Rezension über:

Stephan Füssel / Klaus A. Vogel (Hgg.): Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom (= Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung; Bd. 15/16), Wiesbaden: Harrassowitz 2001, 326 S., 40 Abb., ISBN 978-3-447-09182-4, EUR 42,50
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Rezension von:
Thomas Pöpper
Universität Flensburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Pöpper: Rezension von: Stephan Füssel / Klaus A. Vogel (Hgg.): Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des interdisziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom, Wiesbaden: Harrassowitz 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/06/3507.html


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Stephan Füssel / Klaus A. Vogel (Hgg.): Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance

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Im Rom der Renaissance aß man gerne Brot, dessen Korn von deutschen Müllern gemahlen und von deutschen Bäckern gebacken worden war. Man ging vorzugsweise in von deutschen Händen genähten Schuhen über antikes Pflaster. Und musischer: Auf volkstümlichen Festen oder ständischen Zusammenkünften, aber auch in der päpstlichen Kapelle spielte man wahrscheinlich überwiegend auf deutschen Lauten und es ertönten, häufiger als man erwarten würde, deutsche Sängerkehlen in der Ewigen Stadt. Die Erkenntnisse der sozialgeschichtlich orientierten Rom-Forschung sind reich und vielfältig und sie geben ein sehr lebendiges und kleinteiliges Bild vom Leben in der frühneuzeitlichen Tiberstadt, die in der Renaissance dank der Rückkehr des Papsttums und der Kurie wohl das Prädikat einer 'Boomtown' verdiente.

In dem hier anzuzeigenden Doppelband des 15./16. Jahrbuchs der 1983 gegründeten Willibald Pirckheimer-Gesellschaft finden sich sechs Referate von italienischen und deutschen Sozial-, Kunst- und Musikhistorikern zu dem Thema der deutschen Kolonie in Rom gebündelt. Die sorgfältig edierten und für den Druck vielfach ergänzten Beiträge entstanden anlässlich einer 1999 im Deutschen Historischen Institut in Rom abgehaltenen Tagung der Gesellschaft.

Die Beiträge im Überblick:

Knut Schulz: Deutsche Handwerkergruppen im Rom des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts (11-25); Christiane Schuchard: Die deutschen Kurialen und die Anima-Bruderschaft in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (26-45); Agostino Sottili: Der Bericht des Johannes Roth über die Kaiserkrönung von Friedrich III. (46-100); Michael Rohlmann: Antigisch art 'Alemannico more composita'. Deutsche Künstler, Kunst und Auftraggeber im Rom der Renaissance (101-180); Klaus Pietschmann: Deutsche Musiker und Lautenmacher im Rom der Renaissance. Spuren im Campo Santo Teutonico und der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell'Anima (181-213) und Italo Michele Battafarano: Luthers Romreise in den erinnernden 'Tischreden' (214-237). Das sehr lesenswerte Referat von Arnold Esch "Deutsche Frühdrucker in Rom" ist leider nicht in dem Band abgedruckt [1].

Unstrittig ist, dass Rom als Sitz des Papsttums, Zentrum der Christenheit, ferner als eine der am stärksten international und - wie man heute sagen müsste - multikulturell geprägten Städte der frühen Neuzeit und nicht zuletzt als Kunstzentrum allerersten Ranges ein Sonderstatus zukommt. Es zog wie kaum eine andere Stadt aus aller Welt Fremde an, darunter neben den frühen 'Antikentouristen' auch die länger verweilenden im Titel des Bandes genannten Berufs- und Standesgruppen. Es wäre schlicht töricht, die Berechtigung von detaillierten und spezialisierten Forschungsbemühungen in Abrede stellen zu wollen, welche die landsmannschaftlichen Kolonien und ihre sozialen und ökonomischen Mikrostrukturen erhellen können. Das Unterfangen ist ersprießlich, was auch zahlreiche verstreute Einzelerkenntnisse der Tagungsbeiträge belegen. Doch ist andererseits zu beobachten, dass die römische Spezialforschung ihren Gegenstand gerne mit einem allzu eng auf den Ort begrenzten Fokus wahrnimmt und außerrömische Phänomene und Fakten oftmals zu wenig oder gar nicht in den Blick nimmt. Wenn die womöglich korrigierende Relativierung fehlt, ist Verzerrung, nicht Erhellung die Folge, wenn die in Rom beobachteten historischen Konstellationen a priori zu 'unvergleichlichen Besonderheiten' erklärt werden, weil sie in der Ewigen Stadt und nicht an anderem Ort auftreten, dann läuft die Spezialforschung Gefahr, Lokalforschung zu werden. Die Autoren zeigen sich dieser Gefahr leider nicht durchgängig, aber doch überwiegend bewusst.

