Rezension über:

Matthias Weber: Der Bischof stirbt. Zu Form, Funktion und Vorstellung bischöflicher Sterbeberichte (6.-12. Jahrhundert) (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters; Bd. 20), Göttingen: V&R unipress 2023, 663 S., ISBN 978-3-8471-1491-8, EUR 85,00
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Rezension von:
Johannes Luther
Historisches Seminar, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Luther: Rezension von: Matthias Weber: Der Bischof stirbt. Zu Form, Funktion und Vorstellung bischöflicher Sterbeberichte (6.-12. Jahrhundert), Göttingen: V&R unipress 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/37449.html


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Matthias Weber: Der Bischof stirbt

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In den Geschichtswerken des Früh- und Hochmittelalters wurde einigen Bischöfe ein Tod zuteil, der nach damaligen Maßstäben als vorteilhaft eingeschätzt wurde, während andere Bischöfe einen schlechten Tod erlitten. Bei manchen Bischöfen divergieren diese Berichte, so dass für den 1088 getöteten Burchard II. von Halberstadt sowohl gute als auch schlechte Todesdarstellungen überliefert wurden. Mal starb er durch das Schwert wie ein Märtyrer, der direkt zum Herrn ging, mal wurde er im Streit von seinen Landsleuten erschlagen. Nun starb Burchard mitten im Investiturstreit, was die Bewertung seines Sterbens entscheidend beeinflusst haben dürfte.

Diese Erkenntnis macht Matthias Weber zum Ausgangspunkt seiner 2018 verteidigten Bochumer Dissertation, die er Anfang 2023 als Monographie veröffentlicht hat. In dieser Studie steht der Investiturstreit allerdings am Ende, behandelt sie doch Darstellungen des Bischofstodes vom 6. bis zum frühen 12. Jahrhundert in erzählenden Quellen, also vor allem Chroniken und Annalen sowie Hagiographien. Die bisherige Forschung fokussierte bisher auf den gewaltsamen Tod von Bischöfen. Weber schließt mit seinem umfassenden Blick also eine Forschungslücke. Geographisch konzentriert sich die Studie auf das Frankenreich, seine Nachfolgereiche und zuletzt ausschließlich auf das ostfränkische respektive ottonisch-salische Reich. Zeitlich und räumlich ist die Untersuchung also breit angelegt, um Kontinuitäten und Brüche deutlich machen zu können. Für eine Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Todesschilderungen bieten sich Bischöfe wegen der langen Geschichte ihres Amtes und der reichhaltigen Überlieferung zu ihrem Wirken und Sterben als Untersuchungsgruppe an.

In seiner Einleitung fragt Weber konkret nach den narrativen Formen und Funktionen des Bischofstodes in den genannten Quellengattungen, welche die Darstellungsabsichten und Geisteshaltungen ihrer Verfasserinnen und Verfasser deutlich offenbaren. Deshalb werden die guten, schlechten und neutralen Todesschilderungen jeweils in den Gesamtzusammenhang der Texte eingeordnet. Das Resultat ist eine umfangreiche Untersuchung auf der Höhe der aktuellen Forschung, für die sich auch die Lektüre einzelner Kapitel oder zu einzelnen Geschichtswerken lohnt. Die häufige Verwendung des Pluralis Majestatis wirkt mitunter etwas aufgesetzt. Das ist jedoch Geschmacksache und stört den sehr guten Eindruck der Studie nur geringfügig.

Auf die Einleitung folgen im zweiten Kapitel Ausführungen über den Forschungsstand zum Tod im Mittelalter, zur Rolle des Bischofs im Früh- und Hochmittelalter sowie zur Methodik. Bei der Einstellung mittelalterlicher Menschen zum Tod warnt Weber zurecht vor verallgemeinernden Aussagen. Es geht Weber nicht darum, ob geschilderte Todesberichte der Wahrheit entsprachen, sondern wie und warum diese wahrgenommen und konstruiert wurden. Am Beispiel des Bischofstodes kann deshalb besonders gut "das Zusammenspiel von Verfasser, Umfeld, Hintergrund, Intention, Wahrnehmung und Intertextualität" untersucht werden (55).

Das dritte Kapitel führt aus, wie antike philosophische Vorstellungen von Tod und Nachleben die Bibel und die Patristik beeinflusst haben, so etwa Platons Überlegungen zur unsterblichen Seele. Überlegungen zur Topographie von Himmel und Hölle blieben in der Bibel hingegen vage und wurden erst von frühchristlichen Autoren konkretisiert. Dies ist Gegenstand des vierten Kapitels, in dem die Todesvorstellungen von Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo und Papst Gregor dem Großen ausgeführt werden, die als grundlegend für alle Darstellungen des Mittelalters gelten können. Als entscheidenden Impuls dieser Kirchenväter erkennt Weber "die Verbindung von Lebenden und Toten, die Möglichkeit der Einflussnahme von Lebenden auf das Schicksal Verstorbener." (95)

