STELLUNGNAHME ZU

Olaf Klodt: Rezension von: Steffen Krämer: Bramantes Pergamentplan. Eine Architekturzeichnung im Kontext wissenschaftlicher Kontroversen, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/09/38215.html

Von Steffen Krämer

Die von Olaf Klodt verfasste Rezension zu Steffen Krämers Abhandlung über Bramantes Pergamentplan in sehepunkte 24 (2024), Nr. 9, verlangt eine Erwiderung von mir als Autor, wobei nur einige Aspekte exemplarisch dargelegt werden sollen.

In meinem Buch geht es, wie Klodt richtig anmerkt, um die seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich formulierte Frage, ob Donato Bramantes berühmter Pergamentplan UA1 für den Neubau von St. Peter vom Anfang des 16. Jahrhunderts einen Zentral- oder Longitudinalbau darstellt. Die Antwort auf diese Frage ist insofern von großer Bedeutung, als es sich lediglich um einen halbierten Grundriss handelt, der sich aber, wie Metternich 1975 (11, Anm. 7) bereits hervorgehoben hat, "wie ein roter Faden durch die gesamte spätere Planung hindurchzog". Traditionell und auch von mir als Zentralbau rekonstruiert, wird UA1 in den ab 1994 verfassten Schriften von Christof Thoenes hingegen als Westpartie eines Kompositbaus und damit als Longitutinalbau gedeutet.

Hinsichtlich der Vorbilder verweist Klodt auf meine Beschäftigung mit Filaretes Architekturtraktat, der ein Verfahren für eine spiegelbildliche Ergänzung eines Zentralbaus mit zwei Abbildungen illustriert und zugleich auch kommentiert (22f. und Abb. 5). Unerwähnt bleibt allerdings die Tatsache, dass dieser außerordentlich wichtige Bezug der Forschung bislang nicht bekannt war und man deshalb lediglich auf die Baupraxis gotischer Bauhütten verweisen konnte, in denen halbierte Grundrisse verwendet worden waren. Ebenso findet sich in der Rezension kein Hinweis darauf, dass der von Filarete abgebildete Grundriss von einem Sakralbau stammt, der für die Frage der architektonischen Vorläufer von UA1 von größter Relevanz ist (68 und Anm. 26).

Im selben Abschnitt befasst sich Klodt mit der Gründungsmedaille, mit der man den Außenbau von UA1 rekonstruieren kann. Hierbei bezieht er sich auf die eher zweitrangige Frage in meiner Argumentation, weshalb die Medaille nur zwei Türme zeigt (37). Was gänzlich außer Acht gelassen wird, ist meine umfassende, mit historischem Quellenmaterial untermauerte Erörterung des topographischen Kontextes, der eine Rekonstruktion als Zentralbau nahelegt (37-41). Ein weiterer Kernaspekt, der überhaupt keine Beachtung findet, ist meine Argumentation hinsichtlich der Grundsatzfrage, ob die Medaille nun die Ost- oder Westansicht zeigt (41-44). Für Thoenes war der Bezug auf die Westansicht notwendig, denn sonst hätten sich elementare Probleme für seine Deutung als Longitudinalbau ergeben. Mit einer Baumedaille vom Anfang des 17. Jahrhunderts, die Madernos Ostfassade zeigt und die der Forschung bisher noch nicht bekannt war (42, Abb. 15), konnte ich die Argumentation hinsichtlich der möglichen Westansicht in Frage stellen. Auf diese für das Verständnis des Außenbaus nunmehr notwendige Baumedaille ist Klodt mit keinem Wort eingegangen.

Wie er im folgenden Abschnitt zu Recht hervorhebt, wurden von mir die "Vorläufer und Nachfolger für die Zentralbauplanung Bramantes im Entstehungs- und Planungsprozess der Peterskirche" behandelt, angefangen von der frühen Grundrissskizze UA104v bis hin zu Michelangelos Zentralbauentwurf. Hinzu kommen noch der berühmte Rötelplan UA20r und UA8v sowie diverse Alternativentwürfe von Peruzzi, Raffael und Giuliano oder Antonio da Sangallo d. J. Wie kommt Klodt also dazu, vor dem Hintergrund dieser ausführlichen Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Entwurfsmaterial ab Planungsbeginn bis zu Michelangelo in einem späteren Abschnitt seiner Rezension von einer "Vereinzelung des Pergamentplanes" zu sprechen und mir vorzuwerfen, ich habe ihn "aus dem Prozess der Ideenfindung für den Neubau St. Peters" herausgelöst. Dieser offenkundige Widerspruch ist ihm anscheinend nicht bewusst und so resümiert er folgende Leitkritik: "Diese Vorgehensweise führt für die St. Peter Forschung insgesamt zu keinem Erkenntnisgewinn".

