Rezension über:

Marie Oellig: Die Sukzession von Weltreichen. Zu den antiken Wurzeln einer geschichtsmächtigen Idee (= Oriens et Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben; Bd. 38), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2023, 714 S., ISBN 978-3-515-13195-7, EUR 98,00
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Rezension von:
Johannes Engels
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Engels: Rezension von: Marie Oellig: Die Sukzession von Weltreichen. Zu den antiken Wurzeln einer geschichtsmächtigen Idee, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/37021.html


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Marie Oellig: Die Sukzession von Weltreichen

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Die antike Idee der Sukzession von Weltreichen hat schon Wurzeln im monarchischen Selbstverständnis der vorderasiatischen bzw. mesopotamischen Reiche der Sumerer, Akkader, Assyrer, Babylonier, Meder und Perser. Über hellenistische Zwischenstufen zu den Römern gelangt finden wir sie bei republikanischen Historikern (Polybios und explizit zuerst bei Aemilius Sura, Dionysios von Halikarnassos) sowie in der kaiserzeitlichen paganen wie der christlichen Philosophie und Historiographie (Justinus, Augustinus, Orosius). Mehr noch als das älteste Dreierschema oder das pagane oder jüdische Viererschema hat schließlich das Schema von fünf Weltreichen (Assyrien, Medien, Persien, Makedonien und Rom) mit seiner seit der Spätantike christlichen eschatologischen Komponente von der historischen Endlichkeit des letzten Weltreiches Rom und dem kommenden Weltgericht vor der Aufrichtung der Herrschaft Christi eine eindrucksvolle Wirkungsmacht bis in die Neuzeit entfaltet.

Älteren Forschungen zu Folge [1] wurde das antike Sukzessionsmodell der Weltreiche in direkter Linie von Ost (Assyrien, Persien) nach West (Griechenland, Rom) vermittelt. Oellig kann dagegen plausibel machen, dass griechische Autoren (Herodot und Ktesias) beeinflusst durch ihre Vorstellungen über altorientalische und achaimenidische Königsherrschaft dieses Modell entscheidend geprägt haben. Die Autorin legt ferner einen Fokus auf die ältesten für diese Idee relevanten altorientalischen und mesopotamischen Großreiche (bzw. 'Weltreiche' im antiken Sinne). In ihrer persönlichen Expertise verbindet sie solide Kenntnisse der altorientalischen und vorderasiatischen Reiche und ihrer spezifischen Quellen über ihr Reichsverständnis und die monarchische Herrscherlegitimation begrüßenswert mit einer fundierten Kenntnis der griechischen Quellen zur Weltreichssukzession.

Oellig untersucht im ersten Teil (31-387) ihrer Studie, ob sich in den Reichen des Zweistromlandes und Irans bereits eine dem griechischen Oikoumene-Gedanken oder dem römischen orbis terrarum-Konzept vergleichbare Welt-Konzeption mit der Vorstellung von der Welt-Herrschaft verband (38-275). Das Konzept der Endlichkeit jeder irdischen Herrschaft wurde schon früh fester Bestandteil des mesopotamischen Geschichtsdenkens (69).

Weniger eindeutig zu bestimmen bleibt, ab wann und in welchem historischen Kontext Universalität zum dominierenden Faktor königlicher Selbstdarstellung erhoben wurde. Es entstand aber sicher schon die Idee einer universellen Königsmacht. Häufig ist im neuassyrischen Reich der offizielle Herrschaftstitel des "Königs der vier Weltgegenden" bezeugt, der einen Weltherrschaftsanspruch klar ausdrückt. Die Könige des neuassyrischen Großreichs fassten die Weltherrschaft als ihr 'göttliches Mandat' auf und bemühten sich um die ständige Ausweitung des Reichsgebietes (166-200). Ihr Reich blieb auch nach seinem unerwartet schnellen Untergang den griechischen und römischen Autoren als das erste Weltreich Asiens in Erinnerung. Das Postulat einer Universalherrschaft konnte von den Assyrern bis zu den Römern hin in der Antike jedoch einzig "unter Leugnung der Welten außerhalb des eigenen Machtbereiches" erhoben werden (161). Es war nämlich der Elite in allen antiken Weltreichen durchaus bewusst, dass der Herrschaftsraum z.B. des assyrischen, persischen oder römischen Weltreiches keineswegs alle bekannten Länder der Erde umfasste.

