Rezension über:

John Roger Paas (ed.): The German Political Broadsheet 1600 - 1700. Volume 7: 1633-1648, Wiesbaden: Harrassowitz 2002, 455 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-447-04474-5, EUR 748,00
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Rezension von:
Markus Nadler
München
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Markus Nadler: Rezension von: John Roger Paas (ed.): The German Political Broadsheet 1600 - 1700. Volume 7: 1633-1648, Wiesbaden: Harrassowitz 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/2154.html


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John Roger Paas (ed.): The German Political Broadsheet 1600 - 1700

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Politische Flugblätter fanden in der Historiografie zum konfessionellen Zeitalter zu Recht von Beginn an Beachtung, wenn auch bis weit in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mehr zur Illustration der Ereignisse und zur Dokumentation der Schärfe der Religionskonflikte. Seit den 1970er-Jahren aber wurde zunehmend der Wert der Flugblätter als Quelle erkannt. Eine Reihe von Publikationen und Editionen zeugen von einer lebhaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Bildpublizistik. [1] Dies ist umso begrüßenswerter, als der Umgang mit diesem Quellenmaterial gleichermaßen ertragreich wie problematisch ist. Die Flugblätter erlauben zwar einen unmittelbaren Einblick in die aufgeheizte Atmosphäre des konfessionellen Zeitalters, der Zugang zu dieser Quelle ist jedoch keineswegs einfach. Die Siegesfeiern, Lobeshymnen, Schmäh- und Spottschriften, Karikaturen und Anklagen in Text und Bild waren so konzipiert, dass ihre Aussage jedermann verständlich sein sollte - dem zeitgenössischen Betrachter dürfte der aktuelle Kontext in den allermeisten Fällen tatsächlich bekannt gewesen sein -, sie sprechen aber heute keineswegs für sich. Auch bei gründlicher Kenntnis der historischen Zusammenhänge ist nur schwer oder gar nicht zu entscheiden, ob es sich um Polemik einer radikalen Minderheit oder um treffend zum Ausdruck gebrachten Protest breiter Schichten handelte, ob um spontane Gefühlsregung einer Bevölkerungsgruppe oder vielmehr um gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung durch die politisch Handelnden. Es ist daher nicht nur nach der Aussage der Flugblätter zu fragen, sondern auch nach den Produzenten und Auftraggebern sowie deren Absichten, nach dem Erscheinungsort, der räumlichen wie quantitativen Verbreitung und nach der Wirkung. [2] Sorgfältige Quellenkritik ist hier also besonders gefordert. Eine notwendige Grundlage für die weitere wissenschaftliche Forschung an diesem Quellentyp ist demnach eine möglichst umfassende Sammlung und Präsentation der politischen Flugblätter sowie deren geografische und zeitliche Einordnung.

Dies bietet für das 17. Jahrhundert John Roger Paas mit seiner Edition "The German political Broadsheet 1600 - 1700". Im Jahr 2002 konnte hierzu bereits der siebte Band erscheinen. Er ist der zweiten Phase des Dreißigjährigen Krieges von 1633 bis 1648 gewidmet. Wie der Herausgeber in dem kurzen Vorwort zu diesem Band anmerkt, war diese Phase von der zunehmenden Überlagerung der religiösen Spannungen durch politisches Kalkül geprägt. Mit dem Kriegseintritt Frankreichs sowie durch die Kriegserfahrungen wurden die zunächst stärker konfessionell formierten Fronten durchlässiger. Der Krieg wurde "komplizierter" und die Kontraste der Feindbilder weniger scharf, wenngleich natürlich die religiösen Spannungen weiter bestehen blieben. Paas konstatiert, dass nach dem Tod Gustav Adolfs 1632 die Flugblatt-Publizistik deshalb nicht mehr die Höhepunkte von 1630 bis 1632 erreichte (siehe Band 5 und 6). Die publizistische Auseinandersetzung nahm an Schärfe ab. Gegenstände der Darstellung waren weiterhin Schlachten und Kriegsereignisse sowie Ruhm- und Schmähschriften auf Protagonisten des Krieges. Aber auch kritische und mahnende Stimmen zu den Veränderungen von Moral und Zeitgeist sowie Klagen über Zerstörung und Not wurden mittels Flugblättern zum Ausdruck gebracht.

Trotz der thematischen und gestalterischen Vielfalt des Materials entschied sich Paas in seiner Edition für eine chronologische Anordnung der Flugblätter. Jedes Flugblatt erhielt dementsprechend eine laufende Nummer mit einem vorangesetzten "P". Kopien und andere Nachdrucke von Flugblättern werden in einer daran anschließenden Liste unter "PA"-Nummern aufgeführt, gefolgt von verloren gegangenen Flugblättern (PL und PAL; die Auflösung der zahlreichen eingeführten Siglen findet man in der Einleitung des 1. Bandes).

Eine thematische Aufbereitung an Stelle der chronologischen Reihung hätte themenbezogenen Forschungen den Zugang sicher sehr erleichtert, aber angesichts der Fülle des Quellenmaterials, dessen Herausgabe in insgesamt zehn Bänden (Band 1 erschien 1985) angelegt wurde, ist diese Entscheidung durchaus verständlich, zumal die chronologische Anordnung Entwicklungen sichtbar macht und zu konkreten Ereignissen ebenfalls einen bequemen Zugang ermöglicht.

