Rezension über:

Carsten Woll: Die Königinnen des hochmittelalterlichen Frankreich 987-1237/38 (= Historische Forschungen; Bd. 24), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 321 S., ISBN 978-3-515-08113-9, EUR 43,00
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Rezension von:
Franz-Reiner Erkens
Historisches Seminar, Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Franz-Reiner Erkens: Rezension von: Carsten Woll: Die Königinnen des hochmittelalterlichen Frankreich 987-1237/38, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/1863.html


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Carsten Woll: Die Königinnen des hochmittelalterlichen Frankreich 987-1237/38

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Der Stellung der Königin in mittelalterlichen Königreichen hat in den letzten Jahren wiederholt die Aufmerksamkeit der historischen Mediävistik (und keinesfalls nur im Bereich ihres neuen Zweiges, der so genannten Gender-Forschung) geweckt, wie das kurze erste Kapitel des vorzustellenden Buches, das den Forschungsstand resümiert (9-12), darlegt. Weniger Beachtung gefunden hat dabei freilich das kapetingische Frankreich, dessen Königinnen aus der Zeit zwischen dem ausgehenden zehnten und dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts in chronologischem Zugriff (in 16 Kapiteln, die um drei weitere Kapitel mit speziellem Aspekt ergänzt sind) zum Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen werden. Die letzte systematische Beschäftigung mit dem Wirken dieser Königinnen und ihrer Stellung stammt aus dem Jahre 1968 und fand ihren Niederschlag in einem Aufsatz aus der Feder von Marion F. Facinger, die eine gewisse Verfestigung der überindividuell-politischen Position der kapetingischen Königin im Laufe der Entwicklung feststellte. Diese Ansicht bildet den Ausgangspunkt der neuen Betrachtung, die freilich zu einem anderen und - wenn man die Verhältnisse im Reich kennt - wenig überraschenden Ergebnis kommt, dass es nämlich keine kontinuierliche Entwicklung der Stellung der Königin gab, dass der Einfluss einer Königin vielmehr von der jeweiligen Persönlichkeit der Königsgemahlin abhing und während ihrer Ehe durchaus Schwankungen und Entwicklungen unterlag. Wie im Reich konnte sie Statthalteraufgaben und für den zum Halbwaisen gewordenen Sohn die (faktische) Regentschaft übernehmen, vereinzelt auch als Teilhaberin an der Herrschaft bezeichnet werden (wobei sich ihr Einwirken auf die Politik nicht unbedingt an der Häufigkeit von Nennungen in Urkunden ablesen lässt, sondern eher informell gewesen ist); aber zu einer eigenen Institution wurde das kapetingische Königinnentum nicht. Dass zudem jeder königliche Eheschluss von jeweils besonderen, vornehmlich politischen Erwägungen bestimmt worden ist, bedarf darüber hinaus wohl kaum einer eigenen Erwähnung.

All dies wird umfänglich ausgebreitet in einem langen und faktenreichen Durchgang durch rund 250 Jahre französischer Geschichte, die mit Blick auf das königliche Eheleben streckenweise zweifellos eine chronique scandaleuse, für manche Königin (wie in besonderem Maße für Philipp II. Augusts dänische Gemahlin Ingeborg) aber auch eine historia calamitatum gewesen ist. Bei der Lektüre der facettenreichen Darlegungen steht der Leser gelegentlich vor der Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Er wünscht sich daher wiederholt einen stärkeren systematischen Zugriff, der letztlich nur im knappen Schlusskapitel (269-275) deutlicher spürbar ist. Andererseits wird ihm, und das ist das eigentliche Verdienst der Arbeit, eine wohl umfassende Zusammenstellung aller wesentlichen Aspekte der Geschichte sämtlicher Königinnen (und auch noch einiger Verlobungen) aus dem langen Untersuchungszeitraum geboten, auf die man zur Information künftig gern zurückgreifen wird.

Natürlich hätte das eine oder andere auch noch vertieft werden können. Wichtig ist etwa der Hinweis darauf (110), dass - wie das Beispiel der Anna von Kiew in der Mitte des 11. Jahrhunderts zeigt - die frühen Gemahlinnen der Kapetinger nicht ungesalbt und ungekrönt geblieben sind, auch wenn über die Weihe dieser Königinnen ansonsten wenig verlautet. Die Frage nach dem Krönungsordo jedoch, der benutzt wurde, wird nicht gestellt, obwohl sich in einer solchen Aufzeichnung das ideelle Verständnis von der Königin widerspiegelt. Auch wurde, obwohl die Verhältnisse im Reich gelegentlich zum Vergleich herangezogen werden, übersehen, dass die in Frankreich offenbar singulär gebliebene und nur 1137 bei der Hochzeit Ludwigs VII. mit Eleonore von Aquitanien belegte Weihe der königlichen Braut schon vor der Trauung (230 f., 269) einem im Reich unter den Saliern (seit Heinrich III.) geübten Brauch entsprach, den noch Friedrich Barbarossa bei seinem zweiten Eheschluss mit Beatrix von Burgund befolgte. Die Nützlichkeit des gebotenen Gesamtüberblicks wird durch nicht gestellte Fragen und unterbliebene Verknüpfungen allerdings nicht geschmälert.


Franz-Reiner Erkens