Rüdiger Hachtmann: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49 (= Historische Einführungen; Bd. 9), Tübingen: edition diskord 2002, 255 S., ISBN 978-3-89295-723-2, EUR 16,00
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Frank Lorenz Müller: Die Revolution 1848/49, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 160 S., ISBN 978-3-534-15159-2, EUR 14,90
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Christoph Tepperberg / Jolán Szijj (Hgg.): Von der Revolution zur Reaktion. Quellen zur Militärgeschichte der ungarischen Revolution 1848-49, Wien: Böhlau 2006
Mike Rapport: 1848. Revolution in Europa, Stuttgart: Theiss 2011
Eva Maria Werner: Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes, Göttingen: V&R unipress 2009
Eva Maria Werner: Kleine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49, Wien: Böhlau 2009
Christopher Clark: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Klaus-Dieter Schmidt und Andreas Wirthensohn, München: DVA 2023
Werner Daum (Hg.): Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Band 3: 1848-1870, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2020
Ferdinand Gregorovius: Europa und die Revolution. Leitartikel 1848-1850, München: C.H.Beck 2017
Walter Koring / Mikael Horstmann (Bearb.): Revolution! Das Jahr 1848. Das Tagebuch des David Adolph Zunz, Frankfurt/M.: Henrich 2016
Die durch das Revolutionsjubiläum von 1998 veranlasste Publikationsflut hat neben einer Reihe von Spezialuntersuchungen auch mehrere solide Überblicksdarstellungen zur Revolution von 1848/49 hervorgebracht (zum Beispiel von Manfred Botzenhart, Dieter Hein oder Wolfgang J. Mommsen), sodass sich die Frage stellt, ob gleich zwei neue Einführungen in die Revolution nötig waren. Andererseits mag der Gedanke verlockend gewesen sein, nach dem Ertrag der jubiläumsbedingten Neuerscheinungen zu fragen und auf dieser Grundlage möglicherweise ein aktualisiertes Bild der Revolution zu zeichnen.
Welche spezifischen Absichten Frank Lorenz Müller verfolgt, ist in seiner Revolutionsdarstellung nicht zu erkennen, da dem Text lediglich eine allgemeine Vorbemerkung der Reihenherausgeber vorangestellt ist. Diese erklären die in der Reihe "Geschichte kompakt" erscheinenden Bände als geeignet "für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung [...], als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte" (VII). Der handbuchartige Charakter des Bandes kommt in dem Verzicht auf einen Anmerkungsapparat zum Ausdruck. Den vier, jeweils 25 bis 40 Seiten umfassenden Hauptteilen sind Zeittafeln vorangestellt; aufgelockert werden sie durch eingestreute Kurzbiografien, Tabellen und Auszüge aus Quellen. Bei dem Literaturverzeichnis handelt es sich um eine Auswahlbibliografie (145-149), in der Müller den meisten Titeln knappe Erläuterungen beigibt. Dass vor und nach dieser rudimentären Bibliografie zwei und eine halbe Seite unbedruckt geblieben sind, mutet kurios an.
Müller widmet, was in Anbetracht des beschränkten Umfangs seines Bandes erstaunlich ist, der Vorgeschichte der Revolution sehr breiten Raum und behandelt in dem ersten Hauptteil unter dem Titel "Die Wurzeln der Revolution" (1-39) die Entstehung der deutschen National- und Einheitsbewegung, die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie die Krisenphänomene am Vorabend der Revolution. Von einigen Fehlern und Unschärfen abgesehen - das wiederholte "Verfassungsversprechen" Friedrich Wilhelms III. erfolgte nicht 1819 (16), sondern im Staatsschuldengesetz 1820, und Johann Gustav Droysen zählte nicht zu den Gründern der "Deutschen Zeitung" (33), sondern zu den späteren Mitarbeitern des Blattes - ist Müllers Darstellung der Revolutionsvorgeschichte verlässlich. Störend allerdings sind die unverhüllten Werturteile, mit denen er zum Beispiel die deutsche Nationalbewegung bedenkt, - "die mitunter abstoßend gewaltberauschten Gedichte" (3) Arndts, Kleists und Brentanos. Über die Plausibilität der Themenauswahl in diesem ersten Hauptteil ließe sich an einigen Punkten streiten; die Lola-Montez-Affäre etwa, die das Ansehen des bayerischen Königs ruinierte, war doch wohl kein so zentrales Ereignis, dass man sie auf breitem Raum schildern und die Biografie der Tänzerin neben David Hansemann, Robert Blum und Friedrich Hecker hervorheben müsste.
