Rezension über:

Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Beiheft 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, X + 777 S., ISBN 978-3-412-08300-7, EUR 91,00
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Rezension von:
Steffen Stuth
Kulturhistorisches Museum, Rostock
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Stuth: Rezension von: Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [15.04.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/04/2557.html


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Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten

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Die auf einer 1999 an der Freien Universität Berlin eingereichten Dissertation beruhende Arbeit widmet sich mit prosopographischen Untersuchungsmethoden einem Thema, das im weitesten Sinne der Geschichte der Höfe des Heiligen Römischen Reiches zuzuordnen ist. Im Zentrum steht die bis heute als besonders wichtig anerkannte Periode der Regierung des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, einer wichtigen, wenn nicht zentralen Gestalt der brandenburg-preußischen Geschichte.

Obwohl in den vergangenen Jahren immer mehr Untersuchungen zu höfischen Phänomenen vorgelegt wurden, fehlen entsprechende Arbeiten - wie Bahl in der Einleitung herausstellt - zur Mehrheit der deutschen Höfe der Frühen Neuzeit, und wenn sie denn vorliegen, widmen sie sich unter Orientierung am methodischen Konzept Norbert Elias' zumeist nur einem eingeschränkten Gegenstand. Bahls Arbeit dagegen ist in die Reihe der in jüngerer Zeit entstandenen Untersuchungen einzuordnen, die sich eines stärker an den Bedingungen der deutschen Höfe der Frühen Neuzeit orientierten methodischen Rüstzeugs bedienen.

Im Gegensatz zu manchen älteren Studien versucht der Autor des vorliegenden Bandes, sich dem Problem Hof von einer neuen Seite zu nähern. Nicht die rechtlich-hierarchische Struktur und deren Abbildung in Hofordnungen, Burgordnung, Rangordnungen, in Zeremoniell und im Zusammenleben der Angehörigen der verschiedenen Stände am Hof steht daher im Zentrum, sondern die Rekonstruktion des entsprechenden Funktionsgefüges auf der Basis der Biografien der dort vertretenen Personen. Da die Zahl der anwesenden Hofangehörigen unterschiedlichen Ranges an dem zu den wichtigsten deutschen Fürstenhöfen zählenden brandenburg-preußischen Hof in Berlin-Cölln hoch war und daher unter prosopographischen Gesichtspunkten nur teilweise überschaubar ist, widmet sich Bahl einem Ausschnitt der Amtsträgerschaft, nämlich ausschließlich den höheren beziehungsweise obersten Hofangehörigen, somit der eigentlichen Spitze des Cöllner Hofes unter der Regierung Friedrich Wilhelms. Dabei spielen neben den eigentlichen Hofämtern des brandenburg-preußischen Hofes auch weitere Ämter eine Rolle. Untersucht werden in einem ersten Abschnitt nämlich nicht nur die traditionellen Hofämter und die in der Frühen Neuzeit in der Hofhierarchie ganz oben angesiedelten Personen wie die Kammerherren und Kammerjunker, sondern auch die Kammerdiener und Geheimen Kammerdiener, der Schatullverwalter, der Hausvogt, die Hofprediger, die Leib- und Hofärzte, die Hofapotheker, die Bibliothekare, Hofhistoriographen und Hofküchenmeister, deren untergeordnete Stellung sie bislang nicht ins Blickfeld der Historiker geraten ließ.

Bereits im ersten Abschnitt der Untersuchung wird klar, dass der Ansatz des Autors, nur einen begrenzten Kreis des oberen höfischen Personals in die Beschreibung einzubeziehen, nur teilweise durchzuhalten ist. Auch im zweiten Abschnitt, der dem Personal der Regierung und Verwaltung, dem Statthalter, dem Kanzler und dem Oberpräsidenten, den Geheimen Räten, den Angehörigen des Kammergerichts und des Konsistoriums, den Geheimen Kriegsräten und Kriegsräten sowie anderen Amtsträgern gewidmet ist, bezieht Bahl neben den an der Spitze der höfischen Hierarchie stehenden Personen wiederum Personal der mittleren Ebene in seine Untersuchung mit ein, hier zum Beispiel die Geheimen Sekretäre, die Geheimen Archivare oder die Angehörigen der Lehnkanzlei. Da eines der Ziele der Untersuchung ist, den Aufstieg innerhalb der Amtsträgerschaft des Hofes nachzuvollziehen, um damit die unterschiedlichen Abhängigkeiten darzustellen, mussten auch die wichtigen, aber traditionell nach dem Verständnis der zumeist schriftlich festgehaltenen Rangordnung nicht zum oberen Bereich des Hofes zählenden mittleren Amtsträger an der Kammer des Fürsten mit berücksichtigt werden. Auch wenn Bahl mit Recht darauf hinweist, dass die Vorschriften der Hofordnungen nur teilweise die Praxis im täglichen Zusammenleben am Hof bestimmten, hätte es sinnvoll sein können, die Rangordnungen als kodifiziertes Mittel der Darstellung der Position am Hof in die Untersuchung einzubeziehen. So hätte man ein Bild von den Abstufungen im Rang am brandenburg-preußischen Hof gewinnen können, um dieses dann für den Bereich der höheren Amtsträgerschaft mit den Methoden der vorliegenden Untersuchung zu hinterfragen.

