Helmut Zedelmaier / Martin Mulsow (Hgg.): Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext; Bd. 64), Tübingen: Niemeyer 2001, VII + 361 S., 12 Abb., ISBN 978-3-484-36564-3, EUR 88,00
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Sich als Leser durch Bücher dazu anregen zu lassen, "aus ihnen Neues zu spinnen", ist ein aufklärerisches Ideal von Literatur, das eher an G.E. Lessing, G. Ch. Lichtenberg oder B. Brecht denken lässt denn an jene akademischen Sammelpublikationen, die sich üblicherweise über die Einschlägigkeit ihrer Themen, deren enzyklopädische Beherrschung oder die kluge Besetzung (mehr oder weniger) "neuer" Paradigmen zu rechtfertigen pflegen. Und doch ist eben dies, augenöffnende Anregung, nicht Zertifizierung des Bekannten, die Intention des anzuzeigenden exzellenten Bandes, dessen zentralen Anliegen es ist, "über [die] Praktiken der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit eine andere Perspektive zu gewinnen" (1; Hervorhebung Frank Bezner).
Worin diese "andere Perspektive" auf "Polyhistoren", Philologen, Enzyklopädisten, auf Historia Litteraria und Zensur, auf die frühneuzeitliche Universität dabei besteht, ist in dieser selbstbewussten Ankündigung bereits implizit enthalten: vergangene "Wissenschaft" ist Herausgebern und Autoren nicht festes, von Inhalten dominiertes Endprodukt, das es über eine "Genealogie von Ideen und Einsichten" in allein hermeneutischen, ahistorisch-kontextlosen Zugängen zu beschreiben, zu analysieren oder zu kommentieren gilt, sondern kulturelle Praxis; ist Resultat (oder Kristallisationspunkt) von Techniken und Methoden, durch die es produziert wurde (Lesen, Kompilieren, Exzerpieren, Kommentieren); von Institutionen, in denen es entstand (Schule, Universität); und, vielleicht am Innovativsten, von sozialer Dynamik, denn Wissen resultiert nicht zuletzt aus "Politik" und "Streit" der Gelehrten, ist "Ausdruck von Werthorizonten", ermöglicht "Selektionsprozesse", schafft Selbstbilder, produziert "Öffentlichkeit" (1-2).
Erst wo eine derartig konsequente Wende zu "Konstruktionsprinzipien und Legitimationsbemühung" des Wissens, zum Wissen als Praxis, vollzogen ist, so die Zuspitzung, wird die "implizite Logik in den textuellen Endprodukten dieser Praxis erkennbar" (1).
Mit diesem Ansatz nähert sich der Band einem Interesse, das eine Reihe einschlägiger (insbesondere angloamerikanischer) Studien - wenngleich selten theoretisiert und vom Druck der Fächergrenzen tradiert weniger belastet - in letzter Zeit bestimmt hat: Studien etwa, die die Elaborate italienischer Humanisten nurmehr als Ausdruck von Karriereplanung und Distinktionsgewinnen begreifen oder zeigen, dass vermeintlich textuelle Phänomene wie die Praxis der Zensur sich hauptsächlich über die Analyse institutioneller Politik und Ranküne verstehen lassen.[1] Dabei verorten die Herausgeber ihren Ansatz klugerweise nicht in der (fruchtlosen) Debatte um die Rolle des Kontextes in der Ideengeschichte, sondern binden ihn an einen innovativen Paradigmenwechsel, der aus einer weitgehend inhaltsbezogenen Wissenschaftsgeschichte eine "Sociology of Knowledge" werden ließ und sich mit Namen wie B. Latour, St. Wolgar oder S. Shapin verbindet (6, Anmerkung 5).
Nicht ausgeführt wird dabei freilich die Sprengkraft eines derartigen auf die Philosophie- beziehungsweise Philologiegeschichte übertragenen Ansatzes, der nichts weniger denn eine Reformulierung des Begriffes des Wissens impliziert: für die Wissenschaftsgeschichte, insofern diese nicht mehr als teleologischer Fortschritt auf ein modernes Ideal naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns hin begriffen wird - und von daher nicht nur Fehler, Vorläufer, Irrwege als legitime Forschungsgegenstände an sich akzeptiert, sondern eine schlechthin soziale Konstruktion selbst des naturwissenschaftlichen Wissens in den Vordergrund stellt; für die Geschichte von Gelehrsamkeit, Philosophie, Philologie hingegen, insofern dieser Blickwechsel genau das vollzieht, was etwa M. Foucault (im Anschluss an Fr. Nietzsche) postulierte: eine grundlegende Infragestellung jenes abendländischen "Willens zum Wissen", der die konstruierte, materielle, institutionelle, politische, kontingente Dynamik des Wissen über eine ausschließliche Fixierung auf "Inhalte" maskiert.
