Wolfram Martini (Hg.): Die Jagd der Eliten in den Erinnerungskulturen von der Antike bis in die Frühe Neuzeit (= Formen der Erinnerung; Bd. 3), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 220 S., ISBN 978-3-525-35422-3, EUR 34,00
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Jagd sei, so der spanische Philosoph José Ortega y Gasset, eine "glückhafte Beschäftigung" und "im Wesen des Menschen begründete Begierde", um welche die unteren Schichten die oberen beneideten und bekämpften. Und der Anthropologe Matt Cartmill konstatierte, die Jagd stelle, "weil sie ein konfrontatives, vorbedachtes und gewaltsames Töten verlangt [...], einen Krieg der Menschheit gegen das Wilde" dar. Dass die historische Erforschung der Jagd lange Zeit nicht in der Hand von Allgemeinhistorikern, sondern von forstwissenschaftlich ausgebildeten Jagdhistorikern lag, ist ob der ihr zugebilligten Bedeutung ein erstaunlicher Tatbestand, der sich für die Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit erst in den letzten Jahren ein wenig zu ändern scheint. Ein von Werner Rösener herausgegebener Sammelband, die Arbeiten Eckardts, Salvadoris, Ernsts, Kohls oder des Rezensenten deuten die Möglichkeiten an, die die Erforschung der Jagd im Hinblick auf Verfassungs-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte, Umweltgeschichte oder Zeremoniellforschung noch zu bieten hat. Um so erfreulicher ist es auf den ersten Blick, dass sich nun ein weiterer Sammelband der Jagd der Eliten aus diachroner und interdisziplinärer Perspektive nähert - und zwar unter der Fragestellung, wie die Jagd oberer Schichten als Gegenstand der Erinnerung fungierte beziehungsweise eingesetzt wurde. Bereits der Titel weckt dementsprechend Neugierde, denn schließlich ist in der Geschichtswissenschaft das Thema Erinnerung "in", die Jagd hingegen (noch) nicht.
Bereits der Blick ins Inhaltsverzeichnis des vorliegenden Buches, dessen Untertitel einen Gang von der Antike bis in die Frühe Neuzeit verspricht, muss einen Frühneuzeithistoriker jedoch enttäuschen: Vier der acht Aufsätze beschäftigen sich mit der Jagd Kaiser Hadrians, ein weiterer mit der Spätantike, zwei Artikel thematisieren die Transformation antiker Jagdvorstellungen im Mittelalter, und nur ein Text trägt die Frühe Neuzeit im Titel - im Untertitel allerdings, zusammen mit dem Spätmittelalter. Dies führt zur Frage nach dem Entstehungskontext des Sammelbandes.
Das Buch entstammt einer Zusammenarbeit mehrerer, vor allem auf die Antike konzentrierter Teilprojekte des Gießener Sonderforschungsbereichs "Erinnerungskulturen". Insofern ist der Titel des Bandes verwirrend (nicht zuletzt der etwas missverständliche Genitiv "Jagd der Eliten"), die interdisziplinäre Ausrichtung (Alte Geschichte, Klassische Philologie, Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Christliche Archäologie, Geschichte des Mittelalters) dagegen prinzipiell zu begrüßen, denn auf diese Weise könnten sich Möglichkeiten ergeben, vielerlei Facetten der Bedeutung von Jagd und ihrer Nachwirkungen im Kollektiven Gedächtnis zu beleuchten. Bislang sind in der Forschung diverse, höchst unterschiedliche Begründungen, Motivationen und Funktionen der Jagd angeführt worden (zum Beispiel Jagd als Nahrungsbeschaffung, als Kultivierung und 'Eroberung' wilder Natur, als Freizeitbeschäftigung, als Kommunikations- und Herrschaftsform, als Wirtschaftsfaktor, als Vorbereitung für den Krieg oder als Ersatzhandlung und so weiter). Auf der Rezeptions- und Erinnerungsebene ließen sich, so die Erwartung des Rezensenten, solche und ähnliche Formen und Funktionen der Jagd über die Epochen- und Disziplinengrenzen hinweg auf neue Weise gewichten.
Zur Analyse, wie die Jagd oberer Schichten erinnert wurde, wäre idealtypisch etwa nach einer Faktenebene ("Jagd"), nach den Akteuren bei der Jagd (zum Beispiel "Eliten"), den Transformationen (was wird erinnert), den Erinnerungsmedien (beispielsweise Statuen, Wandteppiche), den 'Konstrukteuren' von Erinnerung, welche nicht zwangsläufig die Jagenden selbst, sondern etwa spätere Eliten sein könnten, sowie nach den Adressaten zu fragen (vergleiche auch die Einleitung, 10f.). Diese Ebenen sind im vorliegenden Band nicht gleichermaßen vertreten.
