Ilsebill Barta: Familienporträts der Habsburger. Dynastische Repräsentation im Zeitalter der Aufklärung (= Museen des Mobiliendepots; 11), Wien: Böhlau 2001, 185 S., 29 Farb-, 115 s/w- Abb., ISBN 978-3-205-05283-8, EUR 39,80
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Ilsebill Barta widmet ihre Arbeit den derzeit viel diskutierten Themen der Inszenierung von Herrschaft und Repräsentation von Herrschaftsverständnis am Beispiel der Habsburger Familienporträts im 18. Jahrhundert. Mit diesen familiären Bildnissen steht eine Gattung im Zentrum des Interesses, die ihre Ausprägung erst im Moment der habsburgerischen, dynastischen Krise erfuhr. Nach dem Tode Kaiser Karls VI. und dem Regierungsantritt seiner seit 1736 mit Franz Stefan von Lothringen verheirateten Tochter Maria Theresia trat in den österreichischen Erblanden der Habsburger zum ersten - und letzten - Mal die seit Jahrhunderten theoretisch mögliche, weibliche Erbfolge ein. Daraus resultierende Legitimationszwänge machten Bildnisstrategien zur Propagierung und Konsolidierung eines neuen Geschlechtes - des Hauses Habsburg-Lothringen - notwendig.
Auf der Darstellung der Lösungsansätze liegt eines der Hauptgewichte der Autorin, die hier aber nicht stehen bleibt, sondern den Horizont weiter fasst. Denn die dynastische Krise des Hauses Habsburg war zusätzlich mit der generellen Krise des Absolutismus in der Aufklärung verschränkt. Legitimation wurde jetzt auch über die individuelle Leistungsfähigkeit der habsburgischen Kernfamilie eingefordert. Daher wird ergänzend zur Analyse des Wandels von Ahnengalerie, Stammbaum und Fruchtbarkeitsdarstellungen das zweite Hauptgewicht der Arbeit auf das Familienporträt und die "Familiarisierung der Dynastie" (84) gelegt. Maria Theresias der Staatsräson verpflichtetes Bild der Familie und der Einzug einer bürgerlich geprägten, familiären Intimität markieren die von Barta diskutierten Positionen.
Die Autorin gliedert ihre Arbeit in vier ungleichgewichtige Kapitel. Die im ersten Kapitel skizzierten, grundlegenden Aspekte der Porträtmalerei und insbesondere des Familienporträts liefern den Hintergrund, vor dem dann in den Kapiteln zwei und drei die zentralen Gedanken der Arbeit entwickelt werden. Das vierte Kapitel bietet quasi im Nachhinein die Diskussion der Literatur und die genaue methodische Einordnung.
Kapitel zwei konzentriert sich auf die Darstellung der Legitimationsstrategien des Hauses Habsburg anhand monumentaler Ausstattungen, großformatiger Ölgemälde, des Massenmediums Druckgrafik sowie Medaillen. Wie die Autorin plausibel macht, standen die wichtigsten historisch-genealogischen Argumentationsträger der Übertragung des Erbcharismas, Ahnengalerie und Stammbaum, Maria Theresia nach dem Bruch der patrilinearen Dynastie nicht mehr problemlos zur Verfügung. An einer Vielzahl hervorragend ausgewählter Beispiele, von denen hier lediglich der Riesensaal der Innsbrucker Hofburg erwähnt sei, vermag Barta überzeugend aufzuzeigen, wie statt der herkömmlichen Ahnengalerie ein neues Visualisierungskonzept gefunden wurde, das eine Betonungsverschiebung weg von der historisch-additiven genealogischen Reihe auf die Familien Habsburg und Lothringen hin vornimmt. Nicht mehr die Ahnen, sondern die Kernfamilie mit den Kindern - auch den toten - bezeugen hier das Erblühen des Hauses Österreich in einer neuen Dynastie. Das neue ikonographische Konzept aber verweist mit seinem formalen Arrangement auf die Kaisersäle im Reich, womit die neue Dynastie nahtlos auch an den habsburgischen Anspruch auf die Kaiserkrone anzuknüpfen vermochte.
Neben zu Familiengalerie und -baum konvertierter Ahnengalerie und Stammbaum führt Barta als zusätzliche, bis dahin unbekannte Visualisierungsträger der neuen Dynastie die zahlreichen Fruchtbarkeitsdarstellungen Maria Theresias und ihrer Kinder auf. Auch auf Kosten der persönlichen Erschöpfung, die Maria Theresia erst nach der Geburt des zehnten Kindes einmal äußerte, verfolgte sie eine Strategie der Konsolidierung des neuen Geschlechts über den Kinderreichtum, der gleichzeitig politische Fruchtbarkeit symbolisieren sollte.