Als Baustein einer weitgehend ungeschriebenen "alternativen" Geschichte des Wissens vollzieht der skizzierte Ansatz somit einen - jüngst auch von P. Bourdieu geforderten - deutlichen Bruch mit jeder philosophiegeschichtlichen Konstruktion, die die soziologische Dynamik (nicht nur) vergangenen Wissens verdeckt.[2]
Zwar lassen sich bei den Autoren des Bandes bisweilen Unterschiede in der Auffassung dessen erkennen, was "Praxis" im Rahmen einer Wissensgeschichte meint, doch die zentrale Frage, die sich angesichts eines derart übergreifend formulierten innovativen Ansatzes aufdrängt, lässt sich uneingeschränkt beantworten: Es gelingt den Autoren in ihren Analysen nahezu durchweg, die skizzierte Perspektive fruchtbar zu machen, und dies nicht über theoretische Reflexionen, sondern in ihren jeweiligen Zugängen selbst; ein exemplarisches kulturwissenschaftliches Projekt also, in dem die "kulturwissenschaftliche Wende" innerhalb der Geisteswissenschaften nicht (wie so oft) als Fanal zur Applikation vorgefertigter Theorieimporte missverstanden wird, sondern als Entwicklung eines übergreifenden theoretischen Leit-Horizontes, der sich in der Analyse selbst manifestiert und ein bekanntes Forschungsfeld in neuem Licht erscheinen lässt.
Der Band ist in vier Teile gegliedert, ohne dass diese strikte Grenzen markieren würden: "Lesen und Kompilieren", "Edieren, Rekonstruieren, Unterrichten", "Kommunizieren, Repräsentieren" und "Zensieren, Kompromittieren." Im Ganzen betrachtet, wechseln sich eher systematische Zugänge und illustrative Fallstudien auf eine fruchtbare Weise ab.
Im ersten Teil des Bandes wird einer Genealogie unterzogen, was lange wie selbstverständlich als statisch, ja selbstgegeben begriffen wurde: das Lesen selbst. Ausgehend von der Ansicht, dass die Leseanweisungen der Neuzeit "davon beherrscht [sind], wie die Freiheiten und inneren Spielräume genutzt, aber auch begrenzt und diszipliniert werden können" (14f.), untersucht H. Zedelmaier anhand von Leseanweisungen die "Ideale oder besser: Modelle" des Lesens auf ihre gedanklichen und sozialen Voraussetzungen und unterscheidet dabei systematisch drei Formen: das "fromme (häusliche) Lesen", das, wie aus Traktaten protestantischer Autoren, etwa des Andreas Hyperius (1520), hervorgeht, auf eine Normierung des für die Neuzeit zentralen Lesorts "Familie" (vergleiche 27-30) zielt und dabei sowohl den Raum einer (nur vorgeblich) individuellen Gewissensinstanz beeinflusst, als auch eine Form der Disziplinierung von Laien bedeutet, welche zeigt, dass "nicht nur bei katholischen, sondern auch protestantischen Obrigkeiten Vorbehalte gegen eine unkontrollierte Lektüre der Bibel durch Laien" bestanden (19); "aufgeklärtes Lesen", das, trotz deutlicher Differenzierung der Leseanweisungen (Geschlecht, Stand), von einer durchgehenden "Moralisierung" geprägt war, über die sich eine bürgerliche Leseschicht vom Hof und häuslicher Bibellektüre abgrenzte und vor allem eine kritische, dem Griff des Staates entzogene Gegenöffentlichkeit bildete; sowie dazwischen das "gelehrte Lesen", das konfessionsübergreifend als Kombination von autoritativen, das Wissen und seine Gebiete strukturierenden Leitwerken und "extensiver Lektüre, bei der spezielle Lese- und Exzerpiertechniken anzuwenden sind" begriffen wurde (21).
Doch gerade die (jüngst häufig untersuchte) Praxis des Exzerpierens und Anfertigung von Notizbüchern wurde dabei schon von Zeitgenossen selbst kritisch in Frage gestellt und weit über bloß memorative Funktionen hinaus durchdacht: Exzerpieren bedroht, so etwa F. Sachius mit Verweis auf Platons Schriftkritik, das Gedächtnis; und hat sich überdies - wie das Lesen an sich - in den Dienst "politischer" Klugheit zu stellen: bei Hofe, aber auch bei der kalkulierten Produktion einer möglichst beeindruckenden intellektuellen "persona", deren Kompetenz weder durch einen öffentlichem Auftreten widersprechenden Enzyklopädismus bedroht sein noch unter dem Eindruck leiden darf, dass die eigene Kompetenz das Produkt fremder Wissensleistung ist.
