Rezension über:

Philipp Zitzlsperger: Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und Herrscherporträts. Zum Verhältnis von Bildnis und Macht, München: Hirmer 2002, 215 S., 106 Abb., ISBN 978-3-7774-9240-7, EUR 39,90
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Rezension von:
Britta Kusch-Arnhold
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Eva-Bettina Krems
Empfohlene Zitierweise:
Britta Kusch-Arnhold: Rezension von: Philipp Zitzlsperger: Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und Herrscherporträts. Zum Verhältnis von Bildnis und Macht, München: Hirmer 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/3188.html


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Philipp Zitzlsperger: Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und Herrscherporträts

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Gianlorenzo Bernini schuf zahlreiche Porträts höchsten Ranges. Unter diesen nehmen die Papst- und Herrscherbüsten nicht nur zahlenmäßig den vordersten Platz ein. Die vorliegende Untersuchung Philipp Zitzlspergers (seine Dissertation von 2000) widmet sich dieser Werkgruppe und will einen Beitrag zur Systematisierung der barocken Porträtbüsten leisten. Mit seinem sozialhistorischen Zugriff steht der Beitrag in der Tradition der Forschungen zur politischen Ikonographie und Ikonologie. Erklärte Absicht des Buches ist, "die den Porträts bislang zugeschriebene, enge Verknüpfung von Bildnis und Individuum" zu lösen, und stattdessen "die Frage nach der Verbindung von Bildnis, Politik und Gesellschaft" (18) zu stellen. "Die Büsten Berninis (...) werden in erster Linie als Reflexion der Staatsbildung verstanden (...)" (18). Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass Berninis Porträts "auf die Rolle der Dargestellten [verweisen], die diese in der aufwendigen Inszenierung des absolutistischen Hofalltags spielten." Insofern seien sie Staatsporträts (159).

Der erste Teil entwickelt die These, Bernini und der Papst, der in dieser Zeit eine politische Krise durchlebte (71-80), hätten mit der Büste Urbans VIII. (Palazzo Barberini) von 1632 einen neuen Typus des skulpturalen Papstporträts etabliert. Von nun an kleideten statt dem bis dato üblichen Pluviale in der Regel Mozzetta und Camauro den Papst. Da dieses Alltagsgewand in der Zeremonialkongregation und Gewandkunde als abito d'udienza und wegen der rechtsprechenden Tätigkeit in der Audienz als signum Iurisdictionis (49-50) verstanden wurde, stellten die Büsten des Camaurotypus den Papst nicht mehr als "Priester der Weltkirche" dar, sondern als gerechten "Fürsten seines Kirchenstaates" (94). Hintergrund für die Entscheidung, den Papst nicht mehr mit dem Pluviale, barhäuptig und gesenkten Hauptes (Humilitastyp) zu zeigen, sondern aufrecht und in aktivem Habitus, seien die schwindenden politischen Unterschiede zwischen Papst und Herrscher (95), aus denen das Bemühen resultiert, mittels des Gewandes auf die richterliche Autorität und juristisch begründete Vormachtstellung des Papstes zu verweisen.

