Rezension über:

Alexander Markschies: Gebaute Armut. San Salvatore e San Francesco al Monte in Florenz (1418-1504) (= Aachener Bibliothek; Bd. 2), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, 267 S., 128 Abb., ISBN 978-3-422-06326-6, EUR 34,80
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Rezension von:
Michael Lingohr
Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Michael Lingohr: Rezension von: Alexander Markschies: Gebaute Armut. San Salvatore e San Francesco al Monte in Florenz (1418-1504), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 5 [15.05.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/05/3432.html


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Alexander Markschies: Gebaute Armut

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Mit der Studie zur Florentiner Kirche San Salvatore, die 1998 in Bonn als Dissertation eingereicht wurde, wird ein dringendes Desiderat der Florentiner Renaissance-Forschung erfüllt. War der Bau doch bislang nicht umfassend untersucht, obgleich er allgemein als einer der bedeutendsten der fortgeschrittenen Florentiner Renaissance gilt. Mit reicher Bebilderung, leider großenteils in DKV-Qualität, ist die Studie ansprechend publiziert. Sie konzentriert sich auf die monografische Behandlung der Kirche bis zu ihrer Vollendung 1504 und, darauf aufbauend, auf ihre Stellung innerhalb der franziskanischen Architektur. Je ein Kapitel ist zudem den Franziskanerobservanten, den Stiftern und dem Architekten Simone del Pollaiolo, genannt Il Cronaca (1457-1508), gewidmet. Ein kurzer Ausblick gilt der Florentiner Architektur um 1500. Im Anhang ist die teils abgelegen publizierte, teils unveröffentlichte Dokumentation vollständig bereitgestellt.

Die Rekonstruktion der Baugeschichte basiert auf einigen verstreuten Dokumenten und vor allem auf der um 1580 von Dionisio Pulinari kompilierten Chronik der toskanischen Franziskanerobservanten. Zudem konnte sich der Autor auf fundierte Vorarbeiten von Amonaci, Pacciani, Pellecchia, Teubner und anderen stützen. Ihm gelingt es hier, das relevante Material zu versammeln und anhand der wenigen Fixpunkte einen gültigen Überblick über die Baugeschichte zu geben. Auch die Analyse der Architektur und ihrer architekturgeschichtlichen Stellung gerät überzeugend und bindet den Bau anschaulich in die Typologie des Kapellensaales ein. Zugleich vermag der Autor die bisweilen angezweifelte Zuschreibung an Cronaca durch Stilvergleiche zu untermauern. Die genauere Untersuchung des Formenapparates macht die Qualitäten des Baus deutlich, lässt andererseits mit Blick auf die verglichenen Bauten leichte Zweifel aufkommen, ob man das Motto "Gebaute Armut" auf den Innenraum wirklich anwenden möchte. Zumindest kann man feststellen, dass dem Architekten in der Inszenierung des Innern eine grandiose Steigerung gegenüber dem Aussenbau gelingt. Als Merkmale der postulierten Schlichtheit führt der Autor den Verzicht auf Steigerung nach dem Prinzip der Supraposition in der oberen Pilasterordnung, den offenen Dachstuhl, den Fußboden aus Granitplatten, nicht aus Marmor, sowie das gegenüber der 'pietra serena' weniger edle Material 'pietra forte' für die Architekturglieder an (142ff.). Ob die genannten Steinsorten tatsächlich als Armutsbeweise gelten können, bliebe in einer noch zu schreibenden Florentiner Materialikonographie zu erhärten. Einen Zwiespalt zwischen Aussen- und Innenbau sieht offenbar auch der Autor, wenn er die Kapelle des Kardinals von Portugal an San Miniato al Monte als "konzeptionelles Vorbild" charakterisiert, das in seiner "ausgeprägten Dialektik" von schlichtem Aussenbau und Prachtentfaltung innen anregend gewesen sein dürfte (90f.).

Die Vergleiche, die der Autor anführt, werden dank der Abbildungen anschaulich und vermögen zu überzeugen. Besonders aufschlussreich ist dabei der Blick in den äußerst ähnlichen, kurz vor San Salvatore begonnenen Dom San Florido in Città di Castello, der zeigt: "Das höhere Anspruchsniveau der Kathedrale wird allein durch den Baudekor visualisiert ..." (140). Zu Recht lehnt der Autor den beliebten, aber oft, wie auch in diesem Fall, gezwungenen Nachweis musikalischer Proportionen ab (122f.).

Der Forschungsstand zu Cronaca ist erstaunlich schlecht, obgleich dieser doch als einer der wichtigsten Florentiner Architekten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts gilt. Die Erkenntnisse des Autors zu Schaffen und Stil Cronacas dürften der Forschung neue Impulse verleihen. Da der Autor anderweitig ausführlich zum Architekten gehandelt hat, ist der entsprechende Abschnitt der vorliegenden Studie kurz gehalten. Dennoch birgt er eine interessante Wiederentdeckung: So wird daran erinnert, dass ein Entwurf Cronacas aus dem Jahre 1508 für die Dominikanerkirche San Paolino in Lucca belegt ist (162f.). Anhand der Abbildungen wird die enge Anlehnung dieses Baus (1515-1539, 1597 geweiht) an San Salvatore offenbar. Die in der Einleitung verkündete "Autorschaft" Cronacas (10) bleibt allerdings noch detailliert nachzuweisen, da dieser schon 1508 verstorben war.