Nach der Beschreibung der Amtsträgerschaft am eigentlichen Hof und der nach frühneuzeitlicher Tradition in der Umgebung des Landesfürsten angesiedelten Landesverwaltung folgt ein weiterer Abschnitt, in welchem Bahl die Verbindungen zwischen den Amtsträgern darlegt. Dabei spielen Faktoren wie die soziale und geografische Herkunft (welche wegen der starken Zersplitterung der von Friedrich Wilhelm regierten Territorien ein wichtiges Kriterium in der brandenburg-preußischen Geschichte darstellt), die Konfession (ebenfalls wichtig, da am kurfürstlichen Hof der calvinistische Glauben dominierte), der Bildungsgang, das Heiratsverhalten und die aus ehelichen Verbindungen resultierenden Karrierechancen am Hof, die Besoldung und das Vermögen, Haus- und Grundbesitz sowie Fragen von Bildung und Kultur der Amtsträger eine Rolle. Bahl vermag dabei aufgrund der umfassenden Einbeziehung der einschlägigen Literatur älteren und neueren Datums erstaunlich genaue Biografien einer großen Zahl von Amtsträgern zu rekonstruieren. So liegt mit dieser Arbeit nun ein umfangreicher Bestand an Erkenntnissen zu Biografien von Hofangehörigen zur Zeit des Großen Kurfürsten vor. Gerade in diesen Ergebnissen liegt neben der Einbeziehung der prosopographischen Methode in die Hofforschung der besondere Wert der Untersuchung. Bahl bezieht dabei neben der Sekundärliteratur zum Thema auch die zur Verfügung stehenden Primärquellen mit ein, konstatiert dabei jedoch die mit den Verlusten durch Krieg und Auslagerung verbundenen Probleme. Dennoch ist die Zahl der vorgelegten Biografien ebenso erstaunlich, wie die gewonnenen Erkenntnisse zum Einfluss des biografischen Hintergrundes für die Position, die die untersuchten Personen am Hof einnahmen, interessant für weiterführende Untersuchungen sind. Statt Fragen von Hof- und Rangordnungen rücken hier der Aufstieg innerhalb des Hofes und die Rolle von Verbindungen zwischen den Amtsträgern in das Zentrum der Untersuchung. Festzuhalten ist aber auch, dass vergleichbare Fragen und Ergebnisse in den Kapiteln mehrfach auftauchen, was die Darstellung an Stringenz verlieren lässt.

Fast ebenso umfangreich wie der eigentliche Text ist der Anhang mit einer großen Zahl von Quellentexten zum kurfürstlichen Hof, zu den Besoldungen, zu den Höfen der Kurfürstin, der Kurprinzen und Kurprinzessinnen - die beiden letzteren waren jedoch zuvor aus dem engeren Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen worden - sowie zu den Kammerherren- und Junkerbestallungen. Umfangreich ist auch die Liste der Kurzbiografien der oberen Amtsträger.

Peter Bahl hat eine Arbeit zum brandenburg-preußischen Hof des Großen Kurfürsten im siebzehnten Jahrhundert vorgelegt, die den "Personenverband" Hof mit Blick auf einen wichtigen Teil des dort präsenten Personals untersucht. Der Ansatz eines personengeschichtlichen Zugriffs eröffnet dabei neue Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand, die interessante Einblicke in das Funktionieren des komplexen und komplizierten Gefüges Hof gewähren, welche die am Elias'schen Forschungskonzept orientierten Arbeiten nicht bieten. Bahl begreift den Hof als Verband von Personen, die in einem vielschichtigen Verhältnis zueinander stehen. Diese schon früher für bestimmte einzelne Höfe und für den Hof im Allgemeinen formulierte These wird hier konkret für den Cöllner Hof überprüft. Damit leistet die vorliegende Arbeit einen weiterführenden Beitrag zur Erfassung des Phänomens Hof und erweitert den bei seiner Erforschung zu berücksichtigenden Fragenkatalog, zumal hier neben der Abhängigkeit vom Landesfürsten auch die persönlichen Eigenschaften und Eignungen der Amtsträger selbst stärker herausgestellt werden konnten. Untersuchungen zu anderen deutschen Höfen könnten zeigen, inwieweit sich die Erkenntnisse für Brandenburg-Preußen auf andere Territorien übertragen lassen.


Steffen Stuth