Der zweite Hauptteil behandelt unter dem Titel "Deutschland im Frühling 1848" (40-68) die Anfangsphase der Revolution, der Chronologie folgend zunächst in den Staaten des "dritten Deutschlands", wobei die Ereignisse im Großherzogtum Baden im Vordergrund stehen und die übrigen Klein- und Mittelstaaten nur kursorisch behandelt werden. Auch hier ist die Darstellung nicht immer fehlerfrei: Zum Beispiel lässt Müller - offenbar in Fortschreibung eines Irrtums in Ernst Rudolf Hubers Verfassungsgeschichte - am 9. März 1848 Karl Georg Hoffmann zum badischen Ministerpräsidenten werden (42), der in der Tat aber nur das Finanzministerium bekleidete, während die Regierung weiterhin von Johann Baptist Bekk geleitet wurde, der bereits seit dem Jahreswechsel 1846/47 im Amt war. Als typisches Beispiel für die Einsetzung einer Märzregierung unter dem Druck der revolutionären Unruhen taugen die Vorgänge in Baden also nicht, wie man wohl auch generell eine "kraft- und ratlose Resignation der Obrigkeit" (42) im Großherzogtum nicht konstatieren kann. In Wolfgang von Hippels neuer Gesamtdarstellung der Revolution in Baden, die auch Müller in seiner Bibliografie mit lobenden Attributen bedenkt, wird zumindest ein differenzierteres Bild von den Vorgängen im März gezeichnet.
Der Schilderung der Anfangsphase der Revolution in Baden folgen im zweiten Hauptteil mit dem Titel "Die Revolution im Deutschen Bund" kurze Zusammenfassungen der Ereignisse in Preußen und Österreich, ein Überblick über die Vorgeschichte der Frankfurter Nationalversammlung sowie ein kurzes Kapitel über die "elementare" Revolution, in dem vor allem die Agrarunruhen vom März 1848 behandelt werden. Der dritte Hauptteil (69-110) beschäftigt sich mit der "Institutionalisierung der Revolutionen im Sommer und Herbst 1848", das heißt mit der Bildung einer revolutionären Öffentlichkeit (Presse, Versammlungen, Vereine), der Zusammensetzung und den Konsolidierungsbemühungen der Frankfurter Nationalversammlung sowie der weiteren Entwicklung in den Einzelstaaten. Müller konzentriert sich dabei auf die wesentlichen Probleme und argumentiert stringent; allerdings setzt sich auch in diesem Abschnitt die Reihe kleinerer Nachlässigkeiten fort: Dass Erzherzog Johann "schon früh eine Leidenschaft für die Alpen" entwickelte (76), ist in Anbetracht des knappen Raumes sicherlich eine entbehrliche Information; das Attribut "lockere [...] Fraktionen" (89) trifft auf die politischen Gruppierungen in der Paulskirche nicht zu, da sie sich eine durchaus strenge Fraktionsdisziplin auferlegten, und Arnold Duckwitz, der Handelsminister des Frankfurter Reichsministeriums, ist doch wohl eher dem rechten als dem "linken Zentrum" (93) zuzuordnen.
Der vierte Hauptteil (111-141) zeichnet den Gang der Ereignisse von der Frankfurter Septemberkrise und der Gegenrevolution in Preußen und Österreich bis zur Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne nach, wobei das Scheitern des Frankfurter Reichsgründungsversuchs und die Handlungen der einzelstaatlichen Regierungen ganz im Mittelpunkt stehen. Es gibt gute Gründe, diese traditionelle politikgeschichtliche Perspektive einzunehmen, die Müller jedoch in seiner Schlussbetrachtung selbst beiseite schiebt, indem er seinem Band, der nach seiner Gliederung und der Schwerpunktsetzung auch vor ein oder zwei Jahrzehnten geschrieben worden sein könnte, nun doch noch ein modernes Antlitz zu geben versucht und erklärt, dass "das Gesamtphänomen der Revolutionen von 1848/49 [...] weniger bürgerlich-elitär, weniger liberal, national und parlamentarisch" war "als lange angenommen" (143). So rückt er auch in seinem Fazit von der "Frage nach dem Mißerfolg eines bürgerlichen Projekts ab", obwohl dieses Projekt doch eigentlich im Zentrum seiner Ausführungen stand, und richtet den Blick stattdessen auf die "Tatsache eines tiefgreifenden und umfassenden Wandels, eines bis dahin beispiellosen Politisierungs-, Mobilisierungs- und Kommunikationsprozesses" (143), der die stärkste Wirkung der Revolution von 1848/49 gewesen sei.
Während Müller die neueren Forschungstrends - die Aufspaltung der Revolution in viele Revolutionen und die Abkehr von der bürgerlich-liberalen, parlamentarischen und nationalstaatlichen Perspektive - eher punktuell berücksichtigt und sich ihnen nur quasi nachträglich im Schlusswort verpflichtet erklärt, nimmt Rüdiger Hachtmann den Perspektivenwechsel und die Perspektivenvielfalt der jüngeren Forschung ernst und legt nicht nur ein neues, sondern auch ein neugestaltendes Revolutionshandbuch vor. Wie Müller begnügt auch Hachtmann sich mit eng begrenztem Raum: Ein Anmerkungsapparat fehlt, aber zumindest werden im Text Literaturhinweise gegeben, die "einen Leitfaden durch den Dschungel der Forschung bieten" (8) sollen. Das Literaturverzeichnis umfasst mehr als 600 Titel; ein knapp 20seitiger tabellarischer Anhang zu den Trägerschichten der Revolution gibt Zeugnis von den sozialgeschichtlichen Interessen Hachtmanns.