In den achaimenidischen Herrschaftsvorstellungen finden sich drei Grundkonstituenten: die Legitimation durch Abstammung, die Legitimation durch die Tat und die Legitimation durch göttliche Sanktionierung (228-275). Oellig erörtert hierzu aufschlussreiche Varianten der achaimenidischen Königstitulatur. Die offizielle großkönigliche Herrschaftsrepräsentation "betont den transterritorialen, ja 'universalen' Charakter des Perserreiches als einer politischen Entität von bislang unübertroffener räumlicher Ausdehnung". (274) Oellig bezweifelt in ihrer ersten Zwischenbilanz zu Recht die alte These vom persischen Ursprung des Dreierschemas Assyrer - Meder - Perser. Die Tatsache, dass Spuren dieses Schemas auf den großen Königsinschriften der Achaimeniden völlig fehlen, wertet Oellig als ein entscheidend starkes Argument (384-385).

Herodot aus Halikarnassos nimmt unter den griechischen Autoren zur Sukzession von Reichen eine Schlüsselstellung ein (288-351). Oellig hätte hier einige allgemeine Ausführungen zur jüngeren Herodotforschung und zum Quellenwert des Historikers kürzen können. Bei allen griechischen Autoren besetzt das medische Reich erstaunlicherweise die mittlere Stelle der Sukzessionsreihe zwischen dem Assyrischen und Persischen Reich, obwohl die Kenntnisse griechischen Autoren über das historische Reich der Meder nur gering waren. Warum das neubabylonische Reich so rasch aus dem historischen Bewusstsein der griechischen Historiker verschwand und durch das kurzlebige medische Reich ersetzt wurde, bedarf noch weiterer Diskussion. Da über das medische Reich nur extrem wenige eigene medische schriftliche oder archäologische Zeugnisse bekannt sind, fragt es sich, ob nicht erst Herodot und andere griechische Autoren die feste Vorstellung von einem asiatischen medischen "Weltreich" konstruiert haben (335ff).

Das Dreierschema einer Abfolge der Weltreiche bildet dann das Grundgerüst der Persika des Ktesias von Knidos (351-377). Ktesias verstärkte in seinem Sukzessionsmodell die schematische Abfolge von Aufstieg, Blütephase und dekadentem Niedergang der Weltreiche. Er verband ferner als erster die Sukzessionstheorie fest mit der Herrschaft über den gesamten Kontinent Asien. Die "Konstruktion eines Mederreiches als Bindeglied zwischen dem Assyrischen und dem Achaimenidischen Imperium indessen ist allem Anschein nach eine Schöpfung Herodots". (387)

In hellenistischer Zeit wurde die ältere Dreiersukzession auf eine Vierersukzession von Monarchien erweitert (389-529). Das einzige hellenistische Schriftzeugnis, das "unzweifelhaft auf die klassische Dreiersukzession der griechischen Historiographie rekurriert und sie um ein viertes (makedonisches) Element erweitert, ist die alttestamentarische Danielerzählung". (393) Im Buch Daniel bilden Babylonien (nicht Assyrien), Medien, Persien und Makedonien (d.h. das Alexanderreich und seine Nachfolgereiche, insbesondere das Seleukidenreich) das Viererschema (400-439). Das Buch Daniel führt zudem eine negative, auf eine Endzeit hin ausgerichtete Zielrichtung der Sukzessionsreihe ein. Sein Autor unterscheidet drei große Geschichtsperioden, zuerst das autonome Israel, dann die Epoche der vier Weltreiche und schließlich das ewige Gottesreich unter der Herrschaft des Messias.