Eine weitere Kritik ist Klodts Anmerkung, ich habe "wichtige Literatur der letzten Jahre nicht berücksichtigt". In dem Zusammenhang verweist er auf einen italienischen Konferenzband von 2021 (Klodt, Anm. 3), der nachweislich erst am 15. Februar 2022 erschienen ist. Zu diesem Zeitpunkt war meine Literaturrecherche aber bereits abgeschlossen, denn der Text musste in seiner Endfassung bis zu den Verlagsverhandlungen kurz darauf vorliegen. Im Übrigen zeigt bereits die kurze Durchsicht des Konferenzbandes, dass sich kein einziger Artikel mit der Frage nach der Rekonstruktion von UA1 als Zentral- oder Longitudinalbau dezidiert auseinandersetzt. Ohne weitere Erläuterungen charakterisieren Hans W. Hubert (151, 163) und Hubertus Günther (209) UA1 als Zentralbau.

Als letzter Punkt sei noch auf Klodts Grundsatzkritik verwiesen, dass ich "alle nur möglichen und in der langen Geschichte der St. Peter-Forschung mehrfach genannten Indizien und Argumente für eine spiegelbildliche Ergänzung des Grundrissfragments aufaddiert" hätte. Wenn man sich beispielsweise mit meinen Analysen zu Zentralbauentwürfen Antonio da Sangallos d. J. befasst (55-57), dann kann von einer "Addition" wohl kaum die Rede sein, zumal die Ergebnisse eine kritische Überprüfung der unterschiedlichen Forschungsmeinungen nunmehr erlauben (57). Ähnliches gilt auch für Michelangelos Zentralbauentwurf, der in der Tat bereits von mehreren Autoren in die Nachfolge von Bramantes Pergamentplan gesetzt wurde. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber die Interpretation der in der Forschung kontrovers gedeuteten Schriftquellen, die ich in ihrem Wortgehalt sorgfältig untersucht habe, und zwar von den Aussagen Vasaris und Condivis über Michelangelos eigene Bemerkungen bis zu dem 1582 verfassten Traktat des Tiberio Alfarano (58-61). Dadurch konnte ich die anfänglich formulierte These, dass der Pergamentplan einen Zentralbau darstellt, nochmals untermauern und damit jener Sichtweise entsprechen, die schon der letztgenannte Alfarano in seinem Traktat geäußert hatte. All diese teilweise arbeitsintensiven Textinterpretationen, die sich nicht nur mit dem genauen Wortgehalt, sondern auch mit dem jeweiligen historischen Umfeld auseinandersetzen, lässt Klodt völlig unerwähnt.

Nur einige Punkte konnten in dieser Erwiderung angesprochen werden, und nicht weniges bleibt von meiner Seite unkommentiert, unter anderem die in ihrer Formulierung gehässige Endnotiz über das wiederholt konstatierte Fehlen von "Erkenntnisgewinn" in meinem Buch. Ein anderes Resultat wollte Klodt auch gar nicht erreichen, denn sonst hätte er einen Großteil meiner Untersuchungsergebnisse nicht bewusst ausgeblendet. Ich hoffe, dieses Negativurteil durch einige Gegenargumente widerlegt zu haben. Der Rest dürfte sich durch die Lektüre meines Buches selbst erschließen. Doch sollte mein Kommentar vor allem dokumentieren, wie bedenklich Klodts Argumentationsweise meines Erachtens ist, wenn man seine wissenschaftlich wenig objektive Bewertung in all ihren Facetten betrachtet. Grundsätzlich sollte man sich also fragen, was mit seiner Rezension eigentlich erreicht werden soll. Eine "Würdigung", wie es in den Richtlinien der sehepunkte heißt, ist diese Vorgehensweise jedenfalls nicht.


Anmerkung der Redaktion:
Olaf Klodt hat auf eine Replik verzichtet.