Eine frühe Büste Urbans VIII. (bustino) wird dabei nicht mehr als Vorläufer des berühmteren Meisterwerkes von 1632 akzeptiert. Neben vermeintlichen qualitativen Schwächen ist für den Autor vor allem der Camaurotypus der Grund, das Werk sowohl aus dem Œuvre Berninis als auch aus der Chronologie der Urbanporträts auszusondern und einer unbekannten Hand nach 1632 zuzuweisen (87-89). Noch in den jüngsten Bernini-Ausstellungen wurde der bustino (1623-24) zu Recht als frühes authentisches Werk Berninis gezeigt oder diskutiert. [1] Das allgemeine Erscheinungsbild der Büste entspricht den bis zur Mitte der 20er-Jahre entstandenen Porträts Berninis. Verwiesen sei auf die übereinstimmend geformte Kartusche am Sockel der Büste Cepparellis (1622-23) oder der Büste Kardinals Damasceni-Peretti (1622-23). Der bustino ist dem wenig später zu datierenden Porträt Urbans in San Lorenzo in Fonte (165) gegenüber zu stellen. Während ersterer seinem Bestimmungszweck gemäß - er befindet sich noch heute im Besitz der Familie Barberini - von geringerer Größe ist, und durch das Alltagsgewand sowie den geradeaus gerichteten Blick einen unmittelbaren und intimen Eindruck vermittelt, erscheint bei letzterem der Papst barhäuptig, mit dem Pluviale und mit unbestimmtem Blick wesentlich feierlicher. Sowohl der knappere Büstenausschnitt des bustino also auch der hoch geschobene Camauro lenken die Aufmerksamkeit zusätzlich auf das offene und vitale Gesicht, das wohl kaum nach einem der Stiche Urbans entstanden sein dürfte (89). Bei beiden frühen Büsten ist das Gesicht des Papstes sehr jung, sind die Augen groß geformt und der Bart in gleicher Weise breit und wenig durchbrochen gebildet. Dies sind weitere Argumente, an der frühen Datierung des bustino festzuhalten, denn alle Urban-Porträts dokumentieren sein Alter mit schwindender Bartfülle. Auch wäre der bustino nicht das einzige Bild des Papstes mit Mozzetta und Camauro vor 1632. Verwiesen sei auf Bildnisse wie den Stich Ottavio Leonis (1625), das Porträt Pietros da Cortona (ca. 1625/1626), Berninis Ölbildnis des Pontifex (vor 1630) oder den Stich Claude Melans (1631), für den Gianlorenzo selbst die Vorlage geliefert hatte. Alle genannten müssen als Vorbereitung der repräsentativen (!) Büste von 1632 bewertet werden. Diese gilt mit Recht als Schlüsselwerk für alle folgenden.

Lässt man den bustino einmal beiseite, so ist zu fragen, ob die Grundannahme des Autors Gültigkeit beanspruchen kann, dass sich die strengen Kleidervorschriften und die mit ihrer Befolgung oder Nicht-Befolgung verbundenen, symbolisch kommunizierten Botschaften in den Kunstwerken der Zeit unmittelbar niederschlagen. Wenn dem so wäre, wäre zumindest in der unmittelbaren Bildproduktion der Päpste ein einheitliches Bild zu erwarten. Aber schon eine nur sehr grobe Durchsicht der Papstmedaillen von Urban VIII. bis Clemens IX. ergibt einen sehr uneinheitlichen Befund: So zeigen Medaillen zu Kanonisationsfeiern ein Mal das Profilbildnis des Papstes mit Pluviale und Tiara, ein anderes Mal mit Mozzetta und Camauro. [2] Man wird kaum behaupten dürfen, dass die Heiligsprechungen jeweils von einem Papst durchgeführt wurden, dessen Selbstverständnis sich entweder auf seine priesterliche Würde oder seine fürstengleiche Stellung gründete. Offensichtlich beeinflussten eher andere Gründe, etwa die Mehrfachverwendung eines Modells oder Moden, als der Wunsch nach korrekter Wiedergabe des passenden Gewandes die Wahl des Bildtypus. Zumal der Papst bei Kanonisationsmessen immer ein liturgisches Gewand trug.

Die Darstellung des Papstes in Alltagsgewändern auf den Moment der Audienz oder sein Selbstverständnis als Fürst zu verengen, ist logisch nicht korrekt. Wie selbst vom Autor festgestellt, gab es neben den liturgischen Gewandungen nur diese (53). Genauso wie alle außerliturgischen Handlungen keine Privatheit im modernen Sinne zuließen, gab es für den Papst kein ausgesprochen privates Gewand. Er trug den abito d'udienza also auch außerhalb der Audienzzeiten. Wurde er in diesem gezeigt, lässt sich zunächst nur feststellen, dass er in keiner liturgischen Situation dargestellt ist. Und da sowohl die Hermelinsäume an der Kleidung als auch der Camauro selbst insignienhafte Qualität hatten (52), blieb der Papst in seinem Alltagsgewand doch immer als Oberhirte der katholischen Christenheit erkennbar.

Insofern symbolisiert das 'einfache' Gewand des Papstes wesentlich deutlicher die gesellschaftliche Position des Porträtierten als die aufwändige Bekleidung der Herrscherbüsten Berninis (95), in denen Herzog und König (Francesco d'Este, 1650-51, Ludwig XIV., 1665) hinsichtlich der Bekleidung und des Habitus kaum unterschieden und daher nur durch ihre Physiognomie (!) zu erkennen sind.