Gerade hier wird dabei jene im Ansatz postulierte notwendige pragmatische Perspektive sehr deutlich, die im Beitrag von M. Gierl ("Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jh.") noch vertieft wird: anhand von Handbüchern der "Historia Litteraria" (etwa Morhofs "Polyhistor"), gelehrten Zeitungen und Journalen, moralischen Wochenschriften und Lexika wird hier die Praxis der Kompilation "als Basismechanismus des nationalen und internationalen Wissenstransfers" untersucht (81). Leitmotiv dabei ist die grundlegende dialektische Spannung, von der Eklektik beziehungsweise Kompilation durchzogen sind: in ihr vollzieht sich Aufklärung, Kritik, denn sie spiegelt nicht nur, sondern schafft im Netzwerk von Gelehrten und Gelehrsamkeit einen öffentlichen Wissensraum; durch sie wird Wissen indes zugleich auch immer kanalisiert und kontrolliert; besonders interessant ist dabei nicht nur das entstehende Problem des Plagiats, sondern auch die sich herausbildende Tendenz, dass die Qualität und Relevanz des Wissens über geachtete Autoritäten produziert und garantiert wird: gerade die Anfänge des Rezensentenwesens als einer (noch immer) wichtigen Dimension der "Gelehrsamkeit" zeigen also eine dezidiert soziale Konstruiertheit des Wissens und seiner Inhalte.
Einer seit jeher pragmatisch zu verstehenden (und verstandenen) Gattung wendet sich R. Folger mit seiner Untersuchung der "Anacephaleosis" Alfonsos von Cartagena (1456) zu, der Historiographie. Dabei wird deutlich, welch wichtige Rolle in diesem digestenartigen Abriss der spanischen Geschichte die in den späteren Drucken fehlenden, bildlichen, insbesondere genealogischen Darstellungen spielen: über sie wird einerseits eine in eindimensionaler Textualität nicht darstellbare Komplexität von "plots and subplots" zum Ausdruck gebracht; andererseits führt die Visualisierung in weit größerer Eindrücklichkeit als die notwendig vagierende historische Erzählung jene ungebrochene und legitime Kontinuität eines herrschenden Geschlechtes vor Augen, aus der sich dessen Herrschaftsanspruch ableitet - eine wichtige "pragmatische" Interpretation, die eine (in letzter Zeit oft als Selbstzweck verstandene) "memorative Funktion" von Vergangenheitsdarstellung konkretisiert und etwa auch für die zeitgenössische italienische Historiographie von größerer Bedeutung ist, als zumeist vermutet.[3]
R. Häfners Beitrag "Synoptik und Stilentwicklung" widmet sich dem Nachleben Pindars. Er zeigt dabei, dass das wirkungsreiche Pindarverständnis des Erasmus Schmid (1616) eine bereits bei Zwingli deutliche Rhetorisierung der Siegeslieder weiterführt: diese zielt nun indes nicht mehr auf eine Christianisierung des Dichters, sondern mündet, ganz sich selbst genug, in einer von theologischen Interessen weitgehend freien, synoptisch-gliedernden Darstellung der argumentativen, "rhetorischen Sinnstruktur" und "logischen oder syllogistischen Disposition", welche zum Ziel hat, die tradierte Inimitabilität Pindars zu minimieren - eine Wende, die der Verfasser in Beziehung zu einem von A. Poliziano vollzogenen Paradigmenwechsel setzt, der die Philologie ganz an Sprache bindet und von sachhaltig-philosophischen Interessen abrücken lässt. In A. Adimari schließlich, der Pindar 1631 ins Italienische übersetzte, findet dies als reine Ästhetisierung von Sprache und Rhetorik einen Höhepunkt. "Synoptik" als literarkritische Denkform, die den involuten, inimitablen griechischen Dichter "nachahmungsfähig" (und zunächst wohl auch erst einmal durchsichtig) macht, mag man dabei durchaus als memoratives Phänomen verstehen und im Umkreis eines "rhetorisierten Ramismus" verorten; indes spiegelt Zwinglis "christliche Rhetorisierung" nicht lediglich "Argumentationsmuster der frühchristlichen Apologetik", sondern (bis ins topische Detail) eine für den italienischen Humanismus programmatische Fusion von (gerade und schlechthin) rhetorisch aufgefasster Dichtung und Theologie.[4]
