sehepunkte 25 (2025), Nr. 12

Lutz Kreller: Juristen im Unrecht

Die hier diskutierte Monografie von Lutz Kreller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, beruht auf dem 2021/22 durch den bayerischen Justizminister Eisenreich beauftragte Gutachten zu den Juristen Otto Palandt und Heinrich Schönfelder. Ziel des Gutachtens war es zu untersuchen wie NS-belastet die Namensgeber zweier juristischer Standardwerke aus dem Verlagshaus C.H. Beck tatsächlich waren. In Juristen im Unrecht. Die Biografien von Otto Palandt (1877-1951) und Heinrich Schönfelder (1902-1944) untersucht der Autor daher nicht nur die Karriereverläufe, sondern zeichnet ein holistisches Bild, welches auch die vor 1933 bestehenden persönlichen Überzeugungen analysiert.

Die ausführliche Einleitung (1-17) setzt die Biografien in den Forschungskontext der Rezeptionsgeschichte von NS-Unrecht innerhalb der juristischen Zunft. Ebenso wird auf die Methodik, Parallelen zur Rezeption der NS-Ärzteschaft und die grundlegende Perversion des Rechtsstaats und somit auch des juristischen Denkens durch die Nationalsozialisten eingegangen. Dies bietet die Grundlage, um den Werdegängen und juristischen Überzeugungen Palandts und Schönfelders zu begegnen. Krellers Fragestellungen, ebenso Teil der Einleitung, unterstreichen den holistischen Gedanken der Untersuchung. Diese beziehen sich auf den Ursprung des Rechtsdenkens und des juristischen Selbstverständnisses im "Dritten Reich" (3). Ebenso untersucht Kreller die Folgen der amtlichen Entnazifizierung Otto Palandts auf die Rezeptionsgeschichte. Besonders wichtig für die andauernde kritische Betrachtung des Verhältnisses zwischen Recht und Nationalsozialismus ist Krellers abschließende Fragestellung, ob der Umgang der deutschen Juristen mit den Namensgebern auf "[...] Paradigmatisches hinsichtlich des Umgangs der juristischen Zunft mit den Hypotheken des nationalsozialistischen Unrechts ableiten lässt" (3).

Der erste Teil (18-85) analysiert die Biografie Otto Palandts wobei der Autor in fünf Unterkapiteln auf die Sozialisation, Karriere(um)wege, die kurze Dienstzeit im demokratischen Justizsystem der Weimarer Republik, Palandts Engagement im NS-Staat und abschließend seiner Rehabilitation nach 1945 eingeht. Durch eine üppige Quellenlage unterstützt, zeichnet Kreller das Leben eines akademisch begabten Antidemokraten, der durch das Befolgen geltenden Rechts (Verbot des Duellierens) als Berufsanfänger zum Paria der konservativen juristischen Zunft wird und lange Jahre Karriereeinschnitte hinnehmen musste. In der weiteren Untersuchung wird schnell deutlich, dass dieser Umstand nicht dazu geneigt war Palandt zu einem Verfechter des Rechtsstaats zu machen. Seine Dienstzeit in der Weimarer Republik war geprägt von einer tiefen abwertenden Haltung zur Staatsform Demokratie und mündete 1920 sogar in einem Erpressungsversuch des Staatsdieners Palandts gegen zwei Reichsministerien. Dieser "Kries-Noten"-Skandal, der für ihn ohne nennenswerte dienstliche Folgen blieb, sollte dafür sorgen, dass er 1933 als Antidemokrat verlässlich für die Nationalsozialisten galt. Kreller entkräftet die in der Forschungsliteratur bestehende Vermutung, Roland Freislers Fürsprache habe für Palandts Beförderung zum Vizepräsidenten des Preußischen Juristischen Landesprüfungsamtes geführt und stellt die überzeugende Vermutung auf, dass die Fürsprache Wilhelm Schwisters ausschlaggebend war (55-56). Zunächst als Vizepräsident, später als Präsident gestaltete er die juristische Ausbildung vollends neu, um sicherzustellen, dass ausschließlich politisch verlässliche Männer die juristischen Staatsprüfungen ablegen und bestehen konnten. 1939 gab er den bis 2021 nach ihm benannten BGB-Kommentar erstmalig heraus. Am Beispiel des BGB-Kommentars zeigt Kreller, wie Palandt mit dem vermeintlich unpolitischen Zivilrechtskommentar die völkische und antisemitische Rechtsauslegung zementierte. Selbst nach seiner Pensionierung 1943 bot er seine Dienste in der Justiz an, um die Lücken der einberufenen Richter und Staatsanwälte aufzufüllen. Kreller resümiert zu Palandt: "Otto Palandt diente dem NS-Regime freiwillig bis zum Schluss [...]" (76). Wie es Palandt dennoch gelang eine vollständige Entlastung im Spruchkammerverfahren in Hamburg zu erhalten, stellt Kreller überzeugend dar. Die Entlastung ermöglichte Palandt schließlich die zehnte Jubiläumsausgabe seines BGB-Kommentares 1949 herauszugeben - zum ersten Mal ohne Verweis auf die nationalsozialistische Rechtsrevolution.

