Rezension über:

Gunter Schweikhart: Die Kunst der Renaissance. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Ulrich Rehm / Andreas Tönnesmann, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 291 S., 245 Abb., ISBN 978-3-412-16300-6, EUR 50,00
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Rezension von:
Christoph Wagner
Institut für Kunstgeschichte, Universität Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Wagner: Rezension von: Gunter Schweikhart: Die Kunst der Renaissance. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Ulrich Rehm / Andreas Tönnesmann, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3 [15.03.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/03/2394.html


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Gunter Schweikhart: Die Kunst der Renaissance

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Der frühe Tod des Wissenschaftlers und Bonner Professors für Kunstgeschichte, Gunter Schweikhart (1939-1997), stellt die Edition seiner ausgewählten Schriften zur Kunst der Renaissance unter besondere Vorzeichen: Zu fünf Themenschwerpunkten sind neunzehn Beiträge versammelt, die als Aufsatzpublikationen an verschiedenen Orten zwischen 1968 und 1997 erstmals publiziert worden waren. Der Wiederabdruck dieser - etwa zur Hälfte erst in den 1990er-Jahren - veröffentlichten Schriften rechtfertigt sich nicht nur aus dem Bedürfnis, der Forschung in der Zusammenführung dieser Einzeluntersuchungen ein vervollständigtes Gelehrtenbildnis mit Blick auf die wissenschaftliche Lebensleistung Gunter Schweikharts vor Augen zu stellen, sondern auch aus dem inhaltlichen Zusammenhang der Beiträge untereinander und aus dem Rang dieser Untersuchungen.

Zweifellos verändert sich mit der erneuten Publikation die Perspektive für ihre Rezeption: Über den Kreis der ehemals angesprochenen Spezialforschung hinaus richten sich Schweikharts Untersuchungen nun als exemplarische Beiträge einer kunstwissenschaftlichen Positionsbestimmung an ein breiteres Publikum.

Mit Giovanni Maria Falconetto sind die ersten drei Beiträge dem Forschungsschwerpunkt von Schweikharts Dissertationsthema gewidmet, es folgen fünf Beiträge zur Kunst Oberitaliens, die zum Teil in Verbindung mit Schweikharts Habilitationsschrift über die "Fassadenmalerei in Verona" (1973) stehen, jeweils drei Studien zur Antikenrezeption und zum Verhältnis zwischen Italien und dem Norden und schließlich fünf Untersuchungen zu Aspekten der Selbstdarstellungen von Künstlern, ein Thema, das Schweikhart zusammen mit Hermann Ulrich Asemissen zuletzt in der monografischen Betrachtung der "Malerei als Thema der Malerei" (Berlin 1994) erschlossen hatte. Damit ist der weite und facettenreiche Radius der Renaissanceforschungen Schweikharts umschrieben.

Schweikharts Blick auf die Renaissance ist nicht zuvörderst von der Beschäftigung mit den 'Großmeistern' der Zeit getragen, sondern entfaltet sich nicht selten aus ungewöhnlichen Blickwinkeln auf exemplarische Details, ja auf 'Fundstücke' der Renaissancekultur, in deren Analyse Schweikhart die ästhetische Signatur der Epoche erkennt: So entfaltet er etwa aus der Betrachtung des an sich wenig spektakulären Tafelbildes "Augustus und die Sibylle" von Giovanni Maria Falconetto den weiten Horizont einer theater- und bühnengeschichtlichen Reflexion, die Falconetto in den Kontext der Traditionslinien einer spezifischen Antikenrezeption einbindet (3 ff.). Mit Blick auf die Geschichte des antiken Zitats des Dornausziehers zeigt Schweikhart die großen Interpretationsspielräume auf, die von Priapus bis Coridon über Monatspersonifikationen und Hirtendarstellungen reichen können (8 ff.). Dabei ist nicht zuletzt bemerkenswert, mit welcher Beweglichkeit Schweikhart seinen Gedankengang über Gattungsgrenzen hinweg in der Synopse von Malerei, Skulptur, Druckgrafik, Architektur, Theatergeschichte und den Quellen der Kunsttheorie entwickelt, um dadurch ein Bild der sich historisch verändernden Rezeptionshaltungen zu entwerfen. Nicht weniger differenziert fallen die rezeptionsästhetischen Betrachtungen Schweikharts zum Motiv des Torso in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts (111 ff.) und der "Kauernden Venus" (101 ff.) aus, wobei er mit Augenmaß die Relevanz der ikonographischen, formalen und historischen Aspekte gewichtet: So übersieht er über den symbolischen Aspekten der "Kauernden Venus" keineswegs, dass dieses Motiv jenseits aller ikonographischer Fragen "eine erstaunliche Breite ambivalenter Eigenschaften spiegelt, Sinnlichkeit, körperliche Fülle, erotische Pose bei gleichzeitiger antikischer Legitimation" (110).

Schweikharts genaue historische Differenzierung rezeptionsästhetischer Haltungen ist auch in seiner Untersuchung zur Dürer-Rezeption in Italien zu studieren: Dass ausgerechnet das weithin wirksame, prominente Dürerbild in Vasaris Viten wichtige Aspekte der vorausgegangenen zeitgenössischen Dürer-Rezeption in Italien nicht etwa zusammenfasst, sondern - im Gegenteil - verdeckte, ist eine der Pointen, die sich in Schweikharts Darlegungen finden. Nebenbei bemerkt: Mit seinen präzisen Beobachtungen zu den rezeptionsästhetischen Substraten in den nach Werken Dürers entstandenen Zeichnungen des frühen 16. Jahrhunderts hat Schweikhart methodische Standards einer wahrnehmungsästhetischen Analyse von Zeichnungskopien gesetzt, die einstweilen in der Forschung nicht wieder erreicht wurden.

Schweikharts Fähigkeit, aus seiner historisch strengen, sachlichen Quellenexegese und quellenkritischen Analyse der Dokumente weitgespannte Fragestellungen zu entwickeln, ist in besonderer Weise auch in seinen Studien, die der Rekonstruktion verlorener Werke gewidmet sind, dokumentiert: so in der Rekonstruktion der verlorenen Fresken Domenico Brusasorzis (45 ff.), des Fondaco dei Tedeschi (52 ff.) oder der Chronologie des zweimaligen Aufenthalts Tizians in Augsburg im Auftrag des Kaisers (166 ff.).

Die wohltuende Sachbezogenheit und Genauigkeit von Schweikharts Ausführungen, seine unprätentiöse Sprache und seine methodische Beweglichkeit erinnern die Kunstwissenschaft an klassische Ideale. So können seine Beiträge zur Kunst der Renaissance als methodisches Vermächtnis eines Wissenschaftlers gelesen werden, auch wenn eine theoretisch geführte Methodendiskussion erkennbar nicht das Anliegen Schweikharts gewesen ist.

Das abschließende Verzeichnis der Publikationen Gunter Schweikharts macht neugierig, weiterführend andere Fassetten seiner umfangreichen kunsthistorischen Tätigkeit zu entdecken, so sein engagiertes Eintreten für die Belange der Gegenwartskunst wie seine Positionsbestimmungen in Fragen der architektonischen und städtebaulichen Denkmalpflege.


Christoph Wagner