sehepunkte 25 (2025), Nr. 12

Karl Siebengartner: Punk(s) in der Bundesrepublik Deutschland

Ein Massenphänomen war Punk nie. Dass es gerade deswegen lohnenswert ist, nach dessen Verhältnis zur Massenkultur und zum sogenannten Mainstream zu fragen, führt Karl Siebengartners Publikation vor Augen. Dabei handelt es sich um seine 2023 an der Ludwig-Maximilians-Universität verteidigte und nun leicht überarbeitete Dissertation. Das Interesse an Punk ist keineswegs neu. In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten zu dessen Einordnung in die Geschichte(n) von Subkulturen, Jugendkulturen oder Protestbewegungen sowie von Musik, Pop, Mode und Emotionen entstanden. [1] Die Historisierung des Punks in der Bundesrepublik setzte bereits kurz nach seinem Auftauchen um 1976 ein. Sie war kaum von den Selbstverständigungsdebatten derjenigen zu trennen, die sich als Punks verstanden, sondern wurde auch von der zeitgenössischen Kritik an Tendenzen der Kommerzialisierung und Entpolitisierung befeuert.

Siebengartner greift verschiedene Fäden jener frühen Historisierung sowie der neueren Forschungen auf, konzentriert sich jedoch auf die Frage nach Selbst-Verhältnissen von Punks im Verhältnis zu einer transnational eingebetteten Massenkultur. Darüber hinaus strebt er auch eine Positionsbestimmung des Punks innerhalb der bundesrepublikanischen Konsumgeschichte an.

Siebengartner kann aus einer beeindruckenden Auswertung von Fanzines schöpfen, die er ebenso wie die zur Kontrastierung hinzugezogenen Quellen aus Zeitschriften, Zeitungen, Fernsehbeiträgen, Erinnerungsberichten sowie Polizeiakten als Informationsgeber über Selbst-Verhältnisse von Punks begreift. Jenen Selbst-Verhältnissen rückt Siebengartner in zwei unterschiedlichen Teilen zu Leibe: Die ersten vier Kapitel sind (grob) chronologisch aufgebaut und schlagen einen Bogen von den Anfängen des bundesdeutschen Punks in den späten 1970er Jahren, über die zunächst von Zürich ausgehenden Jugendunruhen der frühen 1980er Jahre und diverse Aufspaltungen der späten 1980er Jahre bis hin zur Professionalisierung und zu den weithin rezipierten Chaos-Tagen der 1990er Jahre. In vier weiteren Kapiteln konzentriert er sich auf konkrete Praktiken, um den Lebenswelten von Punks näher zu kommen und Ambivalenzen eines steten doing punk (16) herauszuarbeiten. Er nimmt dafür Herstellungs- und Distributionswege von Fanzines und Musik sowie Konzerte inklusive der Anfahrtswege und des Tanzerlebens ebenso in den Blick, wie auch Wohnformen, die Einbindung von Punks in Familien, Erwerbstätigkeiten oder Ausbildungsverhältnisse sowie verschiedene Aneignungen des öffentlichen Raums.

Eindrücklich kann Siebengartner insbesondere im ersten Teil zeigen, wie massenmediale Inszenierungen in fortwährender Wechselwirkung mit Selbstverständigungsdebatten von Punks standen und auf Selbstbeobachtungen oder Praktiken rückwirkten. Es macht auch schlicht Spaß, über diverse verwobene und spezielle Medienkarrieren einzelner Punks zu lesen - wie etwa die von Viola Kaffke, Fanzine-Herausgeberin in Westberlin, die sowohl zur Protagonistin einer Fotolovestory der Bravo als auch zur Angebeteten des filmischen Superhelden Captain Berlin wurde. Zahlreiche Beispiele verdeutlichen, dass es sich beim doing punk um eine permanente, höchst widersprüchliche Suchbewegung in Sachen "Selbst" (als Bewegung und Individuen) handelte - etwa auch als in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre neben einer anhaltenden massenmedialen Inszenierung eines Außenseitertums die verstärkte Entstehung professionalisierter Fanzines bei einem zeitgleichen nostalgischen Rückbezug auf die Anfangsjahre des Punks zu beobachten war.

