Goerd Peschken / Liselotte Wiesinger: Das königliche Schloß zu Berlin. Dritter Band: Die barocken Innenräume, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, 2 Bde: Textbd: 392 S., Tafelbd: 528 S., 48 farb. Tafeln, 700 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06341-9, EUR 128,00
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Die Frage eines Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses gehört zu den umstrittensten und lang andauernden Themen der bundesdeutschen Kulturpolitik. Neben manchen Eigentümlichkeiten der Debatte fällt dem Kunsthistoriker vor allem eine gewisse Ferne zu den aktuellen kunsthistorischen beziehungsweise architekturhistorischen Forschungen auf. Dies äußert sich besonders deutlich in einer merkwürdigen Verengung der Vorstellung des Kunstwerkes Stadtschloss auf dessen Außenfassaden und ihre stadträumliche Einbindung. Für die Mehrzahl der Laien dürfte selbst nach jahrelanger Diskussion die einstige innere Raumstruktur und die dort ehemals vorhandene wandfeste Ausgestaltung und ihre Ikonographie weitgehend unbekanntes Terrain geblieben sein.
Ein Hauptteil dessen, was innerhalb des Berliner Stadtschlosses bis zum Zweiten Weltkrieg und in wesentlichen Überresten auch noch bis zur Sprengung vorhanden war, ist Gegenstand einer auf drei Bände angelegten, außergewöhnlich umfangreichen Monografie von Goerd Peschken. Sie stellt die Früchte eines immensen Arbeitsprojektes mehrerer Wissenschaftler dar, das bereits bald nach dem Kriege mit ersten Sichtungen der noch verfügbaren Quellen begonnen hat.
Die ersten beiden, zuvor erschienenen Bände befassen sich, einschließlich von Exkursen, mit der Baugeschichte im Rahmen des Umbaus zum Königsschloss unter Andreas Schlüter [1] Hier geht es sowohl um die verwickelte Chronologie der Projekte und ihrer Fassadenlösungen, als auch um die innere Raumstruktur [2].
Der nun erschienene dritte Doppelband hat die unter Schlüter entstandene wandfeste Ausstattung, also vor allem die Stuckierung und die Deckengemälde der wichtigsten Staatsräume zum Thema, auch hier ergänzt durch verschiedene Exkurse. Das Feld der Ikonographie der Räume und ihrer Ausstattung nach den Inventaren wurde dabei Liselotte Wiesinger anvertraut, die bereits das Korpus der noch kurz vor Kriegsende angefertigten Farbfotografien der Fresken publiziert hat [3].
Peschken selbst hat sich die Ziele gesetzt, für die Innenraumdekorationen die Mikrochronologie, die Formenwahl im Spannungsfeld französischer und italienischer Kunst mit der jeweiligen Rolle des Auftraggebers sowie eine Händescheidung der beteiligten Künstler zu untersuchen (18 f.).
Es fällt schwer, angesichts der Fülle des Materials und der Akribie im Detail in ein paar Zeilen eine Würdigung des Projektes vorzunehmen. Hier liegt ein Material aufbereitet vor, und dies betrifft sowohl die Darstellungen des Textbandes als auch die exzellenten historischen Abbildungen des Tafelbandes, das die verlässliche Basis für eine ganze Anzahl von weiteren Studien abgeben kann. Vieles ist dabei in den Texten fast versteckt enthalten. So zeigt die Arbeit an einer Vielzahl von Beispielen das für die barocke Kunst so grundlegende aber oft vernachlässigte Prinzip des Decorum fast mikroskopisch in seinem Funktionieren, etwa wenn der Schmuck der Fensterlaibungen innerhalb der Raumfolge gesteigert wird (89) oder die Decken in den Paradekammern absichtlich in einen "gravitätischen" Modus vorgetragen werden (129). Außerdem wird hier wie bislang nur bei wenigen Arbeiten zu barocken Innenraumgestaltungen Mitteleuropas der Prozess der Entstehung, der künstlerischen Formfindung, bis ins Detail und mit großem Verständnis für die Materie thematisiert (siehe beispielsweise 73/74 zur Drap d'Or-Kammer in ihrer Funktion als Werbestück Schlüters).
Ein oder zwei Anmerkungen seien erlaubt: Zum einen fällt auf, dass der künstlerische Held Peschkens unübersehbar Andreas Schlüter ist, was bereits in der Wahl des untersuchten Zeitfensters zum Ausdruck kommt. Der Autor kann durch seine mikroskopische Methode überzeugend dessen schöpferisches Potenzial und die Qualität seines Werkes aufzeigen. Trotzdem sollte in der Zukunft auch weiterhin das Augenmerk auf den übrigen beteiligten Künstlern ruhen [4].