Mit Verweis auf das staatstheoretische Schrifttum der Zeit und unter Rückbindung des Gestus der späteren Salvatorbüste (1678) auf die früheren Herrscherbilder Berninis, werden die Herrscherbüsten im zweiten Teil von Zitzlsperger christomimetisch gedeutet: "Berninis flatternde Stoffbahnen in Stein sind Teil absolutistischer Sonnensymbolik, die für den Herrscher, dessen Gerechtigkeit und Christusähnlichkeit steht. (...) In diesem Rahmen erhält der Kontrapost seinen Sinn als Gebärde der Rechtssprechung (...). Am Ende seines Lebens hat uns Bernini die Christusähnlichkeit seiner Herrscherbüsten belegt, indem er seine Salvatorbüste dem Herrscherbild anglich" (146).

Es seien Zweifel an der zu Grunde gelegten Behauptung geäußert, dass Bernini mit einem Kunstwerk, welches er im Selbstauftrag schuf und zu verschenken beabsichtigte, Bildnisse kommentierte, die er mehr als zehn Jahre vorher und mit klaren Vorgaben der Auftraggeber meißelte. Hinzu kommt, dass das Verhältnis der drei überkommenen Kopien (Rom, Norfolk, Sées) zum verschollenen Original der Salvator-Büste nach wie vor ungeklärt ist. [3] Man achte beispielsweise auf die zwischen den Exemplaren differierende Blickrichtung des Salvators (131) und die bei allen gegenüber der Zeichnung veränderte Haltung der linken Hand. Bei den Büsten verschwindet der Arm in unklarer Gestik unter dem Gewand. Die im Entwurf wohl auf die Brust - und nicht auf die Seitenwunde (135) - gelegte Hand lässt keine Deutung als Richtergestus zu. Vielmehr handelt es sich um den lebenden Christus und nicht um den Auferstandenen, dessen Darstellung nur äußerlich (Kopfwendung und Draperie) den älteren Herrscherbüsten ähnelt. Zudem bedürfte es des Rückschlusses in keiner Weise, um den heroischen Impetus der Herrscherporträts zu erklären, der im wesentlichen durch den traditionellen Harnisch, die gestraffte Körperhaltung, den hoch erhobenen Kopf und den ins Unbestimmte gehenden Blick erreicht wird.

Letztlich können weder die Herrscher- noch die Papstbüsten als personalisierte Darstellungen der höchsten richterlichen Gewalt (157-158) verstanden werden, denn Haltung und Gewand des Papstes sind keineswegs auf diese Funktion zu reduzieren, so wie gleichermaßen auch die Gebärde der Herrscher kaum überzeugend als Richtergestus zu deuten ist.

Problematisch ist insgesamt die Verengung der Berninischen Kunst auf ein Medium der Propaganda. Es ist richtig, dass Kunstwerke von den Auftraggebern für politische Zwecke oder zum Ziele der Repräsentation genutzt wurden. Doch sind damit bestenfalls die Umstände der Entstehung erfasst. Auch im Hinblick auf die Deutung der Büsten hätte man sich gewünscht, dass der Autor das zeitgenössische Porträtschaffen und dessen Rezeption stärker in die Untersuchung mit einbezogen hätte. Hingewiesen sei beispielsweise nur auf die Ausdrucksvielfalt der Büsten, die darzustellen Bernini sich sicher nicht bemüht hätte, wenn es nur darum gegangen wäre, den gesellschaftlichen Stand (13) einer Person abzubilden.

Anmerkungen:

[1] Bernini scultore. La nascita del barocco in Casa Borghese, hg. von Anna Coliva, Sebastian Schütze, Ausstellung, Galleria Borghese Roma, 15.5.-20.9.1998, Rom 1998, S. 245-251. Gian Lorenzo Bernini. Regista del Barocco, hg. von Maria Grazia Bernardini, Maurizio Fagiolo dell'Arco, Ausstellung, Museo Palazzo Venezia Roma, 21.5-16.9.1999, Mailand 1999, S. 327-329.

[2] Bernini in Vaticano, hg. von Anna Gramiccia, Comitato Vaticano per l'Anno Berniniano, Ausstellung, Musei Vaticani 5.-7.1998, Rom 1981, S. 286-309.

[3] Maurizio Fagiolo dell'Arco, Berniniana. Novità sul regista del Barocco, Genf / Mailand 2002, S. 71 und Abb. 59-60; Philippe Malgoyres, À propos du buste du Salvator Mundi pour la Reine Christine, in: Le Bernin et l'Europe: du baroque triomphant à l'âge romantique, Congrès international, Paris 2002, S. 179-189. Ich danke Damian Dombrowski für den Hinweis auf die Büste in Rom.


Britta Kusch-Arnhold