Jens Metzdorf: Politik - Propaganda - Patronage. Francis Hare und die englische Publizistik im Spanischen Erbfolgekrieg (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 179), Mainz: Philipp von Zabern 2000, XV + 566 S., 1 Abb., ISBN 978-3-8053-2584-4, EUR 58,50
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Im Zentrum dieser Studie steht das vielfältige Geflecht von Politik, Propaganda und Patronage im frühen 18. Jahrhundert. Metzdorf versucht mit ihr sowohl einen fundierten Beitrag zur Geschichte der politischen Propaganda zu geben und damit auch die Beeinflussung der politischen Öffentlichkeit zu schildern als auch die Ideengeschichte von ihren materiellen und institutionellen Grundlagen her neu zu definieren und zu schreiben. Denn schließlich gilt für die politische Ideengeschichte der Frühen Neuzeit, dass die Texte, auf die sie sich bezieht, zum großen Teil einen solchen propagandistischen Ansatz aufweisen. Wichtig ist demnach nicht zwangsläufig immer nur, was geschrieben und gesagt wurde - worin sich viel zu oft die konventionelle Ideengeschichte genügt -, sondern vielmehr auch, wer es geschrieben hat, und wie und an welchem publizistischen Ort es gesagt wurde. Die Kontexte der Entstehung von politischen Texten gehören für Metzdorf untrennbar mit ihrer eigentlichen Aussage zusammen, und die Veröffentlichung von Text und Aussage muss stets als ein politischer Akt verstanden werden.
Exemplarisch beleuchtet Metzdorf dies an der englischen Diskussion über die Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges, im Besonderen an der Person des anglikanischen Geistlichen und Pamphletautors Francis Hare. Ausführlich schildert er dessen beruflichen Werdegang, wobei er besonderes Augenmerk auf das Netzwerk persönlicher Verbindungen legt, das Hare sich aufzubauen verstand. Die Kontakte, die Hare als junger Gelehrter am King's College in Cambridge als Lehrer von Francis Godolphin, von Robert und Horace Walpole - Robert Walpole war der spätere Premierminister - und vor allem von John Churchill, dem Sohn des Feldherren Lord Marlborough, knüpfte, pflegte und nutzte er für den Rest seines Lebens. Von dieser biografischen Basis her ist denn auch Hares Erfolg im Netzwerk der Marlborough-Godolphin-Familie zu verstehen, der ihn zuerst als Chaplain-General an die Kriegsschauplätze des Kontinents und später an die publizistische Front in England brachte. Hare war Zeit seines Lebens ein treuer Gefolgsmann Marlboroughs, den er auch nach dessen Entlassung als Oberbefehlshaber weiter verteidigte, ehe er später mit der Bischofswürde auch die Früchte seiner Dienste für den Feldherren und dessen Netzwerk erntete. Im Zentrum der publizistischen Campagnen stand jedoch Sarah, die Frau des Herzogs, die als überzeugte Whig-Anhängerin alle Hebel in Bewegung setzte, um die Tory-Regierung unter Harley zu Fall zu bringen. Hare war in ihren Überlegungen nur einer, wenn auch ein herausragender Akteur. Zusammen mit Arthur Maynwaring führte er die von ihr geplante und koordinierte publizistische Auseinandersetzung mit den Autoren der Tory-Presse, in der sie jedoch letztlich unterlagen. Schafften es die Tory-Autoren doch, die Stimmung in der wahlberechtigten Bevölkerung gegen die Fortsetzung des Krieges zu schüren, wobei sie allerdings auch auf eine weitverbreitete Kriegsmüdigkeit bauen konnten.