Auf einem durchweg hohen Reflektionsniveau präsentiert Hachtmann in sechs Kapiteln, die durch jeweils zwei einleitende und bilanzierende Kapitel umrahmt sind, ein weites Panorama der Revolution von 1848/49. Dabei behandelt er die Ereignisgeschichte unter Berücksichtigung des europäischen Kontextes auf recht knappem Raume (43-69) - ob er damit den Erwartungen, mit denen uninformierte Leser ein einführendes Werk zur Hand nehmen, gerecht wird, erscheint fraglich.
Eines der Kernstücke ist der Abschnitt über "Bühnen und Akteure" (70-123), in dem die verschiedenen Handlungsebenen und Träger der Revolution vorgestellt werden: neben Parlamenten und Parteien auch die Revolution auf der Straße, die Politisierung der Konfessionen, die Arbeiterbewegung, die Agrarrevolten, der Adel, der "alltägliche Konservativismus" sowie, gleichsam als Beleg dafür, dass die neuere Forschung die Revolution als gesamtgesellschaftliches Phänomen wahrzunehmen bemüht ist, auch die "städtischen Revolutionsbühnen abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit" (106-109). Darunter subsumiert Hachtmann so disparate Dinge wie Salons, Freimaurerbewegung oder Arbeits- und Zuchthäuser. Drei weiteren Themenkomplexen, die ebenfalls in der jüngsten Revolutionshistoriographie stark beachtet wurden, und die unter dem Etikett der "Bühnen und Akteure" hätten vorgestellt werden können, ist an späterer Stelle ein separates Kapitel gewidmet: der Stellung und dem Verhalten der Juden, der Frauen und der Jugend in der Revolution (145-167, "Minderheiten und Mehrheiten - Emanzipation und Ressentiments").
Zwei weitere Kapitel behandeln zentrale Aspekte: Das erste, "Bürgerwehr, Armee und Polizei" (124-132), erläutert die Frage des staatlichen Gewaltmonopols, das in der Anfangsphase der Revolution durch die Ausbreitung der Bürgerwehren bedroht und im Zuge der Gegenrevolution mit neuen Instrumenten - Hachtmann sieht in dem Jahr 1848 einen "Meilenstein auf dem Weg zu einem modernen Polizeiwesen" (131f.) - befestigt wurde; ein zweites, "Nation und Nationalismus" (133-144), untersucht die verschiedenen Konzepte, die entwickelt wurden, um den künftigen deutschen Nationalstaat zu definieren. Ein weiteres Kapitel, "Sprachen und Symbole, moderne und traditionelle Kommunikationsstrukturen" (168-173), geht schließlich der Frage nach, wie sich der Revolutionsbegriff 1848/49 veränderte, welche Codes politische und soziale Teilgruppen benutzten und welche Bedeutung Gerüchten zukam.
Während Müller in seinem Revolutionshandbuch mit dem Ende der Revolution in Baden abbricht und in seinen kurzen Schlussbetrachtungen die Bedeutung der Revolution allenfalls skizziert, zieht Hachtmann eine ausführliche Bilanz (174-202), in der er nach den Gründen des Scheiterns fragt, Gewinner und Verlierer der Revolution benennt, Auswanderung und Exil als Revolutionsfolgen schildert, einen Ausblick auf die Reaktionsära gibt sowie das Scheitern der Revolution im größeren Kontext der neueren deutschen Geschichte erörtert.
Vergleicht man beide Bücher, so sind die Unterschiede eklatant: Müllers Einführung ist ein traditionelles Handbuch, das den Ansprüchen der Reihe - nämlich eine erste Begegnung mit dem Thema zu ermöglichen - trotz mancher Mängel sicherlich gerecht wird und für den avisierten Leserkreis (Schüler, Studierende und allgemein historisch Interessierte) vielleicht sogar leichter zugänglich ist als das ambitionierte und überaus informative Handbuch von Hachtmann, der auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands ein facettenreiches Revolutionsbild zeichnet. Dabei konfrontiert er den Leser aber mit dem Dilemma, das sich durch die Flut der neueren Arbeiten ergeben hat: Es besteht keine Einigkeit mehr über die Priorität der Perspektiven des Revolutionsgeschehens, und deshalb werden viele Dinge gleichgewichtig behandelt - etwa der Grundrechtskatalog der Frankfurter Reichsverfassung (85f.) auf ebenso knappem Raum wie die von der Revolution scheinbar unberührten "Zonen der politischen Stille" (118-120) -, obwohl sie doch vielleicht nicht gleichgewichtig sind.
Frank Engehausen