Christian Schoen: Albrecht Dürer: Adam und Eva. Die Gemälde, ihre Geschichte und Rezeption bei Lucas Cranach d.Ä. und Hans Baldung Grien, 2001, 361 S., 42 Abb., ISBN 978-3-496-01244-3, EUR 58,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
In seiner Doktorarbeit behandelt Christian Schoen die beiden von Albrecht Dürer 1507 geschaffenen, heute im Museo del Prado (Madrid) bewahrten großformatigen Tafelbilder (209 x 81/83 cm) von 'Adam und Eva' (A 103 und 104). Er tut dies wesentlich, um den Nachweis zu erbringen, dass mit diesen vermutlich "ersten autonomen Aktdarstellungen nördlich der Alpen" (19) die erste "autonome Formulierung des Themas" von 'Adam und Eva' "in der nordalpinen Kunst" (13) vorliege; dass Dürer "in erster Linie den Zustand des paradiesischen Menschen und erst in zweiter Linie den Verlust seiner Idealität" (213) thematisiere und dass es ihm damit zugleich, in einer "durchaus zeitgemäße(n) Eigenstilisierung als 'alter deus'" (80), "a priori um die Schöpfung des Menschen im Sinne einer 'Bildschöpfung'" (85) gegangen sei; wohl "für einen konkreten Anlaß" konzipiert, habe dies die Rezeption der Tafeln "als eigenständige 'Kunstwerke' nicht eingeschränkt" (213). "Es ist eine wesentliche Leistung Dürers, das Adam-und-Eva-Sujet formal aus seinem traditionellen, heilsgeschichtlichen Kontext herausgelöst zu haben. Damit ebnete er den Weg für eine neue, inhaltliche Sicht auf das Thema (...). Seine Bilder öffnen sich dem Betrachter, der vor ihnen zu Überlegungen über Ursprung und Ziel des Menschseins angeregt wird, wobei sie sich jedoch einer eindeutigen Interpretation verschließen. (...) Die Konzentration auf den Ersten Mann, der schließlich den irdischen Trieben erliegen wird, fordert vom Betrachter die Korrektur von Adams bevorstehender Fehlhandlung" (115).
Nach einem ersten Kapitel über "Quellenlage und Forschungsstand" (16-27) werden im zweiten (28-56) die beiden Tafeln eingehend erörtert und andere Darstellungen des Themas in Dürers Werk, namentlich der Kupferstich von 1504 (M 1, Abbildung 10), vorgestellt. Als ein für ihn wichtiges Ergebnis erklärt Schoen, dass bei einer Betrachtung beider Tafeln die Köpfe von Adam und Eva zwar "einander zugewandt" seien, "ihre Blicke sich jedoch nicht treffen" könnten, sodass "jeder für sich allein" stehe und einen bestimmten "seelischen Zustand" (34) zum Ausdruck bringe. Trete der Betrachter jedoch vor jedes Bild einzeln, so finde er, dass nun die Person jeweils der benachbarten Tafel direkt auf ihren Partner hinsieht; mithin gebe es "mehrere bedeutsame Betrachterstandpunkte", was "Rückschlüsse über die Zweckbestimmung der Tafeln" erlaube, deren "ursprüngliche Hängung links und rechts neben einer Tür (zu) vermuten" (35) sei. Mit dem Stich von 1504 seien die Tafeln dadurch verbunden, dass Dürer sich jeweils "um die ideale menschliche Gestalt bemüht" habe; die "ein(st)malige (sic) Idealität, die dem Menschen mit dem Sündenfall verlorengegangen ist und die vom Künstler hier zweimal (wieder)erschaffen (sic) wird, charakterisiert die zentrale Intention der beiden Bildvorwürfe" (44f).
Das dritte Kapitel - "Menschenbild - Idealbild" (57-75) - beschreibt zum einen Dürers Suche nach den "idealen Maßen des Menschen" (59-66), wobei im Hinblick auf 'Adam und Eva' entscheidend ist, dass er - "dem Schöpfer gleich - die ideale Schönheit zu gestalten" (66) versucht habe; zum anderen werden die Tafeln in Madrid und der Stich von 1504 miteinander verglichen, was zu der Einsicht in eine "grundlegend andere Wirkung" (68) der Tafeln führt, die im Unterschied zu dem Stich nicht "den ideal gestalteten Leib (...) als Paradigma" hätten zeigen sollen; vielmehr sei es Dürer hier um eine Steigerung der "Bildwirkung zugunsten des sinnlichen Ausdrucks der lebensgroßen Körper" (69) zu tun gewesen. Genauer wird diese Sinnlichkeit, die "Beredsamkeit des Leibes" (72-75), auseinandergesetzt, die "zur unmittelbaren Affekterregung" (73) des Betrachters habe führen sollen. "Dürer stellt den Moment vor dem Sündenfall dar, der von einem alles entscheidenden Dialog zwischen dem Mann und der Frau geprägt ist. Gleichzeitig befindet sich Adam noch deutlicher als Eva in einem inneren Monolog. Dürer schafft es durch die Gestik seiner Figuren, den gemeinschaftlichen Diskurs über das göttliche Gebot und die zu erwartende Strafe wie den inneren Disput von seinen Figuren auf den Betrachter zu übertragen" (75).
