Rezension über:

Ekkehard Mai (Hg.): Die Zukunft der Alten Meister. Perspektiven und Konzepte für das Kunstmuseum von heute, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 257 S., ISBN 978-3-412-09401-0, EUR 24,50
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Rezension von:
Thorsten Marr
Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Thorsten Marr: Rezension von: Ekkehard Mai (Hg.): Die Zukunft der Alten Meister. Perspektiven und Konzepte für das Kunstmuseum von heute, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/3030.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Ekkehard Mai (Hg.): Die Zukunft der Alten Meister

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In den letzten Jahrzehnten hat die Museumslandschaft einen erstaunlichen Aufschwung genommen. Neben Museumsneugründungen und aufwändigen Bausanierungen wurden zahlreiche Neu- und Erweiterungsbauten errichtet, um den jeweiligen Sammlungen ein neues, modernsten Ansprüchen genügendes zu Hause zu geben. Unter den verschiedenen Museumsarten haben Kunstmuseen 2001 gemessen an den Besucherzahlen des Vorjahres besonders hohe Zuwächse zu verzeichnen gehabt. Das Interesse an ihnen ist gestiegen. Auch die öffentliche Diskussion über ihre zukünftigen Aufgaben hat in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen. Gleichwohl hat die Kommerzialisierung und die Event-Gesellschaft vor ihnen nicht Halt gemacht. Das führt zu Anpassungen, die das Kunstmuseum von seinen angestammten Aufgaben entfernt. Außerdem hat es durch die neuen Medien nicht zu unterschätzende Konkurrenz erhalten. Die Anzahl der virtuellen Kunstmuseen nimmt ebenso zu wie die Anzahl derer, die Kunstwerke zuerst als digitale Datensätze kennen lernen.

Angesichts der kommerziellen und der digitalen Herausforderung stellt sich die Frage, wie es um die Zukunft der Alten Meister bestellt ist und welche Aufgaben Kunstmuseen zukünftig wahrnehmen werden, um weiterhin ihre Rolle als wichtigster Vermittler zwischen Besuchern und Kunstwerken ausüben zu können. Die Frage stellt sich umso mehr, wenn eine Institution wie das Wallraf-Richartz-Museum in Köln die Möglichkeit erhält, mit seiner Kunstsammlung in ein neues Haus zu ziehen. Der Umzug wurde mit der Eröffnung des Neubaus im Januar 2001 vollzogen. Das Museum ist zu einer Galerie Alter Meister geworden und zeigt Kunstwerke des Mittelalters, des Barocks und des 18. und 19. Jahrhunderts.

Noch vor der Eröffnung des von Oswald Mathias Ungers entworfenen Neubaus lud das Wallraf-Richartz-Museum am 25./ 26. November 2000 zu einer Tagung ein, die der Zukunft der Alten Meister vorbehalten war und sich sowohl den Konzepten als auch den Perspektiven für das Kunstmuseum von heute widmete. Wenige Monate später erschien der Tagungsband, der unter Mitarbeit von Eva Hartmann von Ekkehard Mai herausgegeben wurde. Der Band enthält 15 Einzelbeiträge, in deren Mittelpunkt die Rahmenbedingungen und die Aufgaben des Museums Alter Meister sowie die von der Öffentlichkeit an das Museum herangetragene Erwartungshaltung stehen.

Zunächst stellt sich die Frage, was Alte Meister überhaupt sind, welche Künstler man dazuzählen darf und welche man aus 'Altersgründen' ausgrenzen muss. Da sich der Zeithorizont der Alten Meister stetig verändert, wird auch die gegenwärtige Kunst eines Tages im Zeitfenster der Alten Meister aufgenommen sein. Heute hat das Wallraf-Richartz-Museum die Kunst des 20. Jahrhunderts aus dem Bereich der Alten Meister ausgegrenzt. Wie sehr die Einteilung in Alte und Neue Meister auf sammlungsgeschichtlichen Argumenten beruhen kann, zeigt der Beitrag von Sybille Ebert Schifferer, in dem die Grenze für die Dresdener Staatsgemäldesammlungen für die Zeit um 1800 gezogen wird.

Und was haben die Meisterwerke der Vergangenheit uns heute noch zu sagen? Martin Warnke geht die Frage offensiv an und formuliert die These, dass die Kunst der Alten Meister derzeit aktueller denn je und ihre Wirkungsmacht auf die Gesellschaft ungleich größer als die der Gegenwartskunst sei. Nach Warnke werden die Standards unserer visuellen Kultur längst in anderen Medien gesetzt. Die Normen, die von der überwältigenden Mehrheit unserer Gesellschaft angenommen werden, stammen von der Werbung, der Informations- und Unterhaltungsindustrie. In den Printmedien, in Film und Fernsehen kommen sie auf vielfältige Weise zur Anwendung. Hierbei kommt Grafikern, Designern, Kameramännern und Filmemachern eine zentrale Rolle zu. Vielfach bedienen sie sich der Formensprache der Alten Meister. Deren Bedeutung für die Massenmedien geht jedoch weit darüber hinaus. Das Verhältnis von Bild und Text, Inhalt und Form, Intention und Wirkung, Wirklichkeitsbeschreibung und Inszenierung beschreibt Problemfelder, die von den Alten Meistern thematisiert und für die heutigen Medien von großer Bedeutung sind. Folglich steht die Kunst der Alten Meister den Erfahrungen und den Bedürfnissen des heutigen Publikums sehr viel näher als die Gegenwartskunst. Die Museen sollten ihre Vermittlungschance nutzen.

