Nils Jörn: "With money and bloode". Der Londoner Stalhof im Spannungsfeld der englisch-hansischen Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. Neue Folge; Bd. 50), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, X + 628 S., ISBN 978-3-412-08800-2, EUR 59,90
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Die Beziehungen zwischen England und der Hanse bilden traditionell einen Schwerpunkt der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hanseforschung. Als Band 50 der "Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte N.F." veröffentlicht nun der renommierte Böhlau Verlag die Greifswalder Dissertation von Nils Jörn, die der Autor ursprünglich unter dem Titel "Die Guydhala Theuthonicorum. Eine Studie zur Diplomatie-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des hansischen Kontors in London 1474-1554" eingereicht hatte.
Die kenntnisreichen Analysen Jörns, insbesondere die umfangreichen und detaillierten Schilderungen der Organisationsstruktur des Londoner Stalhofs sowie des alltäglichen Lebens im Kontor, dürften die Arbeit zu einem Standardwerk der frühneuzeitlichen Hanseforschung werden lassen. Die Darstellung bietet zudem zahlreiche Anknüpfungspunkte für vergleichende Studien und dürfte der Forschung damit insgesamt neue Impulse geben. So sind Parallelen zu anderen hansischen Niederlassungen offensichtlich, indem sich beispielsweise Passagen der Londoner Kontorsordnung von 1554 gleichlautend auch in den Kontorsordnungen von Antwerpen und Bergen aus dem 16. Jahrhundert wiederfinden.
Jörn stützt seine Ausführungen - dank eines Stipendiums am Deutschen Historischen Institut in London (1992-1993) - im Wesentlichen auf die Bestände der British Library, des Public Record Office London und des London Corporation Record Office. Ergänzend zog der Autor einige ausgewählte Bestände der Archive in Lübeck und Stralsund heran.
Verzichtet hat Jörn dagegen auf die Einbeziehung des Historischen Archivs der Stadt Köln - im deutschsprachigen Raum die erste Anlaufstelle im Hinblick auf das Londoner Kontor. Möglicherweise hätten sich dadurch weitere wichtige Erkenntnisse gewinnen lassen. Die Einbeziehung eines weiteren Archivs hätte aber wohl den Rahmen des Dissertationsprojekts gesprengt.
Die Dissertation umfasst zwei Hauptteile. Im ersten Teil werden die Vorgeschichte des Utrechter Friedens und die Aussöhnung mit Köln (Kapitel 2) sowie die Geschichte des Kontors vom Utrechter Frieden bis zur Verabschiedung der Londoner Statuten auf dem Hansetag 1554 (Kapitel 3) beschrieben. Der zweite Teil beinhaltet eine systematische Darstellung der Organisations- und Handlungsstruktur des Kontors: "Zulassung zum Stalhof" (Kapitel 4), "Die Administration des Stalhofes" (Kapitel 5), "Das Zusammenleben im Stalhof" (Kapitel 6), "Handel und Schifffahrt" (Kapitel 7).
Es gelingt dem Autor, die Akteure selbst sehr detailreich zu beschreiben (Frankreich, Burgund, England, Norwegen, Dänemark, Köln, Lübeck, Danzig, Hanse, Brügge, London, englische Kaufleute, hansische Kaufleute) und die Ebenen der Konflikteskalationen aufzuzeigen. Der Plural ist hier bewusst gewählt, da es nicht nur um eine Auseinandersetzung der Hanse mit Köln beziehungsweise mit England ging, sondern andere Akteure und Konflikte zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Ereignisse einwirkten. Jörn beschreibt die komplexen Handlungsstrukturen und -muster in einer gut lesbaren Sprache. Gleichzeitig gelingt es ihm, die Struktur- und Ereigniskomplexität in ihrer Vielschichtigkeit zu veranschaulichen. Er zeichnet nicht nur die 'Außenbeziehungen' der beteiligten Akteure nach, sondern auch die inneren heterogenen Interessenlagen und Konflikte. Besonders deutlich wird dies an den innenpolitischen Entscheidungssituationen in England. Ob man angesichts solcher 'normalen' Vorgänge noch von einer "organisationsimmanente[n] Schwerfälligkeit der Hanse" (44) sprechen sollte, ist fraglich. Für welchen der beteiligten Akteure ließen sich nicht ähnliche Feststellungen treffen? Konsens- und Entscheidungsfindungsvorgänge sind an sich heterogen und lassen sich selten linear darstellen. Die Konflikte zwischen den drei großen Hansestädten Lübeck, Danzig und Köln zum Beispiel, die noch während des gesamten 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf die hansischen Konsens- und Entscheidungsfindungen einwirkten, waren feststehende politische Determinanten und lassen sich nicht einfach als Strukturschwäche abqualifizieren, wie es vielfach in der Hanseforschung geschieht. Die Leistung der Hanse bestand gerade darin, an sich gegensätzliche Entscheidungsträger konsensfördernd einzubinden. Die Auseinandersetzungen zwischen 'der' Hanse und Köln, die Jörn sehr gut schildert, und deren Ausgleich sind gerade hierfür ein Beleg. Hierin besteht die besondere Leistung des Autors, nicht vorschnell zu urteilen, sondern analytisch die Konflikte zu beschreiben.
Die Kapitel 4 bis 7 geben Einblick in das Leben im Kontor im umfassenden Sinne. Jörn beleuchtet an zahlreichen Beispielen die Handelsaktivitäten der Kaufleute ausgehend von den Statuten. Der Leser erhält ein sehr plastisches Bild aller Handlungsabläufe im Kontor - angefangen mit der Ankunft bis hin zur Abfahrt eines Schiffes. Zudem unterrichtet Jörn sehr genau über das Zusammenleben der Kontorsmitglieder, von den gemeinsamen Mahlzeiten bis hin zu Kleidungsvorschriften und Versuchen, Luxus und Verschwendungssucht einzudämmen. Thematisiert werden auch die Auswirkungen der Reformation auf das Kontor und die Schwierigkeiten, die sich aus der Verbreitung reformatorischen Schriftguts im Kontor ergaben.
Der Autor schildert anhand von Einzelfällen sehr genau die Streitigkeiten und die unterschiedlichen Motivationen der Beteiligten. Probleme wie die Frage, wann ein Kaufmann zuzulassen beziehungsweise welche Stadt zur Privilegiennutzung berechtigt sei, werden ausführlich thematisiert. So gab es zum Beispiel Auseinandersetzungen um den Genuesen Anthonius Malo, der in Köln heiratete und dort das Bürgerrecht erwarb. Hansischerseits durfte er die Privilegien nutzen, englischerseits wurde dies bestritten (271f.).
Des weiteren wird der Leser über die jährlich stattfindende Wahl der Kontorsführung unterrichtet. Ältermann, Beisitzer und Kaufmannsrat werden vorgestellt, zudem die Einberufung und die Funktion der Kaufmannsversammlung beschrieben. Besonders interessant sind die Ausführungen zum englischen Aldermann. Diese Funktion wurde von hohen Vertretern der Londoner Stadtverwaltung wahrgenommen. Für die hansischen Kaufleute war der englische Aldermann der Ansprechpartner in Konfliktsituationen, er konnte für eine zügigere Behandlung einer Beschwerde sorgen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Arbeit von Nils Jörn eine bedeutende und informative Arbeit zur Hansegeschichte vorliegt. Durch gute Lesbarkeit und interessante Präsentation der Zusammenhänge ist das Werk sowohl als wissenschaftliches 'Lesebuch' wie auch als Nachschlagewerk geeignet.
Ludwig Schipmann