Vielleicht sollte man auch darauf hinweisen, dass Polizianos eigene Auseinandersetzung mit Pindar, die nicht erörtert wird, stark von biografischem Interesse geprägt war;[5] ob der italienische Star-Humanist überdies mit seiner "Praelectio de dialectica" eine "bewußte Abkehr von der platonischen Konzeption der Dialektik" (207) und damit "noch innerhalb des florentinischen Ambientes einen ebenso komplizierten wie folgenreichen Umbildungsprozess ein[leitet]" scheint eher problematisch. Poliziano, der (sieht man von Ansätzen in der zweiten Zenturie der "Miscellanea" einmal ab) unter den zur Akademie stilisierten Florentiner Günstlingen der Medici nie echt die philosophischen Interessen Ficinos oder Picos teilte, unterscheidet in dieser "praelusio" auf eine traditionelle Weise (und ohne im eigentlichen weitergehenden Anspruch auf eine Rehabilitation der Rhetorik für die Philologie!) den Begriff der Dialektik als platonischer Metaphysik beziehungsweise Ontologie vom engeren der Logik, um die es ihm bei der Auslegung des aristotelischen Organons ja auch ankommen musste. Generell besaß ja die triviale Dialektik eine nicht vernachlässigbare Rolle in Ausbildung und auch textueller Produktion der italienischen Humanisten.[6]
Ganz bewusst einer "traditionellen", vermeintlich altmodischen Universität im Zeitraum zwischen Gelehrtenrepublik und Aufklärung widmet sich der Beitrag von P. Nelles. Seine Perspektive auf eine einzige Institution, die Universität Helmstedt, macht es dabei möglich, die ganze Komplexität der "Historia Litteraria" in den Blick zu nehmen. Nelles analysiert deren Entwicklung und Kristallisation zum Lehrfach dabei im Spannungsfeld des (oft vernachlässigten) privaten Unterrichts und einer übergreifenden Historisierung des Wissens. Am Beispiel Polycarp Leysers, der versuchte, eine wild wuchernde "Historia Litteraria" auf eine von F. Bacon geforderte kritische Leistung hin zu reformieren, wird dabei deutlich, was abschließend als zentrale These formuliert wird: "at the level of pedagogical practice the practical knowledge' traditionally taken as the calling end of the Enlightenment turns out to have been a regular component of university talking for generations" (176).
Im letzten Teil ("Zensieren, Kompromittieren") zeigt H. Marti "Grenzen der Denkfreiheit in Dissertationen des frühen 18. Jahrhunderts", während E. Tortarolo Institution und Praxis der Zensur in einem knappen Abriss überblicksartig darstellt. Dabei betont er, "wie fragmentarisch, ungeplant und unsystematisch die Einrichtung der Zensur im 16. Jh. verlief" (279) und immer wieder an die "Grenzen ihrer Durchführbarkeit" stieß (278). Neben Italien, wo man einen Hinweis auf die durch die Öffnung der römischen Archive jetzt mögliche, genaue Analyse der römischen Inquisition und Indexkongregation vermisst,[7] werden dabei insbesondere auch Frankreich und England einer differenzierten Perspektive unterzogen. Dabei betont der Verfasser den engen Zusammenhang von Philologie und Zensur, die zentrale Rolle wirtschaftlicher Faktoren, die wachsende Spannung zwischen der katholischen Kirche und den weltlichen Regierungen, wodurch Freiräume, aber vor allem strukturell unterschiedliche Zensurformen entstanden: etwa die staatliche, präventive Zensur in Frankreich, die auch akademische Institutionen zu instrumentalisieren suchte, oder die Kontrolle "ex post", wie sie in England oder den Vereinigten Provinzen durchgeführt wurde. Zum Teil gegen R. Darnton gerichtet ist die immer wieder betonte Einschätzung, dass "die Zensoren [...] nicht nur in ihrer Eigenschaft als Verhinderer einzelner Manuskripte" betrachtet, sondern "in ihrer Rolle als Genehmigungsinstanzen von weitaus mehr Manuskripten untersucht werden" müssen (291).