Wahrscheinlich gab es nun bereits vor dem Buch Daniel auch ein positives, rein 'säkulares' Viererschema, das schon durch die Erfahrung des Alexanderreiches und Alexanders als neuen "König von Asien" bzw. "König der Welt" angeregt wurde (440-471). Da alle annähernd zeitgenössischen Alexanderhistoriker aber nur fragmentarisch überliefert sind, bleibt es ebenso möglich, dass ein solches Viererschema erst im Umkreis der Herrscherpropaganda der frühhellenistischen Großreiche entstand. Seleukos I. Nikator erhob ja als Herrscher über das räumlich ausgedehnteste Nachfolgereich Alexanders propagandistisch den Anspruch eines "Königtums über Asien", der mit dem Konzept der Weltreichssukzession eng verbunden war (472-523). In der offiziellen seleukidischen Herrschaftsrepräsentation lässt sich jedoch ein expliziter Rekurs auf die Weltreichssukzession nicht eindeutig nachweisen.

Der Schlussteil des Buches über römische Wurzeln und Quellen zur Weltreichssukzession wird von Oellig selbst explizit nur als ein "Ausblick" bezeichnet (531-564). In der Tiefe der Quellenbehandlung und der Diskussion des Forschungsstandes kann er daher nicht an die beiden ersten Teile der umfangreichen Monographie heranreichen. Hier rekapituliert Oellig zunächst kenntnisreich die Belege für das Konzept von der römischen Herrschaft über den orbis terrarum (bzw. die Oikoumene) vom 2. Jahrhundert v.Chr. bis in die augusteische Epoche. Aemilius Sura datierte den Beginn der römischen Weltmachtstellung auf die Siege gegen den Antigoniden Philipp V. (197 v.Chr.) und den Seleukiden Antiochos III. (190 v.Chr). Oellig ist aber keineswegs von der meist angenommenen Datierung Suras in das 2. Jahrhundert v.Chr. überzeugt, sondern präferiert mit guten Argumenten eine Spätdatierung Suras erst in das 1. Jahrhundert v.Chr. (548-549) und die Entstehung der Fünfersukzession mit Rom als letztem Weltreich erst im Umkreis des Pompeius Magnus (vielleicht beeinflusst durch Theophanes von Mytilene?). Die spezifische Ausprägung der Sukzessionstheorie in den Historiae Philippicae des Pompeius Trogus sieht Oellig als einen Gegenentwurf zur offiziellen augusteischen Geschichtsschreibung. Dies ist aber wegen der fragmentarischen Überlieferungslage des Trogus-Textes nicht beweisbar.

Im Abschlusskapitel (565-583 und dasselbe auf Englisch 584-600) fasst die Autorin die Hauptergebnisse der Monographie nochmals zusammen. Das Schema der Weltreichssukzession zeige in allen Entwicklungsstufen eindeutig "Züge imperialer Ideologie". (565) Nach Oellig stellt bereits das älteste Dreierschema mit einiger Wahrscheinlichkeit eine griechische Schöpfung dar. Es stellt sozusagen eine "Interpretatio Graeca 'orientalischer' genauer: mesopotamischer Denkbilder" dar (573). Die stufenweise Erweiterung der Sukzessionstheorie bietet auf der Ebene ideologischer Konzepte ein illustratives Beispiel für den fruchtbaren interkulturellen Austausch zwischen griechisch-römischen und vorderasiatischen Konzepten. Oellig verbindet methodisch vorbildlich ansonsten leider oft weiterhin getrennt voneinander erforschte Bereiche der Altertumskunde. Die Monographie zeichnet sich durch ihre vorsichtig abwägende, gründliche Argumentationsweise aus. Das umfangreiche Literaturverzeichnis (608-690) ist übersichtlich in altorientalische sowie griechisch-römische literarische Quellen, dann epigraphische, numismatische und papyrologische Quellen, sowie sonstige Forschungsschriften unterteilt. Zwei zuverlässige Indices zu Personen, Götter- und Gruppennamen sowie zu Toponymen (691-714) runden die ausgesprochen empfehlenswerte Monographie ab. Ein sehr erwünschter Quellenindex fehlt leider.


Anmerkung:

[1] Vgl. Johannes Renger / Josef Wiesehöfer: Weltreiche, Weltreichsidee, in: DNP 12/2, 2002, 459-463, sowie Lia Raffaela Cresci / Francesca Gazzano (a cura di): De Imperiis. L'idea di impero universale e la successione degli imperi nell'antichità, Rom 2018.

Johannes Engels