Der zweite Teil, der den Lebensweg Heinrich Schönfelders untersucht, ist deutlich kürzer und besteht nur aus zwei Unterkapiteln (86-119). Es ist zu vermuten, dass dies aufgrund der geringeren Quellenlage der Fall ist, deutlich wird dies jedoch nicht. Das erste Unterkapitel stellt die frühe völkische Ideologisierung Schönfelders während seiner Schulzeit heraus. Kreller zeigt hier, dass bereits der Schüler Schönfelder ein überzeugter Antisemit war, der sich fest für eine nicht-demokratische Staatsform engagierte. Das zweite Unterkapitel zeigt das ideologische Kontinuum im weiteren Karriereweg zwischen Studienbeginn 1922 und Berufstätigkeit. Schönfelder, noch in Ausbildung, bot dem Verlag C.H. Beck 1929 eine Fallsammlung als Selbstlern-Repetitorium an. Dieses wurde als Reihe "Prüfe dein Wissen" verlegt und zeigte die tiefe antisemitische, völkische und Linken-feindliche Haltung Schönfelders (106-113). 1933 veröffentlichte Schönfelder im gleichen Verlag die geheftete Gesetzessammlung "Deutsche Reichsgesetze", deren Namensgeber er bis 2021 bleiben sollte. Kreller arbeitete heraus, dass Schönfelder trotz der Abwesenheit von Kontakten zur NSDAP vor 1933 eine "unbedingte politische Zuverlässigkeit im Sinne der NSDAP und Loyalität gegenüber dem nationalsozialistischen Staat" (115) attestiert wurde.

In der abschließenden Bilanz macht Lutz Kreller deutlich, dass keiner der beiden Juristen ein "kleines Rädchen im Getriebe" (126) war. Kreller bestätigt die Belastung beider Personen, geht jedoch über die bestehende Forschung hinaus und schließt hier wichtige Lücken. Er zeigt durch seine Analyse, dass die bisherige Forschung, vor allem aus der Rechtswissenschaft, die Bedeutung des politischen Rechts in seiner Ganzheit verkannt hat. Die juristische Praxis des Nationalsozialismus war weder Zufall noch Versehen - diese Erkenntnis und die damit bedeutende Rolle jeder einzelnen aktiven Person in der Justiz konnte Kreller exemplarisch an Otto Palandt und Heinrich Schönfelder nachweisen.

Rezension über:

Lutz Kreller: Juristen im Unrecht. Die Biografien von Otto Palandt (1877-1951) und Heinrich Schönfelder (1902-1944) (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Bd. 129), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, 152 S., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-138229-6, EUR 24,95

Rezension von:
Saskia Millmann
Glasgow
Empfohlene Zitierweise:
Saskia Millmann: Rezension von: Lutz Kreller: Juristen im Unrecht. Die Biografien von Otto Palandt (1877-1951) und Heinrich Schönfelder (1902-1944), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 12 [15.12.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/12/40358.html


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