Rezension über:

Richard Barber / Juliet Barker: Die Geschichte des Turniers. Aus dem Englischen von Harald Ehrhardt, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2001, 283 S., zahlr., z.T. farbige Abb., ISBN 978-3-538-07124-7, EUR 29,90
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Rezension von:
Martin Clauss
Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Martin Clauss: Rezension von: Richard Barber / Juliet Barker: Die Geschichte des Turniers. Aus dem Englischen von Harald Ehrhardt, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [15.04.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/04/1684.html


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Richard Barber / Juliet Barker: Die Geschichte des Turniers

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Mit "Die Geschichte des Turniers" von Richard Barber und Juliet Barker liegt nun ein Standardwerk der Turnierforschung, das zum ersten Mal 1989 in englischer Sprache erschienen ist (Richard Barber / Juliet Barker: Tournaments. Jousts, chivalry and pageants in the Middle Ages, Woodbridge 1989) in deutscher Übersetzung vor. Auf der Grundlage einer Fülle von Quellenstellen wird die Geschichte dieses mittelalterlichen "Sports" (10) von seinen Anfängen bis zum Ende des Mittelalters nachgezeichnet; hierbei finden nicht nur 'klassische' Turnierländer - wie England, Frankreich, Burgund und Deutschland - sondern auch Spanien, Schweden, Zypern und andere Länder Beachtung, in denen sich das mittelalterliche Turnier nachweisen lässt.

Ausgehend von einer weit gefassten Definition des Begriffes, die unter Turnier "alle Arten des ritterlichen Kampfsportes" (12) versteht, zeichnen die Autoren im ersten Teil des Buches die Entwicklung des Turnierwesens nach. Die Quellengrundlage hierfür stellt sich komplex und problematisch dar; neben historiografischen Texten und Verwaltungsschriftgut (wie etwa Rechnungsbüchern) greifen Barber und Barker mit größter Vorsicht teilweise auch auf höfische Dichtung und Ritterromane zurück. "Es ist gerade so, als müsste man die Geschichte des Fußballs allein nach den Schlagzeilen moderner Zeitungen schreiben: die Sportreportagen des Mittelalters (wenn sie denn existierten) sind in der Regel verloren gegangen" (12).

Im ersten Kapitel über "Die Anfänge des Turniers" (21-40) wird auf die enge Verknüpfung von Sport und Krieg in der Anfangsphase der Turnierentwicklung hingewiesen und die Notwendigkeit zum militärischen Training des Angriffs mit eingelegter Lanze als mögliche Wurzel des Massenturniers (melée) dargestellt. Die ersten Turniererwähnungen fallen ins ausgehende 11. Jahrhundert. In der Frühphase unterschieden sich Turniere kaum von wirklichen Schlachten. "Die einzige Konzession an den sportlichen Charakter des Kampfes waren die Einrichtung der Ruheplätze sowie die Grundbedingung des Spiels: die gegnerischen Ritter nicht zu töten, sondern gefangen zu nehmen und gegen ein Lösegeld wieder freizulassen" (23).

In der weiteren Entwicklung wandelte sich das Turnier durch unterschiedliche Einflüsse - unter anderem das Auftauchen von Zuschauern und auch Zuschauerinnen - vom Massenturnier hin zum Einzelkampf, dem Lanzenstechen oder Tjosten. Dass es bei Turnieren mitunter wenig ritterlich zuging, belegt das Beispiel des Guillaume le Maréchal, der das Turnieren primär als Einnahmequelle verstand und sich nicht scheute, auch dann turnierende Ritter gefangen zu nehmen, wenn er selbst gar nicht am Turnier beteiligt war (33).

Das zweite Kapitel über "Das Turnier in Westeuropa bis 1400" (41-66) nimmt sich der unterschiedlichen Einflüsse und Entwicklungen des Sports in England, Frankreich und den Niederlanden an. Beginnend mit der Lizensierung von Turnieren durch Richard I. 1194 lassen sich die unterschiedlichen Phasen der Turniere in England nachzeichnen, wobei neben der Autorität des jeweiligen Königs auch dessen persönliche Vorlieben eine entscheidende Rolle spielten. Ein Höhepunkt war in England mit Edward III. und der Begründung des Hosenbandordens erreicht (48-50).

Bei französischen Königen ist wesentlich weniger Turnierbegeisterung auszumachen, was mit ihrer Sonderstellung als gesalbte Herrscher zusammenhängen mag (52); sie suchten Turniere durch Verbote zu überwinden, und erst 1329 ist mit Philipp IV. ein französischer König als Turnierteilnehmer nachweisbar (56).