Das vierte Kapitel - "Die Schöpfung des Menschen und sein Fall" (76-116) - entfaltet zunächst die Eigenstilisierung Dürers in den beiden Tafelbildern als 'alter deus', indem etwa der dunkle Fond als "das 'Nichts', aus dem der Mensch geschaffen wurde" (80), gedeutet wird, während die Inschrift des 'cartellino' unter anderem "das 'Kunstwollen' Dürers" (81) bezeuge, die (illusionistisch) mit dem leicht gewellten Papier aber zugleich "auf die Vergänglichkeit" (82) hinweise und, weil "am schicksalhaften Baum befestigt", den "Künstler selbst als homo post culpam" (85) kennzeichne. Zum anderen wird das Künstlerlob Dürers in den Epigrammen des Caspar Ursinus Velius besprochen. Der zweite Teil des Kapitels widmet sich dem "Fall des Menschen" und behandelt insbesondere Dürers Auffassung des Themas in den 'Adam und Eva'-Tafeln, seine "Stellungnahme (...) innerhalb des exegetischen Sündenfalldiskurses" (93); "das Besondere und Einzigartige an Dürers Bildfindung" liege darin, dass "noch nicht entschieden" zu sein scheint, ob Adam, der sich "in einem Entscheidungsprozeß" befinde, "ablehnen oder zustimmen wird" (96). Im Übrigen gilt: "Wenngleich der Sündenfall von beiden gemeinsam begangen werden wird, scheint die Hauptverantwortung auf Adam zu lasten" (98). Weiter werden die Blickführung Adams und der Blick des Betrachters erörtert und Dürers Auffassung der Geschlechterbeziehung dargelegt, der hier "die traditionelle Auffassung zu korrigieren" scheine, da "die Stammeltern optisch gleichgestellt" (104) seien.
Dem "Ort der Bilder - Auftraggeberschaft, Herkunft, Funktion" - ist das fünfte Kapitel gewidmet (117-134), wobei Johann V. Thurzo, Bischof von Breslau, für den Besitzer der Tafeln 1516, nicht aber für deren Auftraggeber angesehen wird. Schoen spekuliert, ausgehend von einer postulierten Beziehung der Tafelbilder zu Antonio Rizzos Skulpturen von 'Adam und Eva' (um 1483) am 'Arco Foscari' des Dogenpalastes in Venedig, darüber, ob auch Dürers 'Adam und Eva' für einen entsprechenden Kontext öffentlicher Herrschaftsikonographie geschaffen worden sein könnten, genauer etwa für eine Ehrenpforte Maximilians I. (132).
Nach einem kurzen sechsten Kapitel zur "Bewertung von Dürers 'Adam und Eva'-Tafeln innerhalb des Gesamtwerkes" (135-139) werden die "Nachwirkungen von Dürers Erstem Menschenpaar" (141) zunächst in den Kopien (siebentes Kapitel (140-177)), dann im Werk von Hans Baldung Grien und Lucas Cranach dem Älteren (achtes Kapitel (178-212)) besprochen - was hier nicht mehr genauer referiert werden kann.
Schoens Arbeit hat vornehmlich das Verdienst, mit wesentlichen - im Anhang abgedruckten und übersetzten - zeitgenössischen Quellen (Johannes Dubravius, C. U. Velius, Johannes Heß (292-303)) über eine (oder verschiedene), leider nicht sicher identifizierbare Darstellung(en) Dürers von 'Adam und Eva' einige Aspekte von deren Rezeption vorgestellt zu haben. Die Frage nach dem ursprünglichen "Kontext" beziehungsweise dem Auftraggeber der Tafeln im Prado bleibt dabei eingestandenermaßen offen, ja auch Johann Thurzo kann als deren Besitzer um 1516 nicht, wie Schoen möchte, erwiesen werden, da die fragliche Beschreibung des J. Dubravius (292f) von einer Darstellung der Stammeltern auf einer Tafel und beiderseits des Baumes spricht, was ein Versehen sein, eben sowohl aber (wenn nicht eher) sich auf ein anderes Werk beziehen kann. Doch das "Hauptziel" von Schoens Arbeit ist nach eigenen Worten "das Anregen eines neuen Ansatzes bei der Auseinandersetzung mit Albrecht Dürer. Die Arbeit fußt wesentlich auf der Anschauung der Bilder", aus der "eine neue Sicht auf eines der zentralen Motive christlicher Kunst, das von einem neuzeitlichen Künstler erschaffen wurde" (215), resultiere. Hier nun liegt das Problem.