Schmerzlich vermisst wird allerdings ein Register. Ein Gesamt-Indexband ist zwar angekündigt, aber angesichts des lang gestreckten Erscheinungszeitraumes wäre ein Orts- und Personenregister in jedem Einzelband eine willkommene Hilfestellung für die inhaltliche Erschließung gewesen. Der Mehraufwand bei dieser zugegebenermaßen sehr aufwändigen Edition wäre wohl gerechtfertigt gewesen, zumal die in konzentrierter Form gebotenen Erläuterungen zu den einzelnen Flugblättern einer Registererstellung entgegenkommen. Die zurückhaltende Kommentierung ist insofern begrüßenswert, als dadurch das jeweilige Flugblatt eindeutig ins Zentrum gerückt und der Blick nicht durch vorgefertigte Analysen und Interpretationen beeinflusst wird. Detailliertere Beschreibungen waren auch nicht die Zielsetzung des Autors. Mit dem Anspruch, möglichst viele deutsche politische Flugblätter des anvisierten Zeitraums aufzufinden und abzubilden, hat sich der Herausgeber ohnehin ein hohes Ziel gesetzt. Zahlreiche Archive, Bibliotheken, Museen und Sammlungen in beiden Teilen Deutschlands sowie in West- und Osteuropa wurden hierzu seit 1978 untersucht. Die Auswahlkriterien sind nachvollziehbar und sinnvoll, wenn auch keine klare Definition von "german political broadsheets" gegeben werden kann. Aufgenommen wurden Drucke, die gleichzeitig Titel, Text und Illustrationen enthalten und die zu politischen Ereignissen im Heiligen Römischen Reich oder zu europäischen Ereignissen aus deutscher Sicht Stellung nehmen (in deutscher Sprache oder im deutschsprachigen Raum gedruckt; Ausnahmen siehe Einleitung Band 1).

Durchgängig werden zu jedem Flugblatt alle ausgemachten Fundorte angegeben, die bereits interessante Hinweise auf die Verbreitung geben können. Von wissenschaftlicher Genauigkeit zeugen die Beschreibungen der äußeren Erscheinungsform sowie die vorsichtigen, weil problematischen Angaben zu Entstehung und Datierung der Flugblätter. Anonym und ohne Zeitangabe erschienene Flugblätter können nur schwer aufgelöst werden, und angesichts vorkommender Falschangaben seitens der Produzenten ist Skepsis stets angebracht. Paas gibt deshalb nur gesicherte Daten in den Bildunterschriften. Unsichere Zuweisungen und Indizien werden in Form von Endnoten geboten. Die akribische Arbeitsweise des Herausgebers zeigt sich auch im Umgang mit den vorkommenden Varianten, die auch bei geringeren Abweichungen eigens abgedruckt wurden. Allerdings würde man sich hier zuweilen eine kurze Erklärung wünschen. Für den Leser ist die Relevanz der Varianten kaum zu erkennen; zum Teil nicht einmal, worin die Abweichung besteht. Bei Flugschriften mit längeren Texten und marginalen Abweichungen ist der Vergleich oft langwierig und enttäuschend. Müssen also einzelne Flugblätter in bis zu fünf Varianten abgedruckt werden (siehe 240-244)? Angesichts der Bedeutung des Vergleichs von Varianten in der wissenschaftlichen Text- und Bildkritik, wird man wohl zusammen mit dem Herausgeber mit ja antworten. Die Analyse im Einzelnen ist sicherlich der weiteren Forschung vorbehalten. [3] Die bei Paas gegebenen Querverweise ("See [...] from the same plate") sind für die weitere Arbeit hilfreich, hätten aber um eine kurze Nennung der Variation und gegebenenfalls der Hintergründe erweitert werden können.

Selbstverständlich kann ein so ehrgeiziges Editionsprojekt wie das vorliegende nicht alle Wünsche der Leser erfüllen. Der Wert und das Verdienst dieser Sammlung wird dadurch aber in keiner Weise geschmälert. Sie schließt die bisher schmerzliche Lücke einer umfassenden bibliografischen Dokumentation der deutschen politischen Flugblätter des 17. Jahrhunderts und deren Präsentation in einem Werk. Wohl kaum eine wissenschaftliche Arbeit über den Dreißigjährigen Krieg dürfte künftig diese Sammlung von John Roger Paas ganz vernachlässigen können. Umso erfreulicher ist die ansprechende äußere Form, die sehr gute Qualität der Abbildungen auf hochwertigem Papier. Ein baldiges Erscheinen der drei noch ausstehenden Bände ist sehr zu wünschen.

Anmerkungen:

[1] Siehe vor allem die Arbeiten von Wolfgang Harms, Michael Schilling und Walter L. Strauss.

[2] Vergleiche hierzu die Ansätze bei Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700, Tübingen 1990.

[3] Zur Methodik siehe Schilling: Bildpublizistik, S. 1-10; siehe dort auch die Kritik an Paas, S. 5, Anm. 18)


Markus Nadler