Im dritten Kapitel widmet sich die Autorin den Familienbildnissen. Das argumentative Pendant zum Innsbrucker Riesensaal stellt hier der Familiensaal von Schlosshof dar, der bevorzugten Sommerresidenz Maria Theresias. Die exakte Analyse der Bildkomposition der aus einem außerakademischen Wettbewerb hervorgegangenen vier Familienbildnisse der "italienischen" Familien in Neapel, Florenz, Parma und Mailand verdeutlicht den Einbruch von Intimität in Bilder, die dennoch Staatsporträts bleiben und damit ein höchst ambivalentes Moment markieren. Familie und ihr Zusammenleben wird von Maria Theresia als Politikum begriffen, was die ebenfalls in diesem Kapitel analysierte Reihe kleinformatiger Familienporträts ("portugiesische Reihe") zeigt, in der die Familie als Arbeitsgemeinschaft aufgefasst zu sein scheint. Der Aufklärung verdankte Einbrüche von Gefühl und Intimität in das höfische Familiengefüge werden in den Bildnissen greifbar. Sie stellen offensichtlich eine emotionale Realität dar, die Maria Theresia jedoch fremd blieb.
In diesem Argumentationszusammenhang werden von Erzherzogin Maria Christine gemalte Familienbilder interessant, die noch 1998 zum Beleg real gelebter, bürgerlicher Intimität im Hause Habsburg herangezogen wurden. Nachweisbar handelt es sich dabei jedoch um Paraphrasen niederländischer Stiche. Überzeugend vermag Barta plausibel zu machen, dass sie das schiere Gegenteil dessen, was sie vermeintlich darstellen, verdeutlichen. In Ermangelung einer Kenntnis bürgerlicher Wohn- und Lebenskultur muss die Erzherzogin auf genrehafte Interieurs zurückgreifen, um damit eventuell einer bürgerlichen Wunschvorstellung Ausdruck verleihen zu können - keinesfalls aber um damit eine habsburgische Realität abzubilden.
Leider verbannt Barta diese Bilder in das vierte Kapitel und manövriert sie damit ins Abseits, womit eine der Schwächen der Arbeit angesprochen wird. Nicht die durchgehend interessanten und inhaltsreichen Thesen der Autorin irritieren, aber die Systematik, in die sie gefasst wurden. Die Gliederung der Arbeit tendiert dazu, den Argumentationsbogen zu verunklaren und wichtige, ja zentrale Erkenntnisse quasi am Wegesrand eines Exkurses oder am Ende eines merkwürdig ungleichgewichtigen Schlusswortes zu verstecken. So ist beispielsweise schwer einzusehen, warum die für den methodischen Zugriff so wichtige Diskussion der Literatur an den Schluss des Buches gestellt wurde. Ebenso wenig vermag das lapidar beginnende Schlusswort zu überzeugen, das mit einer überflüssigen - weil keine inhaltlichen Zusammenhänge klärenden - Zusammenfassung beginnt und mit einem fulminanten, die bisherige Forschung zu Maria Theresia aus den Angeln hebenden Schlussabsatz endet. Hier wurde eindeutig Terrain verschenkt.
Mehr als nur aufgehoben wird die Gliederungsschwäche durch die durchweg spannenden Ausführungen, die insbesondere methodisch überzeugen. Ansätze aus der Geschichtswissenschaft, der Soziologie und der Geschlechterforschung wurden gekonnt für kunsthistorische Belange nutzbar gemacht. Die Bildmedien werden konsequent gegen den Strich eines ahistorischen Familienidylls gebürstet, wodurch es der Autorin gelingt mit dem Klischee zu brechen, mütterliche Liebe sei das movens der vielen Familienbilder Maria Theresias gewesen. Nicht das bürgerliche Bild der Familie dringt "von unten" in den Palast ein. Vielmehr erwächst die Propagierung der Familie aus einer politischen Notwendigkeit und paart sich ab den 60er-Jahren des 18. Jahrhunderts mit einem sich ändernden, aufklärerischen, individuellen Emotionsanspruch, der für Maria Theresia aber zu keinem Zeitpunkt die Staaträson abzulösen vermag. Barta beendet ihr spannendes Buch mit der These, dass die Darstellung dieser ambivalenten Paarung im habsburgischen Familienbild aus dem innersten Nukleus des Schlosses heraus in das Bürgertum hinein gewirkt habe - eine These, zu der man gerne noch mehr gelesen hätte.
Veronica Biermann