Reiner Groß: Geschichte Sachsens, Berlin: Edition Leipzig 2001, 352 S., 38 farb. u. 220 s/w- Abb., 8 Ktn, ISBN 978-3-361-00505-1, EUR 35,00
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Anzuzeigen ist - wie der Titel bereits nahe legt - eine Überblicksdarstellung zur Geschichte des Landes Sachsen, der ersten, die seit der Wiederbegründung des Landes 1990 mit wissenschaftlichem Anspruch verfasst worden ist. Der Autor, seines Zeichens Professor für Regionalgeschichte an der TU Chemnitz und langjähriger Direktor des Hauptstaatsarchivs Dresden, scheint bestens legitimiert, genau das zu tun, was er selbst im Vorwort ankündigt, nämlich einen historischen Überblick zu verfassen, der auf neuere Forschungsergebnisse zurückgreift und eine Neubewertung der Entwicklung Sachsens vor allem im 19. und 20. Jahrhundert versucht. Dass er dabei als Schwerpunkte die politische Geschichte und den Anteil der Dynastie der Wettiner thematisieren will, weil diese Aspekte in den letzten fünf Jahrzehnten, sprich in der landes- beziehungsweise regionalgeschichtlichen Forschung bis zum Ende der DDR, sehr vernachlässigt worden seien (5 f.), mag nicht bei jedem auf Zustimmung stoßen. Eine Auswahl beziehungsweise Konzentration angesichts der Fülle des auf begrenztem Raum Darzustellenden ist jedoch zweifellos als legitim anzusehen. Nicht zuletzt stellt der Autor sich damit ja auch in eine ältere Tradition landesgeschichtlicher Forschung, die es ihm zugleich erlaubt, Korrekturen hinsichtlich der von ihm mit verfassten Abschnitte zur Frühen Neuzeit in der 1989 erschienenen "Geschichte Sachsens" anzubringen.
Nach der Lektüre des - im Übrigen repräsentativ ausgestatteten und grafisch gut gestalteten - Buches muss man jedoch konstatieren, dass dieser Versuch einer neuen Gesamtdarstellung in vieler Hinsicht unbefriedigend bleibt. Zwar wird der neugierige Leser beziehungsweise die interessierte Leserin vieles aus diesem Buch lernen können und an verschiedenen Punkten auch Sachverhalte erfahren, die in älteren Darstellungen noch fehlten. Ob er respektive sie aber am Ende über ein Bild von Grundtendenzen und Spezifika der Entwicklung des Kurfürstentums, des Königreiches, des Freistaates Sachsen verfügt, darf bezweifelt werden.
Dafür gibt es mehrere Gründe: So verzichtet der Autor fast vollständig auf die Darstellung der mittelalterlichen Geschichte, mit dem Hinweis auf deren umfängliche Erörterung in älteren Gesamtdarstellungen (6 f.). Darüber kann man ebenso geteilter Meinung sein wie hinsichtlich der ausschließlichen Orientierung am chronologischen Prinzip. Letzteres ist allerdings in diesem Fall mit dem weitgehenden Verzicht auf die Darstellung von Zusammenhängen innerhalb der einzelnen Bereiche historischer Entwicklung, auf das Setzen von Akzenten zur Betonung von Spezifika und Kontexten verbunden, zumal auch der angekündigte Fokus auf die politische Geschichte beziehungsweise die Bedeutung der Dynastie am Ende nicht wirklich umgesetzt wird. Konsequenz dieses Darstellungskonzepts ist, dass der angekündigte Überblick zu einer Aneinanderreihung von kurzen, durch Zwischenüberschriften getrennten und durch Randmarginalien betonten Texten zerfasert, die - durch wenig mehr als die Chronologie verbunden - Geschichten aus Sachsen erzählen.
Die eingangs des Werkes angesprochenen neueren Forschungen sind zudem in sehr unterschiedlichem Maße rezipiert worden, vorrangig in Bereichen, zu denen der Autor selbst gearbeitet hat, was sich in unterschiedlicher Qualität einzelner Teile des Textes niederschlägt. Und einen Bezug zur neueren historischen Forschung allgemein, der durch Fragestellungen, durch knappe begriffliche Bezugnahmen auch in einem solchen Überblickswerk hätte hergestellt werden können, wird man ebenfalls vermissen. Dieses Manko tritt beispielsweise in teilweise unglücklichen Wertungen historischer Phänomene und Sachverhalte zu tage, etwa in der Fokussierung politischer Konsequenzen der Aktivitäten des Herzogs beziehungsweise Kurfürsten Moritz um 1550 auf den Aspekt nationalstaatlicher Entwicklung (54), in der eher plakativen Politisierung der höfischen Festkultur (135) oder der Bezeichnung der Märzereignisse von 1848 als "liberaler Umschwung" (222).
Schließlich ist auch auf einige ärgerliche Fehler in Details (zum Beispiel 11, Abstammung Friedrich Augusts III.; 133, Herkunft von Werthern; 139, Manufakturgründung) und die merkwürdige Distanzlosigkeit zu völkisch gefärbten Zitaten aus Texten der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts (7, 129, ähnlich 264) zu verweisen. Dass man schließlich auch knappe Hinweise auf innere Differenzierungen im Kurfürstentum beziehungsweise Königreich vermisst, etwa eine Bezugnahme auf Wirtschaftslandschaften, abweichende Charakteristika der Verhältnisse in der Oberlausitz oder einen Hinweis auf die Sorben und die Sorbenpolitik seit dem hohen Mittelalter, kann nicht allein durch Verweis auf den knappen Raum legitimiert werden. Hier liegen auch ernsthafte Defizite der Darstellung. Manche dieser Defizite, das sei hier ausdrücklich betont, sind dabei freilich dem Stand landesgeschichtlicher Forschung in Sachsen anzulasten, die trotz ihrer Intensivierung nach 1990 noch viele Lücken aufweist.
Das hier vorzustellende Werk erlangt somit seinen Wert vorrangig dadurch, dass es sich um die einzige derzeit greifbare Überblicksdarstellung zur Geschichte Sachsens auf wissenschaftlichem Niveau handelt. Selbst wenn man gegenüber dem Konzept des Autors und der Art seiner Umsetzung kritische Einwände erheben muss, so ist der faktologische Wert der Darstellung doch keineswegs zu leugnen. Teile der Darstellung, so etwa zur staatlichen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (79 ff.), zur Rolle der Stände in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (110 ff.), zur innenpolitischen Situation am Beginn des 19. Jahrhunderts oder zur Rolle Sachsens innerhalb des Deutschen Bundes nach 1849 (229 ff.), stehen inhaltlich auf hohem Niveau. Empfehlenswert ist das Buch für alle, die sich ein attraktives Werk zur Geschichte Sachsens wünschen, in dem man diesen und jenen Sachverhalt nachschlagen kann. Als Einführung, die Grundtendenzen, Allgemeines und Besonderes der historischen Entwicklung des Landes in komprimierter Form zusammenfasst und neuere Literatur greifbar macht, kann diese Überblicksdarstellung jedoch kaum dienen.
Katrin Keller