Schwerwiegender ist die Beobachtung, dass Peschken weitgehend unbeeinflusst von den Erkenntnissen der sich seit einiger Zeit entwickelnden Hof- und Residenzenforschung argumentiert. Auch wenn deren Rezeption vielleicht innerhalb des von Peschken explizit abgesteckten Rahmens kunsthistorischer Methode nicht zum Unverzichtbaren gehört, so würde doch der Vergleich mit der funktionalen Baustruktur anderer europäischer Residenzen beispielsweise den Verdacht nähren, dass an der (ursprünglich von Konter rekonstruierten) angeblichen Aufteilung der Berliner Paraderäume im zweiten Obergeschoss in drei spezielle Appartementfolgen etwas nicht stimmen kann. Der Rezensent ist der Meinung, dass das königliche Berliner Stadtschloss, gleich anderen im Rang ebenbürtigen Anlagen, wie etwa dem Dresdner Schloss, eine funktional zusammenhängende, umfangreiche Sequenz von Staatsräumen besessen hat, die sich vor einem Staatsbesucher in wohldefinierter Abfolge von dem großen Treppenhaus auf der Ostseite des Hofes ausgehend über den so genannten Rittersaal auf der Nordseite als Audienzraum bis hin zu Kapelle und Galerie am westlichen Ende entwickeln sollte.
Leider müssen die vier Bände hinsichtlich ihres Gebrauchs vermutlich mit nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten rechnen. Ihrer Verbreitung steht sicherlich der vergleichsweise hohe Verkaufspreis entgegen, der zwar dem Druckerzeugnis voll angemessen ist, es aber trotzdem auf Spezialbibliotheken und Spezialistenkreise beschränken wird. Noch gravierender ist der reine Umfang des Gebotenen: Während bereits der nun erschienene Textband eine sehr konzentrierte Beschäftigung mit dem Thema erfordert, dürfte zum vollen Verständnis der Argumentation eine parallele Lektüre auch der beiden vorangegangenen Bände zur Baugeschichte notwendig sein. Es wäre nicht völlig verwunderlich, wenn mancher Interessierte deshalb stattdessen auf die ebenfalls sehr zuverlässige, aber gerafftere Darstellung von Lieselotte Wiesinger ausweichen würde [5] und so die grundlegenden, darüber hinaus gehenden Argumentationen von Peschken unbeachtet blieben. Es bleibt deshalb zu wünschen, dass der Autor einmal die Zeit und Möglichkeit fände, eine handlicher angelegte Summe seiner Forschungen zu ziehen, ohne die Präzision und Tiefe seiner Argumentation aufzugeben.
Welche Schlussfolgerungen die Praxis, das heißt das Projekt eines Wiederaufbaus des Stadtschlosses, aus der Arbeit Peschkens ziehen könnte, ist ungewiss: Zum einen könnte das Gefühl des Verlustes angesichts einer genaueren Kenntnis des Kunstwerkes noch zunehmen und die Anstrengungen zu einem Wiederaufbau beflügeln, andererseits dürfte aber das Faktum der Unwiederholbarkeit des Kunstwerkes und seiner Geschichtlichkeit wie auch der Surrogatcharakter einer Fassadenattrappe nur umso deutlicher vor Augen treten. Wahrscheinlich aber funktioniert Politik ganz anders.
Anmerkungen:
[1] Goerd Peschken: Das königliche Schloß zu Berlin. Erster Band: Die Baugeschichte von 1688 - 1701 mit Nachträgen zur Baugeschichte des Schlosses seit 1442, Berlin 1992; Goerd Peschken: Das königliche Schloß zu Berlin. Zweiter Band: Die Baugeschichte von 1701 bis 1706, München 1998.
[2] Zu diesem zweiten Thema bietet sich eine ergänzende Lektüre von Erich Konter: Das Berliner Schloss im Zeitalter des Absolutismus. Architektursoziologie eines Herrschaftsortes. Berlin 1991 an.
[3] Lieselotte Wiesinger: Deckengemälde im Berliner Schloss. Mit einem Essay von Goerd Peschken, Frankfurt/Main 1992.
[4] Vergleiche Alexander Holland: Der Architekt Johann Friedrich Eosander genannt von Göthe (1669 - 1728). Anmerkungen zu Karriere und Werk des Architekten, Ingenieurs und Hofmannes am Hofe Friedrichs I. in Preußen, Weimar 2002; die Arbeit konnte vom Rezensenten noch nicht ausgewertet werden.
[5] Lieselotte Wiesinger: Das Berliner Schloß. Von der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß, Darmstadt 1989.
Stephan Hoppe