Wie in der Spätantike ein vorbildlicher Tod auszusehen hatte, veranschaulicht das fünfte Kapitel anhand der Vita sancti Martini des Sulpicius Severus, den Viten der heiligen Ambrosius und Augustinus sowie dem Transitus Mariae, einer Schilderung des Ablebens der Mutter Jesu. Dabei sind folgende Elemente für einen guten Tod zentral: Vorwissen um den nahenden Tod, Gemeinschaft mit anderen im Moment des Todes, die Möglichkeit der letzten Beichte, des Viaticums und der letzten Ölung, die Ordnung der Dinge, etwa durch ein Testament, sowie die Bestattung. Diese Elemente tauchen in den nachfolgenden Jahrhunderten immer wieder auf, wie in den ausführlichen inhaltlichen Untersuchungen der bischöflichen Sterbeberichte in den folgenden Kapiteln verdeutlicht wird. Im Aufbau ähneln sich die Analysekapitel: Ausführungen zur Rolle des Episkopats und der Vorstellung vom Tod in der bearbeiteten Epoche folgen Einzelstudien zu ausgewählten Quellen, wobei Weber einen großen Wert auf Zwischenfazits legt. Dies schafft eine hilfreiche Übersichtlichkeit und ermöglicht eine rasche Durchdringung der vielen Ergebnisse.

Da das neunte Kapitel zu bischöflichen Sterbeberichten im 11. und frühen 12. Jahrhundert den Höhepunkt der Studie darstellt, soll sich diese Rezension im Weiteren auf die dort enthaltenen Erkenntnisse konzentrieren. Für die anderen Kapitel hat der Hinweis zu genügen, dass Weber vom 6. bis zum beginnenden 11. Jahrhundert in den Geschichtswerken der Bischöfe Gregor von Tours und Thietmar von Merseburg ein besonderes Bemühen um die Darstellung des Ablebens ihrer Amtskollegen erkennt. Während Gregor in seinen Decem libri historiarum plötzliche und scheußliche Tode unrechtmäßigen Bischöfen zuschrieb, denen die Höllenstrafe folgen musste, verzichtete der auf Gebetsgedenken abzielende Thietmar in seiner Chronik aus "bischöfliche[r] Solidarität" (397) darauf, negativ konnotierte Tode zu schildern. Zudem macht Weber die Beobachtung, dass der Bischofstod vom 8. bis zum 10. Jahrhundert zusehends aus der Geschichtsschreibung verschwand. Dies hängt wohl mit der Verlagerung der historiographischen Produktion in die Nähe des Königtums zusammen.

Eine besondere Rolle bei der Schilderung von bischöflichen Sterbeberichten kommt schließlich wie gesagt den Chroniken im 11. Jahrhundert zu, die unmittelbar vor und unter dem Eindruck des Investiturstreits entstanden sind. Ausgeführt wird dies zur Hauptsache am Beispiel der Werke Hermanns des Lahmen, Lamperts von Hersfeld, Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz. Vor allem ab den 1070er Jahren wurden bischöfliche Tode mit einer großen Polemik geschildert, was auf die Parteinahme im Investiturstreit in den damit verbundenen Deutungen der Wirklichkeit zurückzuführen ist. Die Gregorianer Bernold und Berthold sprachen reformpapstnahen Bischöfen gute Tode zu, während bischöfliche Anhänger Heinrichs IV. bei ihnen vorwiegend schlecht, also gewaltsam oder plötzlich starben. Die ausgewogenere Chronik Frutolfs von Michelsberg wird hier meist zur Gegenprobe herangezogen. Bei ihm stirbt der Bischof Burchard von Lausanne in der Schlacht beispielsweise mit der Heiligen Lanze in der Hand, während Bernold den Lausanner aufgrund seines Eintretens für Heinrich IV. im Moment des Todes als "Antichrist identifiziert." (510)

Ab 1100 war dieses "kurze Aufflackern der künstlerisch hochwertigen, strategisch ausgefeilten und kompositorisch durchdachten Todesnachrichten" jedoch wieder vorbei (529). Deshalb lässt Weber seine Untersuchung mit einem Verweis auf die Chronik Ottos von Freising, des letzten hochmittelalterlichen Bischofs, der auch als Geschichtsschreiber aktiv geworden ist, enden. Für Otto spielen gute und schlechte Tode von Bischöfen keine Rolle mehr, woraus Weber den Schluss zieht, dass "[d]er qualitative Bischofstod [...] vorerst seinen Stellenwert in der Geschichtsschreibung eingebüßt [hat]." (532) Dies mag für diese umfassenden chronikalischen Werke stimmen, lässt sich jedoch mit Verweis auf die Gattung der Bischofsgesten relativieren. So kommt dem Tod beispielweise in den zwischen 1131 und 1157 von Balderich zusammengestellten Gesta Alberonis archiepiscopi Trevirensis eine bedeutende Rolle zu. Erzbischof Adalbero von Trier stirbt hier vorbildlich, sein Ableben enthält vom Vorwissen auf das baldige Sterben über das Verfassen eines Testaments und die Beichte bis hin zum ehrenvollen Begräbnis alle Elemente eines guten Todes. [1]

Bischofsgesten werden in der Untersuchung allgemein nur am Rande behandelt, hätten jedoch das Potenzial, Webers Ergebnisse zu prüfen und weiterzudenken. Ebenso wünscht man sich nun auch einen Vergleich mit Geschichtswerken aus anderen regionalen Kontexten. An dieser verdienstvollen Studie wird auf jeden Fall keine künftige Analyse zum Tod mittelalterlicher Bischöfe vorbeikommen.


Anmerkung:

[1] Gesta Alberonis archiepiscopi auctore Balderico, hg. von Georg Waitz, in: MGH SS 8. Hannover 1848, 243-260, hier cap. 27, 257-260.

Johannes Luther