Axel Bayer: Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054 (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 53), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 274 S., ISBN 978-3-412-03202-9, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hermannus Jakobs (Hg.): Germania Pontificia sive Repertorium Privilegiorum et Litterarum a Romanis Pontificibus ante annum MCLXXXXVIII. Vol. V/2: Provincia Maguntinensis. Pars VI: Dioeceses Hildeesheimenses et Halberstadensis. Appendix Saxonia, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005
Wolfgang Huschner: Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomatische, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen Reich (9.-11. Jahrhundert), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2003
Mary Stroll: Calixtus II (1119-1124). A Pope Born to Rule, Leiden / Boston: Brill 2004
Die vorliegende Arbeit ist eine im Sommersemester 2000 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation, die von Odilo Engels betreut wurde. Die zentrale Frage der Arbeit ist, ob die Ereignisse von 1054 tatsächlich ein Schisma begründeten. Handelt es sich bei diesem Datum um das Ende einer bereits länger anhaltenden Verstimmung, den Beginn eines tatsächlichen Schismas, oder ist 1054 lediglich ein weiterer Akt der Entfremdung zwischen den beiden Kirchen, der lediglich in der Retrospektive zu einem einschneidenden Ereignis wurde?
Um dieser Frage nachzugehen, stellt Bayer die Beziehungen der byzantinischen und lateinischen Kirche zueinander von der Ottonenzeit bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts dar und bettet das Ereignis somit in die historische Entwicklung ein. Zumal für den ersten Abschnitt des von ihm behandelten Zeitraums betont Bayer die Bedeutung politischer Ereignisse für ausgebrochene Konflikte. Dabei setzt er sich intensiv mit den Thesen von Anton Michel [1] zu einem angeblichen Schisma unter Sergius IV. (1009-12) auseinander, die sich zum Teil auch noch heute in Handbüchern und einschlägigen Lexika finden (vergleiche Theologische Realenzyklopädie). Bayer legt dar, dass es seit der Kaiserkrönung Ottos I. zwischen den Päpsten und dem byzantinischen Kaiser "ausschließlich aus politischen und kirchenpolitischen Gründen zu Spannungen kam" (35). Die gegenseitige Kommemoration der östlichen Patriarchen und des Papstes belege aber den kirchlichen Einklang, der zu dieser Zeit noch geherrscht habe (36). Die süditalienische Politik der Tuskulanerpäpste, die im Einvernehmen mit den ottonischen Herrschern stand, hat hier jedoch sicherlich zu einer Entfremdung zwischen den Päpsten und Byzanz geführt, wie Bayer betont (45). Der Beginn der salischen Epoche scheint eine erneute Annäherung gebracht zu haben, wobei sich Bayer hier besonders auf den Bericht des Rudolf Glaber stützt.
Den umfangreichsten Abschnitt der Arbeit bildet, wie zu erwarten, das Kapitel "Die Auseinandersetzungen von 1053/54" (63-106). Das entscheidende Novum bei diesen Auseinandersetzungen zwischen der griechischen und der lateinischen Kirche war der veränderte Primatsanspruch der Reformpäpste und der ebenfalls vonseiten des Patriarchen von Konstantinopel gesteigerte Anspruch auf eine Vorherrschaft innerhalb der griechischen Kirche, der in der Unterstellung des Patriarchen von Antiochia und der Kirche des Kiever Reiches seinen Ausdruck fand (47 f.). Hier geht Bayer auf die Zentralisierungsbemühungen Leos IX. (1049-54) ein, die er an der Absetzung des Bischofs von Compostella während der Reimser Synode von 1049 veranschaulicht, wobei die neue Ausgabe der historia dedicationis zu zitieren gewesen wäre.[2] Insgesamt wäre ein tieferes Eingehen auf die ekklesiologischen Vorstellungen dieses Papstes zur Bewertung der Ereignisse von 1053/54 wünschenswert gewesen. Auch bleibt die zu diesen Fragen einschlägige Arbeit von Petruzzi unberücksichtigt.[3] Parallel zu dieser strukturell bedingten Konkurrenz und den daraus entstehenden Streitigkeiten betont Bayer auch sehr individuelle Einflüsse auf das konkrete historische Geschehen. Michael Kerularios, der Patriarch von Konstantinopel, ist der Hauptakteur der Ereignisse von 1054. Er sah seine Position am Hof 1053/54 durch Argyros gefährdet, einen byzantinischen Feldherrn in Unteritalien. Argyros strebte gegen die Normannen ein Bündnis mit Leo IX. an, der in Unteritalien die Interessen Heinrichs III. vertrat. Um einen möglichen Erfolg des Argyros zu verhindern, versuchte der Patriarch, das byzantinische Bündnis mit dem Papst zu hintertreiben. Den Beginn der Auseinandersetzungen bilden dabei nicht Streitigkeiten um den päpstlichen Primatsanspruch, sondern der Ayzmenstreit, die Frage, ob bei der Eucharistiefeier gesäuertes oder ungesäuertes Brot (Ayzmen) verwendet werden dürfe. Bayer macht plausibel, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der Patriarch von Konstantinopel die treibende Kraft in den Auseinandersetzungen war, und bestätigt die bisherigen Forschungsergebnisse, dass Kerularios auch der Urheber der Streitschrift des Erzbischof Leon von Ochrid zum Azymenstreit gewesen sein dürfte (69-72). Bei der Analyse der gegenseitigen Bannung stellt Bayer klar heraus, dass es nicht zu einer Bannung der griechischen Kirche kam, sondern lediglich des Patriarchen Michael Kerularios und des Leonid von Ochrid. Der Kaiser, der der Bannung offenbar zugestimmt hatte, und die Einwohner der Stadt Konstantinopel werden als rechtgläubig angesehen (98). Zumal die Schwäche des byzantinischen Kaisers dem Kerularios erlaubte, die Bannbulle als gegen die gesamte griechische Kirche gerichtet zu interpretieren, auf dieser Grundlage einen Volksaufstand zu entfachen und schließlich die Gegenbannung durch den Patriarchen vom Kaiser genehmigen zu lassen (106).