M. Mulsow beschließt den Band mit einer Reihe von Argumenten, die nahe legen, dass die - vermeintlich von Melchior Goldast gefälschte - Rede "De duplici constantia" durchaus von Justus Lipsius verfasst worden sein dürfte. Symptomatisch (und konsequent) für den Ansatz des Bandes ist dabei, dass nicht diese literarkritisch-philologische Frage als solche im Vordergrund steht, sondern "die Praxis, mit der Veröffentlichung kompromittierender Dokumente Politik zu machen" (323). So lässt sich zeigen, dass Goldasts literarische Aktivität - bis hin zur Fälschung von mittelalterlichen Privilegien - "von der systematischen Suche nach Texten" begleitet war, "die für eine konfessionell geprägte "Öffentlichkeit" (vor der eigentlichen Öffentlichkeit) von Interesse sein konnten" (342). Die vermeintlich so statisch-homogene "imaginäre Institution" der Gelehrtenrepublik erweist sich also bei genauerem Hinsehen als konfessionell determiniert - eine oft übersehene Dimension, die es über detaillierte "Netzwerkanalysen" ans Licht zu bringen gelte.
Weitere Beiträge, auf die einzugehen allein aus Raumgründen nicht möglich ist, sind: "A philologist, a traveller and an antiquary rediscover the Samaritans in seventeenth-century Paris, Rome and Aix: Jean Morin, Pietro della Valle and N.C. Fabri du Peiresc" (P. N. Miller), "Conversion, learning, and professional choices: the case of Heinrich Julius Blume" (Th. Cerbu), "Gabriel Tzschimmers Duchlauchtigste Zusammenkunft und die Überführung von höfischer Repräsentation in Gelehrsamkeit" (M. Völkl), "Critica Perennis. Zur Gattungsspezifik gelehrter Kommunikation im Umfeld der Bibliothèque Germanique (1720-1741)" (S. Pott).
In Ansatz und Durchführung geht es dem angezeigten Band im Ganzen auch darum, ein tradiert eher vernachlässigtes Forschungsfeld zu rehabilitieren: die von der Aufklärung als leere Gelehrsamkeit verdammte, "späthumanistische" enzyklopädische Polyhistorie des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese Revision vollzieht sich dabei, wie deutlich geworden sein sollte, mit ganz anderen Mitteln als etwa bei J. Israel, der in seiner neuesten Studie "Radical Enlightenment" versucht, die philosophischen Wurzeln aufklärerischen Denkens im 17. Jahrhundert zu verorten.[8] Gälte es dabei aus den Anregungen tatsächlich "Neues zu spinnen", so könnte dies nicht nur eine inhaltliche Seite betreffen, etwa, das immer wieder anklingende Interesse der Polyhistoren am Mittelalter einmal systematisch zu untersuchen, sondern auch, die in dem Band vollzogene grundlegende Wende im Begriff des Wissens auf eine ebenso übergreifende und überzeugende Weise auch für das historische Verständnis anderer Epochen der europäischen Wissensgeschichte fruchtbar zu machen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa M. Biagioli: Galilei der Höfling. Entdeckung und Etikette: Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft. Frankfurt 1999 (original Chicago/London 1993), z. B. 9-21; A. Grafton: Cardanos Kosmos. Die Welten und Werke eines Renaissance-Astrologen. Berlin 1999 (original Cambridge [Mass.] 1999); P. Godman: The Saint as Censor. Robert Bellarmine between Inquisition and Index. Leiden/Boston/Köln 2000.
[2] Vgl. etwa M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt 1991 (u.ö.), 13ff.; P. Bourdieu: Meditationen: zur Kritik der scholastischen Vernunft. Frankfurt 2001 (original Paris 1997).
[3] Man vgl. etwa die unedierte Historia Ferrariae Pellegrino Priscianis (Modena, Archivio di Stato, ms. Biblioteca, 129ff.), die der Rezensent in einer monographischen Studie zur Konstruktion der Vergangenheit im Ferrara der Renaissance untersucht.
[4] Vgl. dazu etwa. Ch. Trinkaus: In Our Image and Likeness. Humanity and Divinity in Italian Humanist Thought. 2 Bde. Chicago/London 1970 (u.ö.), insbondere Bd.2, 553-614 und 683-721.
[5] Vgl. dazu V. Fera: La prima tradizione umanistica delle Olimpiche di Pindaro. In: Filologia Umanistica. Per G. Resta. Hg. v. V. Fera und G. Ferráu (= Medioevo e umanesimo, Bd. 94). Padua 1997, 693-765, hier 698ff. Hier auch mehr zur von Häfner erörterten Auseinandersetzung mit der Rhythmik Pindars.
[6] Vgl. etwa P. Mack: Renaissance Argument. Valla and Agricola in the Traditions of Rhetoric and Dialectic. Leiden/New York/Köln 1993.
[7] Vgl. stellvertretend: P. Godman: The Saint as Censor [wie Anm. 1].
[8] Jonathan Israel: Radical Enlightenment. Oxford 2001, z.B. 6: "There is indeed an urgent need for Enlightenment historians to put much more emphasis on what was happening before and down to the 1740s."
Frank Bezner