In diesem Zusammenhang stellen Serge Lemoine (Musée de Grenoble), Ronald de Leeuw (Rijksmuseum, Amsterdam) und Sybille Ebert-Schifferer (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, jetzt Bibliotheca Hertziana, Rom) Ausstellungskonzepte vor, deren Umsetzung bislang nur im Musée de Grenoble abgeschlossen ist. Das Rijksmuseum wird mit der Renovierung (2003-2006) eine neu konzipierte Dauerausstellung erhalten. Während der Renovierung wird der Bau seine ursprüngliche Innenraumgliederung zugunsten eines übersichtlichen Rundganges zurückerhalten und auf den neusten Stand der Technik gebracht. Der Zeithorizont für die Neugliederung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist sehr viel weiter gesteckt. Alle drei Autoren begründen ihr Ausstellungskonzept mit der jeweiligen Sammlungsgeschichte und mit Rücksicht auf die örtliche Raumsituation und deren historische Ausstattung - soweit vorhanden.

Bei der Vorbereitung einer Dauer- oder einer Sonderausstellung haben Konservatoren und Ausstellungsmacher immer auch das Rezeptionsverhalten des Besuchers im Blick. Vielfach müssen sie sich mit Vorgaben arrangieren, die ihnen von der Museumsarchitektur auferlegt werden. Vor diesem Hintergrund untersucht Winfried Nerdinger die Möglichkeiten, die die Museumsarchitektur zur Vermittlung der darin ausgestellten Kunst bereitstellen kann. Aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive beschreibt er die wichtigsten Stationen des Museumsbaus von Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze bis zur Gegenwart. Haben Schinkel (Altes Museum Berlin) und Klenze (Alte Pinakothek München) Museumsbauten entworfen, die der Entwicklung des historischen Interesses im 19. Jahrhundert Rechnung trugen und das Bildungserlebnis des Besuchers zu steigern suchten, treten die Museumsbauten der jüngeren Vergangenheit immer selbstbewusster als Kunstwerke auf. Sie entziehen dem ausgestellten Kunstwerk sein "Potential der Kritik, der Negativität, der Distanz und der Autonomie" und behindern dadurch die Rezeption anstatt sie zu fördern. Heute reagieren die Architekten mit ihren Entwürfen meist auf kommerzielle und touristische Bedürfnisse. Angesichts der neuen Medien und ihrem Einfluss auf die Sehgewohnheiten des Publikums werden sich zukünftige Museumsbauten wieder stärker am Rezeptionsverhalten ihrer Besucher orientieren müssen.

Gottfried Boehm erinnert daran, dass es nicht ausreicht, dem Kunstwerk eine ihm gerecht werdende museale Präsentation zukommen zu lassen. Die Zukunft der Alten Meister hängt auch davon ab, ob das Publikum bereit ist, den Geltungsanspruch eines Kunstwerks anzuerkennen. Bei der Betrachtung oder im Gespräch vor dem Original offenbart sich der Bildungs- und Erfahrungsinhalt der Kunst. Wer das Werk ernst nimmt, kann sich der Wirkung eines Originals nicht entziehen. Seine Wirkungsmacht entfaltet sich in der Anschauung und setzt nicht zwangsläufig die Kenntnis historischer und funktionaler Zusammenhänge voraus. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn das einzelne Werk in einen visuell nachvollziehbaren Zusammenhang gestellt wird. Hierfür hält die Kunstgeschichte die alten Modelle der Stil- und Entwicklungsgeschichte bereit. Neue Konzepte sind nicht erkennbar, werden aber dringend benötigt, zumal der heutige Museumsbesucher davon ausgeht, dass ihm das Kunstwerk etwas mitteilt, was auf seine persönliche Gegenwart übertragbar ist.

In dieser Frage berühren sich Boehms Thesen mit denen von Hans Belting, der seine Position aus der Geschichte des Museums, der Museumskritik und vor dem Eindruck der zunehmenden Digitalisierung unserer Medien und deren Einfluss auf unsere Kommunikation entwickelt. Wegen der Bedeutung der neuen Medien für unser Leben und dem sich daraus abzeichnenden Orts- und Zeitverlust des Publikums muss die Rolle der Museen als ein anderes Medium gestärkt werden. Museen sind immer noch Orte, an denen Kunstwerke erfahrbar werden und die Erinnerung an den Sinn der Kunst wach gehalten wird. Neben der Aura des Kunstwerks ist es die Aura des Museumsraumes, die zu Raumerfahrungen einlädt, die angesichts der Entwicklungen in der Mediengesellschaft allmählich verloren gehen. Dem Museum bietet sich die Chance, durch neue Vermittlungstechniken Besucher verstärkt am Gespräch vor dem Original zu beteiligen und dessen Dialogfähigkeit zu fördern. Im Rahmen der Globalisierung wird der Dialog mit anderen Kulturen zunehmen. Es ist notwendig, sich vorher Gedanken über die eigene Kultur gemacht zu haben, um in diesem Dialog eigene Standpunkte einbringen zu können. Das Museum könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Der Tagungsband umfasst Thesenpapiere, Essays und wissenschaftlich abgesicherte Einzelbeiträge. Die Texte sind in keine einheitliche Form gezwungen, was den Vorzug hat, dass die Autoren persönliche Standpunkte ohne Anmerkungsapparat pointiert formulieren durften. Die Beiträge werden die Diskussion um die Bedeutung der Alten Meister und ihrer Museen neu beleben. Es wäre zu wünschen, dass sich in dieser Diskussion vermehrt Museumspädagogen zu Wort melden, um aus ihrer Perspektive von den Erwartungshaltungen der Besucher und vom gegenwärtigen Stand der Vermittlungstechniken zu berichten.


Thorsten Marr