Die Frage nach dem Umgang der Franziskaner mit dem Armutsgebot und seiner architektonischen Umsetzung liegt dem Autor besonders am Herzen und wird entsprechend ausführlich diskutiert. Grundlage dafür sind die bereits von Pacciani zitierten Beschlüsse des Provinzialkapitels der Franziskanerobservanten in Poggibonsi von 1474, in denen ausdrücklich Bestimmungen für den Bau von San Salvatore festgelegt wurden, deren Grundtenor die Vermeidung von Malerei und von übermäßigem architektonischen Dekor war. Trotz starker inhaltlicher Befrachtung hat der Florentiner Bau, wie der Autor abschließend ausführt, Nachfolge gefunden, so in Florenz selbst mit San Giuseppe (ab 1519, Baccio d'Agnolo) und in Venedig mit der Franziskanerobservantenkirche San Francesco della Vigna (ab 1534, Jacopo Sansovino), hier wohl unter ähnlichen Prämissen wie beim Vorbild.

Hauptanliegen des Autors sind ausdrücklich die Klarlegung der Baugeschichte, die typologische und architekturgeschichtliche Einordnung des Baus sowie die Bautraditionen der Franziskaner. Dennoch ist zu bedauern, dass zu den Seitenkapellenstiftungen, zur Liturgie in der Kirche und zu ihrer Bedeutung im Florentiner Festkalender nicht mehr Erkenntnisse vorliegen - das aber ist in erster Linie wohl dem Zufall der Überlieferung anzulasten. So ist auch zu erklären, dass die Gründe für Castello Quaratesis Stiftung weitgehend verborgen bleiben. Ob die Anbringung des Wappens die "zentrale Motivation der Stiftung" gewesen sein könnte, scheint eher fraglich (63).

Wie Pacciani dargelegt hat, reiht sich San Salvatore in die Zahl der Bauten, auf deren Entstehung Mitglieder der Familie Medici mehr oder weniger Einfluss genommen haben. So ist Lorenzo de' Medici in den 1480ern, also in der Zeit der Bauplanung und des Baubeginns, als einer der 'operai' der Kirche nachgewiesen. Pulinari zufolge entstand der Bau gar nach Lorenzos Vorstellungen. Geld hat dieser, soweit bekannt, allerdings nicht gestiftet: Bei den vom Autor zitierten 233 Florin handelt es sich entgegen dessen Ansicht (48) lediglich um die Auszahlung treuhänderisch verwalteter Mittel. Mit der ausführlichen Erörterung von Lorenzo de' Medicis Kompetenz in Architekturfragen folgt der Autor einer Konvention der Forschung. Dass die mit der Obhut des Baus vom Stifter aus- und nachdrücklich betraute Tuchhändlerzunft gar nicht in die Analyse einbezogen wird, verwundert jedoch. Die Zunft war immerhin seit alters für diverse Sakralbauten verantwortlich, unter anderem, wie der Autor selbst vermerkt (26f.), für das Baptisterium und San Miniato al Monte, und verfügte über Strukturen und Kompetenz, ein Legat wie das Quaratesis zu übernehmen. Hier hätte sich die Möglichkeit geboten, den Medici-fixierten Blickwinkel der Florenzforschung zu erweitern. In diesem Zusammenhang unterläuft dem Autor eine Verwechslung: Die Annahme, der Wappenadler der Quaratesi wende sich im Unterschied zu dem der Calimala nach rechts (34), führt zur Feststellung, dass der Bau mit Stifterwappen enorm reich ausgestattet sei (63). Die Dinge liegen jedoch anders: Das Quaratesiwappen weist einen zweigeteilten Schild mit Adler nach rechts im oberen Feld auf, die Calimala führt ebenfalls den Adler nach rechts, der jedoch einen Tuchballen in den Fängen hält. Für die Bewertung der Stiftung und ihrer Visualisierung ergibt sich damit ein differenzierteres Bild. Beide Wappen treten am Bau in Erscheinung, und ihre Verteilung lässt die komplexe Rechtsstruktur erahnen, die eine solche Stiftung schuf: An den Seiten der Fassade erscheint klein das zweigeteilte Stifterwappen, im Giebel taucht prominent im Wappenschild nur der Adler auf und lässt an seiner Quaratesi-Provenienz zweifeln. An der Innenfassade prangt eindeutig das Stifterwappen, am Triumphbogen gegenüber, an der weitaus prominenteren Stelle, nimmt jedoch der Calimala-Adler die Hauptchorkapelle, somit den Konvent im eigentlichen Sinne, unter seine Fittiche.

Unbeschadet einiger Kritikpunkte hat der Autor fraglos einen wichtigen Ausgangspunkt für die von ihm eingeforderte umfassende Untersuchung zur Architektur während der zweiten Florentiner Republik (1494-1512) geliefert.


Michael Lingohr