Schoen unternimmt weitestgehend eine bildimmanente, das heißt apperzeptionspsychologische Deutung von Dürers Tafeln, ohne dabei den theologischen oder literarischen "Diskurs" der Zeit über Adam und Eva und den Kontext, in dem über sie gehandelt wird, als Kontrollinstanz zu berücksichtigen. Die Folge davon sind, wie einige der vorgenannten Zitate schon zu erkennen geben, gravierende Fehlinterpretationen. Keinesfalls kann Adam nach dem vorherrschenden Verständnis der Zeit - trotz dem von Schoen angeführten vereinzelten Zitat des Agrippa von Nettesheim (104) - die "Hauptschuld" (51, 109, 115) am Sündenfall zugemessen werden (wenn andererseits auch seine Sünde die eigentliche Ursache für den Fall des Menschengeschlechts darstellt, was zu unterscheiden ist ! ); eben sowenig ist die aus dem Sündenfall resultierende 'Erkenntnis' als "Gewinn" und als das "Potential des Menschen, das verlorene Ideal wiederzuerlangen" (137), zu taxieren oder auch vom "Sündenfall als einem sexuellen Vergehen" (181) zu reden.
Doch nicht erkannt wird bereits die 'Interaktion' des Paares bei Dürer. Wenn auch möglicherweise durch eine seitliche Beschneidung (worauf nicht zuletzt der Vergleich mit den Kopien deutet) heute nicht mehr in dem Maße wie ursprünglich, ist die subtile kompositionelle Verknüpfung der beiden Tafeln doch noch klar zu erkennen: Eva steht teils der Schlange zugewandt und empfängt von ihr einen Apfel, teils wendet sie sich zu ihrem Mann, um mit ihrer Rechten ihm einen Zweig samt der daran hängenden Frucht sozusagen 'hinzubiegen' - man sehe den auffordernd weisenden Zeigefinger! - nicht aber "stützt sie sich ab" (74). Bei getrennten Tafeln wird auf diese überaus kunstvolle Weise die Stammmutter unmissverständlich als 'Scharnier' (anschaulich als 'serpentinierte' Figur) zwischen Schlange und Adam, als die Verführerin ihres - sichtlich noch schwankenden, aber nicht in einem "inneren Monolog" (75) begriffenen - Mannes charakterisiert, der mit 'spitzen' Fingern zögernd den Zweig hält.
Von dieser Konstellation ausgehend, hätte die Deutung der Tafeln vor dem zeitgeschichtlichen Horizont erfolgen können, wobei Dürers Auffassung des Themas sich als so künstlerisch herausragend und feinsinnig 'inszeniert' wie inhaltlich traditionell erwiesen hätte. Auf der Basis gründlicher Quellenlektüre hätten die Eigentümlichkeiten der künstlerischen Gestaltung - der 'ikonographische Stil' - auch im Falle von Baldung und Cranach sich deutlicher beschreiben lassen - namentlich in ihrer teils vorhandenen Diskrepanz zur kirchlichen Lehre. Die Konsequenz der von Schoen verfolgten unkontrollierten bildimmanenten Deutung ist unvermeidlich eine subjektive unhistorische Interpretation, die trotz mancher guten Beobachtung aufs ganze gesehen in dem zentralen Punkt der inhaltlichen Untersuchung keine tragfähigen kunsthistorischen Ergebnisse bringt. Von den "ersten autonomen Aktdarstellungen" (19 und öfter) zu sprechen, verbietet im Übrigen die Unkenntnis des spezifischen Zusammenhangs der Tafeln, der, wie es scheint, nicht mehr zu erhellen ist.
Zur Ausstattung des Buches ist zu bemerken, dass einer ansprechenden Textgestaltung eine katastrophale Abbildungsqualität gegenübersteht, die oftmals kaum mittelmäßig zu nennen ist (Abbildungen 6, 7, 8, 10, 12, 15, 16, 17, 20, 21, 23, 34, Tafeln V. 1 und 2) und einem Kunstverlag, namentlich bei einer Publikation dieser Preisklasse, ein Armutszeugnis ausstellt.
Thomas Noll