Bayer stellt klar heraus, dass die gegenseitige Bannung von 1054 im Bewusstsein der beiden Kirchen in den darauf folgenden Jahren nicht als einschneidendes Moment gedeutet wurde. Zumal von lateinischer Seite spielte das Datum 1054 für das Schisma keine Rolle (109). Zwar sei allen Zeitgenossen klar gewesen, dass "unbestritten jedenfalls eine religiöse Verstimmung vorlag" (116), doch habe man diese nicht als Schisma gewertet.
Der weitere Verlauf der Studie widmet sich der folgenden Entwicklung der Beziehungen zwischen den Päpsten und der griechischen Kirche. So untersucht Bayer die mehrfachen Vermittlungsversuche von beiden Seiten. In den Annäherungsversuchen der Byzantiner an den Gegenpapst Honorius II. (1061-64) und den Kontakten des Patriarchen Leichudes zu Alexander II. (1061-73) sieht Bayer den Beleg für eine erneute Annäherungspolitik zwischen West und Ost in den 60er-Jahren des 11. Jahrhunderts (125-136). Der Byzanzpolitik Gregors VII. (1073-85) ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem der "Orientplan" dieses Papstes selbstverständlich eine wichtige Rolle spielt, wobei auch der dictatus papae (Greg. VII Reg. II 55a) "als zusätzliche Quelle für die päpstlich-byzantinischen Gespräche" herangezogen wurde. Die weitere Entwicklung bis zum Ende des 11. Jahrhunderts zeichnet Bayer als von Vermittlungsbemühungen geprägte Epoche, die ihren Höhepunkt im Einigungsversuch Urbans II. (1088-99) erreichte (154-164).
Erst der erste Kreuzzug und die daraus entstandenen lateinischen Herrschaften führten schließlich zu ernsthaften Spannungen, die die Entfremdung der beiden Kirchen wesentlich vorantrieben. Die Errichtung lateinischer Patriarchate in Jerusalem und Antiochia bildete hier einen entscheidenden Einschnitt und fungierten bei der Konfliktsteigerung als Katalysator. Den unüberwindbaren Bruch bildete nach Bayer aber erst die Eroberung Konstantinopels auf dem vierten Kreuzzug im Jahre 1204 und die danach errichtete lateinische Herrschaft über die Stadt am Bosporus, die eine unüberwindbare Kluft zwischen Griechen und Lateinern schuf (210), die aber kein expliziter Untersuchungsgegenstand der Studie sind. Doch zumal aus der Perspektive der Ereignisse des 13. Jahrhunderts findet Bayers Wertung des Schismas eine Bestätigung: "Das Morgenländische Schisma war in erster Linie nicht ekklesiologischer oder religiöser Natur, sondern die Auswirkung politischer Rivalitäten" (209).
Es folgt ein Anhang über die Azymenkontroverse (214-221), ein umfangreiches Literaturverzeichnis (227-264) sowie ein Orts- und Personenregister (265-274).
Insgesamt stellt die Untersuchung die bisherige Forschung zusammen und bietet so einen guten Überblick über die sich schrittweise entwickelnde Entfremdung beider Kirchen, bei der die Ereignisse von 1054 nur ein Schritt unter vielen waren.
Anmerkungen:
[1] Anton Michel: Humbert und Kerullarios. Quellen und Studien zum Schisma des XI. Jahrhunderts, 2 Bde. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 21 u. 23), Paderborn 1924/30.
[2] Jacques Hourlier (Hg.): Anselmi Remensis historia dedicationis ecclesiae sancti Remigii, in: Contribution à l'année Saint Benôit (480-1980); La Champagne bénédictine (Travaux de l'Académie Nationale de Reims, 160), Reims 1981, 179-297.
[3] Enzo Petruzzi: Ecclesiologia e politica di Leone IX, Roma 1977, der in seiner Arbeit dem Schisma und den Auseinandersetzungen zwischen Leo IX. und Michael Kerularios immerhin über 60 Seiten widmet.
Jochen Johrendt