswissen." Dem ist zuzustimmen, aber es ist bedauerlich, dass diese Traditionen kaum beleuchtet wurden, denn man hätte hier eine interdisziplinäre Brücke schlagen können, so wie dies schon Katja Lembke in ihrem Artikel "Kleopatra, die letzte Pharaonin" (2015) tat.
Abgerundet wird das Buch durch eine Zeittafel, weiterführende Literatur (die jedoch auf die hellenistisch-römisch Seite beschränkt ist) und ein Register.
Insgesamt ist das kurze Buch lesenswert. Harders ordnet Kleopatra und die um sie rankenden Bilder geschickt ein und zeigt ihre Bedeutung auf. Ein Wermutstropfen bleibt jedoch die sehr kursorische Behandlung der ägyptischen Traditionen, die Kleopatra nutzte. Im Buchtitel wird sie "Ägyptens letzte Königin" genannt. Aber war sie das? Sie war sicherlich der letzte weibliche Pharao (oder Pharaonin), doch Šaǧarat ad-Durr herrschte im 13. Jahrhundert als einzige Sultanin über das muslimische Ägypten. Zwar war sie nicht gänzlich eigenständig (was ja auch Kleopatra VII. nicht war), doch machten es die damaligen Herrschaftsstrukturen möglich, dass sie für einen Zeitraum von knapp zehn Jahren maßgeblich an der Herrschaft beteiligt war - als eine Königin Ägyptens! [9]
Anmerkungen:
[1] 13.04.-26.10.2025: https://museum.speyer.de/ausstellungen/caesar.
[2] 11.06.2025-11.01.2026: https://parisjetaime.com/eng/event/exhibition-le-mystere-cleopatre-e1322.
[3] 12.09.-08.12.2025: https://madridartesdigitales.com/en/exhibitions/cleopatra/.
[4] 20.12.2025-05.07.2026: https://caracascom.com/fr/events/cleopatre-superstar/.
[5] Martina Minas-Nerpel / René Preys: Kleopatra III at Karnak, in: Au héraut d'Apis. Recueil d'études offert au professeur Didier Devauchelle pour son 70e anniversaire, éd. p. T. Gamelin / J. Hourdin / N. Leroux, Leuven 2024 (OLA 325), 489-508.
[6] Katja Lembke: Kleopatra, die letzte Pharaonin, in: Ägyptische Königinnen vom Neuen Reich bis in die islamische Zeit: Beiträge zur Konferenz in der Kulturabteilung der Botschaft der Arabischen Republik Ägypten in Berlin am 19.01.2013, hgg. von Mamdouh Eldamaty / Friedhelm Hoffmann / Martina Minas-Nerpel, Vaterstetten 2015, 115-138, hier 131.
[7] Sabine Albersmeier: Untersuchungen zu den Frauenstatuen des ptolemäischen Ägypten, Mainz 2002 (Aegyptiaca Treverensia; 10), 101-102.
[8] Stefan Pfeiffer: Royal women and Ptolemaic cults, in: The Routledge Companion to Women and Monarchy in the Ancient Mediterranean, ed. by E. D. Carney / S. Müller, Abingdon 2021, 96-107, hier 100-101.
[9] Mamdouh Gharaibeh: Šaǧarat ad-Durr. Die einzige Sultanin des muslimischen Ägypten, in: Ägyptische Königinnen vom Neuen Reich bis in die islamische Zeit: Beiträge zur Konferenz in der Kulturabteilung der Botschaft der Arabischen Republik Ägypten ' Berlin' 19.01.2013, hgg. von Mamdouh Eldamaty / Friedhelm Hoffmann / Martina Minas-Nerpel, Vaterstetten 2015, 157-172.
Ann-Cathrin Harders: Kleopatra. Ägyptens letze Königin (= C.H. Beck Wissen; Bd. 2960), 2025, 128 S., ISBN 978-3-406-82946-8, EUR 12,00
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