Werner Röseners Beitrag (15-37) thematisiert die Einflüsse antiker Jagdtraditionen auf die mittelalterliche Jagdpraxis. Auf die Frage "Welchen Einfluss haben die Jagdformen antiker Herrscher auf die Jagdinszenierung gehabt?"(18) folgt zehn Seiten später die Antwort: "Die Inszenierung königlicher Jagden und das demonstrative Auftreten der Könige als heldenhafte Jäger müssen in der Tradition orientalischer, antiker, byzantinischer und arabischer Vorbilder gesehen werden." (28). Dazwischen liegt eine Tour de force durch verschiedene Ausformungen der Jagd im Alten Testament, in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland, Rom (vor allem Hadrian, 24-26), Byzanz, im Perserreich und Arabien, die Beispiele lassen sich mehr oder minder problemlos mit der karolingischen Jagdpraxis verbinden. Wie und warum die einzelnen Motive mit dem Frankenreich in Verbindung zu bringen sind, bleibt im Dunkeln. Man erfährt letztlich, dass quasi schon immer gejagt wurde (zum Beispiel 32), dass die (Großwild-)Jagd ein Vorrecht der Eliten war und mehr oder minder integrativ wirkte (29-31), und dass es sich bei der Jagd der Karolinger sowohl um eine rituelle Inszenierung als auch um eine Freizeitbeschäftigung handeln konnte (33f).
Harald Wolter-von dem Knesebeck setzt in seinem Beitrag den Akzent auf die bildliche Darstellung von Jagden, angefangen bei einem kurzen Überblick über antike Traditionen (zum Beispiel Alexander, Hadrian) bis zu Kaiser Maximilian I. (73f). Der Autor hebt insgesamt vor allem die Rolle der Natur in den Jagddarstellungen hervor, sei es als Rückzugsgebiet der Jagenden (60), sei es als durch Jagd wilder Tiere zu kultivierende Wildnis. Im Hinblick auf eine 'Erinnerungspolitik' der Eliten durch Jagdmotive wird ein Bruch zwischen Antike und Mittelalter festgestellt: "Auf das Ganze gesehen spielte aber anders als in der Antike die Jagdthematik im Mittelalter weder im Sepulkralbereich noch bei den Staatsdenkmälern wirklich eine Rolle." In den Bauten der Oberschicht ließen sich hingegen sowohl in der Antike als auch im Mittelalter Jagdmotive finden, die dort als Mosaiken oder Wandmalereien ihren Platz hatten (49).
Einer besonderen Form des Wandschmucks mit Jagddarstellungen im Spätmittelalter widmet sich der Aufsatz von Birgit Franke (189-219). Die Autorin zeigt am Beispiel bebilderter Wandteppiche, dass die Jagdmotive einerseits Formen der Domänenwirtschaft widerspiegelten, während andererseits der Faktor der Kommunikation durch Jagd in einem Außenraum (dem Jagdrevier) seine Entsprechung in der Inszenierung des Innenraums durch Jagdteppiche fand. Die Jagd als herrscherliche Raumaneignung, worauf etwa bereits J. Morsel 1997 hingewiesen hat, wirkte somit auch in die Repräsentations- und Erinnerungsformen der jagenden Adeligen hinein.
Ansonsten erfährt der Leser im vorliegenden Band vieles über die Jagden Hadrians und ihre Widerspiegelung in der Dichtung und bildenden Kunst (Jagdtondi am Konstantinsbogen und anderen), etwa im Hinblick auf die Repräsentation von virtus und pietas und als mögliche Kompensationshandlung im Rahmen eines eher defensiv ausgerichteten Regierungsprogramms des Kaisers (121). Zahlreiche Wiederholungen hadrianischer Jagddetails (vom Kaiser sind insgesamt wohl nicht mehr als vier verschiedene Jagden präzise überliefert, 107f.) wirken ermüdend. Der Zusammenhang zwischen Jagd, Eliten, Kultur und Erinnerung bleibt meist im Dunkeln.
Leider verschwimmt gerade in der Einleitung des Buches die Begrifflichkeit, etwa wenn zwischen einer "normativ-referentiellen" im Gegensatz zu einer "legitimatorisch-referentiellen" Funktion von Erinnerung oder zwischen einem "scheinbar objektiven Erinnerungsinteresse des Chronisten" und dem "individualistisch-fiktive[n] Vorgehen eines Lyrikers" unterschieden wird (11). Außerdem werden in den einzelnen Beiträgen die Jagenden oftmals mit den 'Konstrukteuren' und den Adressaten der Erinnerung gleichgesetzt, wodurch sich letztlich die Intention des Bandes, die Wahrnehmung und Rezeption der Jagd zu untersuchen und zu fragen, was die Jagd als kulturelles Phänomen überhaupt erst ausmacht, nicht einlösen lässt. Überhaupt wird die Ebene der Rezipienten, die ja nicht notwendigerweise dem Kreis der jagenden Eliten entstammen mussten, fast völlig ausgeblendet - was schade ist, hätten sich doch hier vielleicht interessante Interaktionsmechanismen zwischen Jagdgeschehen und Jagdgedächtnis oder zwischen Eliten und Untertanen auftun können.
Warum sich der Band ausschließlich auf die Jagd von "Eliten" in der Erinnerung der Eliten konzentriert, wird nicht recht deutlich, denn bei den meisten herrscherlichen Jagden waren fast zu jeder Zeit zahllose Jagdhelfer aus dem Volke anwesend, die unter bestimmten Voraussetzungen, ob legal oder illegal, auch selbst auf die Jagd gingen. Für Antike und frühes Mittelalter mag dies ein Quellenproblem sein, für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit ist es dies nicht, wie einige der oben erwähnten neueren Arbeiten gezeigt haben. Man wird der umfassenden Bedeutung der Jagd in historischer Perspektive nicht durch eine Motivgeschichte, sondern erst dann gerecht, wenn alle Aktions- und Rezeptionsebenen berücksichtigt werden und nicht impliziert wird, es handele sich bei der Jagd um ein Spiel der Eliten - von Eliten und für Eliten.
Alexander Schunka