Es schließen sich Kapitel über "Das Turnier in Deutschland" (67-93) und "Das Turnier in Italien, Spanien und anderen Ländern" (94-126) an, in denen unterschiedliche Besonderheiten - wie deutsche Turniergesellschaften (82-86) und die vor allem in Deutschland ausgeprägte Exklusivität der Turniere für Ritter (87) -, Personen - wie Ulrich von Lichtenstein (67-74) - und Ereignisse - wie der Passo Honroso 1434 (117-121) - vorgestellt werden. Die ausführliche Würdigung Italiens (94-109) und Spaniens (109-121) ist hier besonders hervorzuheben.

Der chronologisch-regionale Abriss wird mit dem Kapitel über "Das Turnier des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance: Höfisches Schauspiel, Pas d'armes und Zweikampfforderungen" (127-180) beschlossen. Der Pas d'armes wird als charakteristische Form des Sports in dieser Zeit vorgestellt und der Wandel hin zum gesellschaftlichen Ritual umschrieben. Die immer aufwändigere Ausgestaltung führte dazu, dass nun nurmehr Fürsten und Herzöge es sich leisten konnten, diese großen Feste, die teilweise nach literarischen Vorbildern gestaltet wurden, abzuhalten.

Das letzte Drittel des Buches ist drei systematischen Kapiteln gewidmet, die sich mit den "Gefahren des Turniers: Geistliche und öffentliche Unordnung" (181-195), "Rüstungen und Waffen" (196-211) sowie dem "Ereignis Turnier" (212-255) befassen. Hier werden unterschiedliche Aspekte im diachronen Querschnitt beleuchtet, wobei teilweise bereits Bekanntes aus den ersten Abschnitten wieder aufgegriffen und in neuen Kontexten verortet wird. Schwerpunkte sind die Versuche der weltlichen und kirchlichen Seite, Turniere zu verbieten oder zu reglementieren, die Entwicklung der Turnierausrüstung zunächst parallel und dann getrennt von den Kampfausrüstungen, sowie die unterschiedlichen organisatorischen Elemente des Turnierwesens. Abgerundet wird das Buch durch einen Epilog (256-259), in dem die neuzeitlichen Nachklänge des Turnierwesens und die Entwicklung hin zu Parade und Duell kurz angerissen werden. Ein Personenregister beschließt den Band.

Dieses Buch beeindruckt durch seinen breiten Horizont und seine Vielschichtigkeit. Es werden etliche Facetten des Turnierwesens angesprochen und dargestellt, wobei die Trennung zwischen romantisch-ritterlicher Vorstellung und teilweise harter Realität immer deutlich bleibt.

Freilich beruht das vorliegende Buch auf einer mittlerweile mehr als zehn Jahre alten Vorlage, die vom Verlag beklagenswerter Weise an keiner Stelle erwähnt wird. Wer den neuesten Stand der Forschung erwartet, sieht sich getäuscht. Die Anmerkungen umfassen ausschließlich Titel aus der Zeit vor 1989, und in der "Ausgewählten Literatur" - ein Literaturverzeichnis im eigentlichen Sinne gibt es nicht - tauchen lediglich fünf neuere Werke auf, die aber nicht in den Text eingegangen sind (278). Im Vergleich zum englischen Vorläufer wurde die Zahl der Abbildungen, die sicherlich gerade für dieses Thema unerlässlich sind, reduziert, und wurden auch die einzelnen Bilder teilweise deutlich verkleinert, so dass man sich ohne Hinzuziehung des Originals mitunter schwer tut, Einzelheiten zu erkennen (so etwa die Darstellung eines Massenturniers aus dem 14. Jahrhundert auf Seite 125). Die Farbtafeln wurden in der Mitte des Bandes gesammelt, wodurch der Zusammenhang zum Text mitunter verloren geht, zumal Verweise auf die Abbildungen an einigen Stellen fehlen.

Die Übersetzung von Harald Ehrhardt ist im Ganzen gut gelungen und transportiert den sehr angenehmen und gut lesbaren Stil ins Deutsche. Leider bleiben einzelne Fehler nicht aus, und es ist auch bedauerlich, dass bei der Übertragung Druckfehler aus der Vorlage mit übernommen wurden. So wird die Statua Armorum von 1292 auch hier (193) fälschlicherweise Eduard III. und nicht seinem Großvater Eduard I. zugeschrieben.

Dies tut dem Wert des Buches insgesamt wenig Abbruch; die Darstellung von Barber und Barker ist nach wie vor ein vorzüglicher Überblick über das Thema Turnier. In einer Fülle von Details wird die Welt des mittelalterlichen Turniers zwischen Waffentraining und kostümiert gefochtenen Schaukampf in all ihren Facetten greifbar.


Martin Clauss