Rezension über:

Cécile Dupeux / Peter Jezler / Jean Wirth (Hgg.): Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille?, München: Wilhelm Fink 2000, 454 S., ca. 700 Abb., ISBN 978-3-7705-3544-6, DM 78,00
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Rezension von:
Sibylle Appuhn-Radtke
Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sibylle Appuhn-Radtke: Rezension von: Cécile Dupeux / Peter Jezler / Jean Wirth (Hgg.): Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille?, München: Wilhelm Fink 2000, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.01.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/01/3479.html


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Cécile Dupeux / Peter Jezler / Jean Wirth (Hgg.): Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille?

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Nach einem Blick auf die Homepage der Berner Ausstellung, die mit einem Bildersturm neuester Machart warb (ein Kruzifix mit beweglichen Armen schwirrte à la Batman über den Bildschirm), waren die Erwartungen an das Begleitbuch eher bescheiden. Um so angenehmer die Überraschung, als ein veritables Handbuch zum Phänomen des Bildersturms eintraf, das ein breites Spektrum von Belegen präsentiert.

Das schwergewichtige Werk enthält vier Hauptteile: Im ersten findet man sechs gut lesbare Essays, die eine historische, sozial- und religionsgeschichtliche Basis für das Verständnis der Vorgänge im 15. und 16. Jahrhundert legen. Die Einführung von Peter Jezler macht die Verankerung von Stiftungen für den Kirchenschmuck in der vorreformatorischen Gebetsfürsorge und deren wirtschaftsgeschichtliche Implikationen deutlich. In einem Essay von Jean Wirth über die Theorien zum Bilderkult ist deren Entwicklung bei altgläubigen und reformatorischen Theologen voneinander abgegrenzt; graphische Schemata erläutern anschaulich die unterschiedlichen Positionen. Die Funktion von Bildern in der monastischen und privaten Devotionspraxis wird von Johannes Tripps beschrieben. Beat Hodler stellt Quellen über den "Gemeinen Mann" als Ikonoklasten vor und problematisiert Luthers Sicht der Bilderstürme als blinden Vandalismus. Neben spontanen Zerstörungen scheint es nicht wenige Bildentfernungen gegeben zu haben, die durch Abstimmungen in den Gemeinden legitimiert waren. Sergiusz Michalski und Olivier Christin sorgen schließlich für eine Darstellung der großen Bildersturmphasen und deren einzelner Vorgänge; das beigegebene Kartenmaterial ermöglicht eine rasche Einsicht in regionale Zusammenhänge.

Wie unterschiedlich die Reaktionen einzelner Städte auf die reformatorische Kritik des Bilderkultes ausfallen konnte, machen kurze Abrisse der Situation in Wittenberg, Zürich, Straßburg, Bern und Nürnberg im zweiten Teil klar. Diese topographische (und konfessionelle) Differenzierung hilft dem Leser, das Phänomen des Bildersturms nicht pauschal zu beurteilen, sondern einzelne Determinanten zu erkennen.

Der dritte Teil enthält 22 Quellentexte bzw. deren Regesten mit Kommentaren, die den Zeitraum von 1415 bis 1533 abdecken. Auch wenn hier nicht beurteilt werden kann, ob diese weit vor der Reformationszeit einsetzende und zugleich knappe Textgruppe die treffendste Auswahl darstellt, ist es in jedem Fall begrüßenswert, dass der Versuch unternommen wurde, die Leserschaft mit Originalquellen zu konfrontieren. Es erscheint hingegen bedauerlich, dass nur Bruchteile der zitierten Quellen in Transkription beigegeben wurden, teilweise nicht die aussagekräftigsten Partien (z.B. 106). Die von den Bearbeitern angebotenen Interpretationen sind damit nicht vollständig verifizierbar; ein klein gedruckter Quellenanhang hätte diesem Manko abgeholfen, ohne viel zusätzlichen Platz zu beanspruchen.

Den größten Teil des Buches nimmt nahe liegender Weise der Objektkatalog ein. Er ist nicht nach Materialgruppen oder topographisch, sondern thematisch gegliedert, wie es die kulturhistorische Fragestellung nahelegte. Die Katalogtexte geben größtenteils sorgfältige Beschreibungen, die von guten Abbildungen in sinnvoller Größe begleitet werden. Als positiv sei weiterhin vermerkt, dass den einzelnen Texten nicht nur Literaturangaben, sondern auch Anmerkungen folgen. Die jeweilige Argumentation ist damit besser zu verfolgen als im Quellenteil.

Wohl aus Gründen der Anschaulichkeit wurden die sonst üblichen knappen Objekttitel durch ganze Aussagesätze ersetzt. Dieses Verfahren überzeugt in manchen Fällen - dann, wenn sie die Stellung des Objekts im inhaltlichen Kontext des Buches und der Ausstellung auf Anhieb erkennen lassen. Problematisch wirkt es jedoch in solchen Fällen, in denen nebensächliche Informationen (z.B. Nr. 159) oder Wertungen des Bearbeiters (Nr. 192) in eine Überschrift gegossen wurden; diese erhalten damit überproportionales Gewicht. In die gleiche Richtung - plakative Aussagen zur Verdeutlichung des Inhalts - zielen auch manche Einführungen zu den Katalogabteilungen, etwa Jean Wirths Aussagen zu den künstlerischen Folgen der Gegenreformation: Hier ist in pauschaler Zusammenschau der Kirchenbauvorschriften Carlo Borromeos und Gabriele Paleottis Forderung nach züchtigen Bildern von "Vandalismus im Rahmen der liturgischen Reform und einem wirklichen Bildersturm" (378f.) die Rede - Begriffe, die zugleich auf die Niederlegung mittelalterlicher Lettner und die Veränderung (Übermalung oder Überschnitzung) indezent wirkender Heiliger bezogen sind. Wenn dann noch die Barockisierung mittelalterlicher Kirchen, die - wie jede Neuausstattung - mit der weit gehenden Beseitigung der vorherigen Ausstattung einherging, einem militanten Katholizismus, nicht schlichtem Stilwandel oder Modernisierungsdruck zur Last gelegt wird, scheint die Grenze einer vertretbaren Plakativität erreicht, wenn nicht überschritten.

Solche teilweise verunglückten Bemühungen um eine didaktische Aufbereitung können aber das Verdienst einer großartigen Materialsammlung zum Thema und deren sinnvolle Gliederung nicht herabsetzen. Es ist außerordentlich dankenswert, dass sowohl durch Bilderstürmer verstümmelte als auch laut archivalischer Nachricht gerettete oder nach ihrer Beschädigung restaurierte Objekte gezeigt werden, ebenso ikonographisch modifizierte oder neu genutzte Kunstwerke. Hier eröffnet sich ein Fächer aus vielen Aspekten, der die kulturhistorischen Abläufe vor, während und nach den Bilderstürmen anschaulich macht.

Schließlich trägt das sehr breit angelegte Glossar vor dem Literaturverzeichnis am Ende des Bandes ein kleines Handbuch kunsthistorischer, theologischer und historischer Begriffe bei. Zwar hätte man vielleicht statt der Lemmata "Bauer", "Bild" und "Christus" eher seltenere Termini wie die im Katalog vorkommenden "Werke der Barmherzigkeit" gesucht, aber sehr viele nützliche Erklärungen, teils auch mit Strichzeichnungen veranschaulicht, werden dankbare Benutzer finden.

Der Band bildet in allen seinen Teilen einen wesentlichen Beitrag zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Trotz der oben genannten Kritikpunkte kann man ihn als maßgebliches Kompendium zum Thema empfehlen.

Sibylle Appuhn-Radtke