Knut Schulz, der in seinem Referat deutsche Handwerkergruppen im Rom des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts untersucht, ist ein sachlicher Überblick über das Thema gelungen. Er zeigt, dass in dem Rione Parione (in der Nähe der Piazza Navona und des Campo de' Fiori) sich um 1500 unter den insgesamt 1.500 individuell fassbaren Personen nicht weniger als 566 (das heißt gut 37%) als Nicht-Römer bezeichnen ließen. Rund 70% dieser Gruppe stammen aus dem übrigen Italien (davon 20% aus der Lombardei). Unter den restlichen 30% der Nicht-Römer entfallen beträchtliche 66% auf deutsche Zuwanderer. Spanier und Franzosen kommen dagegen zusammen auf nur 23%. Die Deutschen bildeten ihre "Stützpunkte" in der Ewigen Stadt, rund sechs an der Zahl, darunter die bekannten Nationalkirchen Santa Maria dell'Anima und Santa Maria della Pietà (bei San Pietro), ferner Friedhöfe, Hospitäler, Bruderschaften und andere 'Integrationseinrichtungen' mehr. Bäcker, Müller, Barbiere und Bader, Kürschner, Schneider, Schuster, Holz- und Metallwerker und ausgemachte Spezialisten wie zum Beispiel Uhrmacher, Messerschmiede, Glaser und - ortspezifisch - Veronikabild-Maler, Gast- und Pilgerwirte bildeten das Gros der deutschen Gewerbetreibenden. Dabei handelten diese teilweise unter dem Schutz der Kurie (Schuhmacher) oder gar als römisches 'Amt' (als römische Amtsinhaber) (Bäcker) und betrieben ihrerseits eine eigene ständische Bruderschaft (fraternitas beziehungsweise societas), unterhielten eine Art Zunfthaus (schola) und oft auch Altenheime, Hospitäler sowie natürlich Kapellen und Altäre.

Schulz verweist auch darauf, dass Venedig und Florenz in der Renaissance ähnlich viele gut organisierte deutsche Gastarbeiter beheimateten, vom nordeuropäischen Hanseraum ganz zu schweigen. Schulz erwähnt - gewissermaßen als Rom entgegengesetztes geografisches Extrem - das norwegische Bergen, das nahezu ein Spiegelbild der in Rom tätigen Handwerkergruppen bietet. Daraus folgert er zu Recht, dass offenbar nicht so sehr die "Konditionen des Gastlandes oder der fremden Metropole" für die Auslandsmigration ausschlaggebend waren, sondern vielmehr "das Selbstverständnis und die Organisationsstruktur der Handwerker" (19), das heißt die Verfasstheit der heimischen Handwerkerschaft. Diese Feststellung relativiert das vermeintlich spezielle römische Phänomen beträchtlich.

Rom-spezifisch ist freilich die deutsche Akademiker- und Klerikerpräsenz in der Stadt. Deren 'Lobby' machte sich - was kaum verwundert - immer wieder für Landsmänner stark, von einer Form des Nepotismus zu sprechen, wäre aber sicher übertrieben (siehe das Referat von Christiane Schuchard).

Die konzentrierte Analyse der 'Tischreden' Martin Luthers durch Italo Michele Battafarano offenbart eine besondere Form des Rom-Erlebnisses, nämlich die der stark national, anti-römisch und konfessionell geprägten Wahrnehmung.

Der material- und kenntnisreiche Beitrag des Kunsthistorikers Michael Rohlmann gibt einen kursorischen Überblick über die wenigen deutschen Künstler, die starke Rezeption transalpiner, flämischer Kunst in Italien und die südliche Beeinflussung deutscher Künstler; ferner über Im- und Exporte von Kunstwerken aus und nach Nordeuropa sowie über deutsche Auftraggeber in Rom und ihre Vorlieben, beispielsweise bei der Wahl von Architekturmotiven (Hallenkirche) oder bildnerischen Sujets (Kruzifix, Pietà). Dabei zeigt sich unter anderem, dass die von Ausländern in Rom bestellten, aber teilweise von Italienern hergestellten vollplastischen Altarfiguren ihrerseits eine starke italienische Nachfolge begründeten. Allgemein macht Rohlmann im Bereich der - im weitesten Sinne - 'deutschen Kunst' in Rom auf zahlreiche Desiderate aufmerksam (insbesondere Werkrekonstruktionen und -Interpretationen zu den überwiegend undokumentierten Aufträgen fehlen).

Die sechs Tagungsbeiträge dokumentieren zusammengenommen einen Stand der 'nationalen' Rom-Forschung, der zweierlei verdeutlicht: Einerseits bieten zweifellos vielfältige Forschungsperspektiven und Quellen die Möglichkeit zu weiterer Bearbeitung. Doch scheinen andererseits die Erkenntnisaussichten in der Regel begrenzt. Das Hauptproblem ist dabei vielleicht nicht so sehr der Stand der Quellenkenntnis (bedingt durch Erschließung der Archive, Edition der Texte und so weiter), als vielmehr die Quellen selbst und ihre - mangelnde - Ergiebigkeit (als Hauptquellen dürfen unter anderen die im weitesten Sinne päpstlichen Dokumente im Vatikanischen Archiv und die Notarsimbreviaturen, ferner die Mitgliederverzeichnisse und Haushaltsbücher der Nationalkirchen gelten; siehe hierzu auch die Quellenedition 'Repertorium Germanicum'). Oft bleiben überwiegend personengeschichtliche Materialien, zumeist Namenlisten Frucht der Bemühungen, also bestenfalls Stoff für das Gewebe von "Personennetzen" (Wolfgang Reinhard), das die Nationaleinrichtungen und deren Angehörige um sich herum spannen.

Das Jahrbuch beinhaltet ferner zwei Aufsätze beziehungsweise Miszellen, einen Forschungs- und einen Tagungsbericht, eine Textedition sowie eine Rezension [238-326], die mit der Dokumentation des Symposions und dem Titel des Bandes nichts zu tun haben und dem weiteren Kreis der Renaissance- und Humanismusforschung der Pirckheimer-Gesellschaft zuzurechnen sind.

Anmerkung:

[1] Siehe nun Arnold Esch: Ein Sonderfall deutscher Präsenz in Rom. Die erste Generation deutscher Frühdrucker nach vatikanischen Quellen. In: Knut Schulz [Hg.]: Handwerk in Europa. Vom Spätmittelalter bis zur Frühen Neuzeit [= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien; Bd. 41], München: Oldenbourg 1999, 27-32.


Thomas Pöpper