Fast nebenher gibt Siebengartner immer wieder Einblicke in die Entstehung, den Vertrieb und das Lesepublikum von Fanzines und leistet damit viel Pionierarbeit. Wer einmal mit Fanzines historiographisch gearbeitet hat, weiß, wie ratlos diese Quellensorte zuweilen macht und welcher Aufwand damit verbunden ist, sie zu entschlüsseln. Siebengartners Spurensuche (nur als ein Beispiel: siehe etwa die Ausführungen zum schwierig aufzuschlüsselnden Netzwerk "freizeit 81") fördert zahlreiche Funde zutage, die zukünftige Untersuchungen schon allein zum Nachschlagen von Netzwerken und Bezügen nutzen können. Bedauerlich ist es daher, dass ein Personenregister fehlt. Der besondere Gewinn von Siebengartners Untersuchung liegt jedoch in den akribisch nachgezeichneten Bezügen, in denen sich das Wissen über und von Punks bewegte. Besonders hervorzuheben ist, dass der Autor neben massenmedialen Erzeugnissen und Selbstbeobachtungen von Punks auch die sozialwissenschaftliche Forschung in diese verwobenen Netze der Wissensgenerierung einordnet.

Die Suche nach Praktiken sowie alltäglichen Lebenswelten im zweiten Teil der Untersuchung verdeutlicht, welche Schätze sich in Fanzines heben lassen. Hinweise auf Eheschließungen von Punks (254 f.) etwa werfen unter anderem die Frage auf, welche Selbstverständigungsfunktion(en) Fanzines jenseits der permanent ausgeloteten Abgrenzung - etwa als geschützter Kommunikationsraum - hatten. Andere Details indes sind zwar ohne Zweifel unterhaltsam, so etwa die Hinweise zum gewünschten Anrufverhalten bei Nachfragen an Fanzine-Herausgeber - "Nicht anrufen zwischen 13 und 15 Uhr (meine Oma schläft dann)" (239). Ihr analytischer Mehrwert allerdings scheint zuweilen gering.

Eine deutlich anders (als in bisherigen Forschungen) akzentuierte Geschichte von Protest, von sozialen und politischen Bewegungen und von Lebensstilen seit den späten 1970er Jahren liegt mit der Arbeit von Karl Siebengartner nicht vor. Dies liegt unter anderem daran, dass er seine eigene Annahme, dass das Ringen um Selbst-Verhältnisse der Punks als "Politik des Individuums" zu interpretieren sei, nicht weiter ausdifferenziert. Der Begriff taucht sowohl als Quellenbegriff (entnommen einer Selbstvorstellung der Band Bildstörung im Fanzine shvantz, 286) als auch als Beschreibungsformel für die frühen Chaostage der 1980er Jahre (94, 102) oder für die Beteilung von Punks an den antirassistischen Demonstrationen nach der Ermordung von Ramazan Avci 1985 auf (307). Inwiefern sich hierbei Vorstellungen des Individuellen, auf die sich Punks verschiedentlich durchaus explizit bezogen, wandelten, und in welchem Verhältnis diese zu Kollektiventwürfen von Punk als Subkultur oder Bewegung standen, bedürfte einer tiefergehenden Auseinandersetzung.

Siebengartner unterliegt leider hin und wieder der Versuchung, Deutungen aus den eingehend sezierten Quellen zu übernehmen. So ist ebenso vom "rebellischen Selbst der Punks" (85) wie von einem "Aufstand gegen Langeweile" (79) die Rede - Muster, die an anderer Stelle konsequent als (Selbst-)Erzählungen problematisiert werden. Auch gleitet Siebengartner zuweilen in seiner Beweisführung in die Übernahme von Punk-Narrativen ab, etwa darüber, dass die massenmediale Berichterstattung der Jugendkultur nicht gerecht wurde. Hier überdeckt er die eigenen vielfältigen und inspirierenden Befunde über die höchst widersprüchlichen Suchbewegungen in Sachen "Selbst" in Bezug zur Massenkultur und zum Mainstream. Ohne Frage: Weitere Diskussionen über den Stellenwert des Individuellen als Referenzgröße der Postmoderne und die diesbezügliche Rolle von Jugend und Subkulturen lassen sich hier trefflich anschließen.


Anmerkung:

[1] Etwa: Jeff Hayton: Culture from the Slums. Punk Rock in East and West Germany, Oxford 2022; Salvio Incorvaia: Der klassische Punk. Eine Oral History. Biografien, Netzwerke und Selbstbildnis einer Subkultur im Düsseldorfer Raum 1977-1983, Essen 2017; Henning Wellmann: Punkkultur - Ordnungen radikalen Andersseins, Wiesbaden 2019.

Rezension über:

Karl Siebengartner: Punk(s) in der Bundesrepublik Deutschland. Anatomie einer Bewegung, 1976-1995 (= 1800/2000 Kulturgeschichten der Moderne; Bd. 18), Bielefeld: transcript 2025, 366 S., ISBN 978-3-8376-7573-3, EUR 39,00

Rezension von:
Yvonne Robel
Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Empfohlene Zitierweise:
Yvonne Robel: Rezension von: Karl Siebengartner: Punk(s) in der Bundesrepublik Deutschland. Anatomie einer Bewegung, 1976-1995, Bielefeld: transcript 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 12 [15.12.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/12/40169.html


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