Metzdorfs Buch ist in zwei große Blöcke geteilt. Im ersten skizziert er die Grundlinien, ohne die die spätere Analyse der Diskussion nicht verständlich und plausibel sein kann. Dabei stehen zunächst die breiteren Rahmenbedingungen, wie Publikationsmöglichkeiten, Zensur, Lesefähigkeit, die Frage nach der Entwicklung von politischen Parteiungen und allgemein nach der Rolle von Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit im Mittelpunkt. Metzdorf kann plausibel machen, dass in England seit dem Bürgerkrieg und verstärkt nach der Glorious Revolution im 17. Jahrhundert sowohl die Öffentlichkeit als auch die sie beeinflussende Pamphletistik eine entscheidende Bedeutung für politische Entscheidungsprozesse erlangt hatten. Spätestens im frühen 18. Jahrhundert ist für Metzdorf politische Propaganda ein integraler Bestandteil der politischen Willensbildung geworden.
Besonders ausführlich werden auch die Kontrahenten in der publizistischen Auseinandersetzung vorgestellt: neben dem Protagonisten Hare vor allem sein Mitstreiter Arthur Maynwaring und die Gegner Jonathan Swift und Daniel Defoe. Auf der höheren politischen Ebene waren dies die Herzogin von Marlborough aufseiten der Whigs und der Tory Robert Harley, der als einer der ersten die Wirkung von Propaganda gezielt für seine Parteipolitik einzusetzen wusste.
Im zweiten Block stehen dann die konkreten Diskussionen der Jahre 1710 bis 1712 im Zentrum. Metzdorfs Methode erlaubt es ihm, die Inhalte der Diskussion von einem neuen Blickwinkel aus zu betrachten. Dabei wird zum einen deutlich, wie weitreichend und langlebig einige Argumentationsmuster in England verwendet wurden - die Frontstellung gegen den Katholizismus, ein Topos, der seit dem späten 16. Jahrhundert die englische Diskussion beherrschte, wurde vor allem mit Blick auf den Prätendenten von den whiggistischen Autoren immer wieder gegen die Torys herangezogen. Gleichzeitig scheinen aber auch Argumente sehr abhängig von ihrem jeweiligen publizistischen Einsatz gewesen zu sein. So werden je nach der politischen Situation sowohl von den Autoren auf der Whig- wie auf der Tory-Seite das kaufmännische Interesse Englands, das Gleichgewicht der Kräfte und andere Argumente zur Stärkung der eigenen Position angeführt. Wichtiger als die Inhalte der Diskussionen scheinen nach Metzdorfs Analyse aber die Strategien der Autoren gewesen zu sein. Eindrücklich verweist er auf die Situationen, in denen die Texte entstanden sind, und darauf, wie die Autoren mit diesen Situationen umgingen. Die Stärke der Tory-Propagandisten, und hier vor allem John Swifts, war es demnach gewesen, eine sehr offensive Haltung in den Texten einzunehmen. Hare geriet damit in die Defensive und beging den Fehler, aus dieser Defensive heraus apologetische und vor allem lange Texte und Argumentationen zu verfassen. Die propagandistische Wirkung war anscheinend bei den pointierten Angriffen Swifts eine größere.
Metzdorfs Studie ist der Versuch, die Texte einer Diskussion aus ihren Rahmenbedingungen zu erklären. Sein Ansatz, das Spannungsfeld von Politik, Propaganda und Patronage zu analysieren, ist ein vielversprechender. Damit können Zielrichtungen und Abhängigkeiten dieser Texte besser erkannt und beschrieben, eine Einordnung der Inhalte und Argumentationen der Texte besser geleistet und nicht zuletzt ihr Einfluss auf die Politik bestimmt werden. Durch diesen Ansatz könnte sowohl eine bessere Interpretation politischer Texte gewährleistet werden - es sollte dabei immer bedacht werden, dass letztlich auch "philosophische" Autoren wie zum Beispiel Thomas Hobbes und John Locke in solchen publizistischen Abhängigkeiten ihre Texte verfassten - als auch ein differenzierteres Bild von politischer Willenbildung gezeichnet werden. Die konkrete Einbindung der Diskussion in institutionelle wie biografische Zusammenhänge geht jedoch mit einer Platz greifenden Materialflut einher, die das Lesen an einigen Stellen erschweren kann - der geneigte Leser sollte dieses trotzdem auf sich nehmen.
Sebastian Barteleit