Lene Rubinstein: Litigation and Cooperation. Supporting Speakers in the Courts of Classical Athens (= Historia. Einzelschriften; Bd. 147), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, 296 S., ISBN 978-3-515-07757-6, EUR 63,00
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Rubinstein beschäftigt sich in ihrer Monografie "Litigation and Cooperation. Supporting Speakers in the Courts of Classical Athens" mit einem Phänomen der Rechtsgeschichte des klassischen Athen, welches zwar in vielen Untersuchungen Erwähnung findet, das bislang aber noch nicht eingehend eruiert worden ist: den "synegoroi", das heißt 'Mitrednern', die neben dem Kläger oder dem Beklagten in Gerichtsprozessen als Redner auftreten konnten.
Rubinstein gibt zunächst einen Überblick über die bisherige Forschung und hinterfragt dabei, warum dem Sujet bis dato so wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Sie arbeitet heraus, dass die meisten Autoren den "synegoros" lediglich als eine Randerscheinung des athenischen Gerichtswesens betrachten, indem sie ihn entweder für einen 'Spezialfall' des Zeugen halten und in dem Kontext kurz beleuchten, oder ihn als einen 'Sachverständigen' begreifen, den sie im Zusammenhang mit den Logographen kurz zur Sprache bringen. Insgesamt lässt sich nach Rubinsteins Beobachtung in weiten Teilen der Forschung eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Phänomen beobachten, die darauf beruht, dass es mit den Prinzipien der attischen Demokratie nicht ohne weiteres vereinbar ist. Im Besonderen scheint es der Forderung zuwiderzulaufen, dass jeder Bürger seine Sache vor Gericht selbst vertreten musste. Einige Autoren wittern hier gar einen Ansatz zur 'Professionalisierung' des Rechtswesens. Zudem lässt sich die "synegoria" mit der aktuell dominierenden Auffassung nur schwer vereinbaren, dass die Gerichtsprozesse im klassischen Athen als 'Agone' aufzufassen seien, bei denen jeweils nur zwei Bürger (vorzugsweise Angehörige der sozialen Elite) miteinander stritten und um Ehre wetteiferten.
Rubinstein nun gelangt durch Auswertung der Gerichtsreden des 4. Jahrhunderts zu der Einschätzung, dass die "synegoroi" keineswegs als Ausnahmeerscheinung zu betrachten seien, da sie in zahlreichen öffentlichen und auch einigen privaten Prozessen nachgewiesen werden können. Sie zeigt überdies, dass deren Rolle weit über die eines Zeugen hinausging, indem sie umfangreiche Redebeiträge leisteten, die sich formal und inhaltlich kaum von denen der Hauptakteure unterschieden. Sie bemerkt völlig zu Recht, dass in einigen Fällen "synegoroi" gar die 'Hauptreden' gehalten haben - man denke etwa an die 'Kranzrede' des Demosthenes.
Ähnlich wie schon Lavency oder Wolff [1] betont sie, dass dies nicht mit einer Professionalisierung des Gerichtswesens einhergegangen sei - so hingegen besonders Bonner [2] -, denn die 'Mitredner' agierten nirgendwo anstelle des Klägers oder Beklagten, sondern hielten stets nur 'zusätzliche' Reden. Sie traten also nicht als Repräsentanten der Hauptpersonen auf. Als 'Adovaten' lassen sie sich in keinem Fall begreifen. In den Quellen werden sie auch nicht als 'Rechtsexperten' dargestellt; es gibt sogar Belege dafür, dass auch sie die Dienste von Logographen in Anspruch genommen haben. Ausdrücklich weist Rubinstein auf den wichtigen Umstand hin, dass die Bezahlung von "synegoroi" bei hoher Strafe untersagt war.
Schwieriger als der Umgang mit der 'Professionalisierungsthese' gestaltet sich die Auseinandersetzung mit der Auffassung, 'Mitredner', die eine zentrale Rolle im Prozess gespielt hätten, seien mit der vorherrschenden Auffassung vom gerichtlichen Agon nicht vereinbar. Rubinstein setzt sich hier nicht zum Ziel, eine grundsätzlich neue These zu gerichtlichen Konflikten zu entwickeln, sondern tritt für eine Modifizierung der bisherigen ein: Statt einzelner "politai" hätten auch 'Gruppen' vor Gericht als Redner auftreten können, ohne dass damit notwendig eine qualitative Veränderung der gerichtlichen Auseinandersetzung verbunden gewesen sei.
Rubinstein macht derartige 'Gruppen' nicht nur aufseiten der Verteidigung, sondern auch bei den Klägern aus. Wie die Gruppierungen beschaffen waren, ist nicht leicht zu sagen. Rubinstein nimmt an, dass persönliche Beziehungen hier von Bedeutung sein konnten; beispielsweise ist bekannt, dass auch Verwandte von Beklagten als "synegoroi" agiert haben. Allerdings scheint die Vertrautheit mit dem Angeklagten nicht so zentral gewesen zu sein wie etwa beim Zeugen, der sich zum "ethos" der Person zu äußern hatte. Rubinstein beobachtet, dass die "synegoroi" ihren Auftritt zumindest nicht mit guter persönlicher Bekanntheit begründen mussten, sondern etwa auch damit argumentieren konnten, dass sie über spezielle Sachinformationen verfügten.
Eine formale Kontrolle der "synegoroi" scheint es nicht gegeben zu haben. Die Richter hatten aber faktisch die Möglichkeit, sie durch 'Lärm' (thorybos) zum Schweigen zu bringen. Das Gericht konnte wohl auch entscheiden, ob es 'Mitredner' überhaupt zulassen wollte. Die "synegoroi" waren anders als Zeugen nicht direkt zu belangen, wenn sie die Unwahrheit sagten. Die Bürgerschaft hatte allerdings Einfluss auf ihre Bestellung, da sie nicht von den Parteien direkt benannt, sondern von der Phyle des Klägers oder Angeklagten (wohl nicht vom Demos) gewählt wurden. Inwieweit dabei unabhängig von persönlichen Bindungen entschieden wurde und ob mit diesem Modus das Auftreten fester 'Gruppen' (Hetairien oder Ähnliche) verhindert werden konnte, bleibt zu fragen.
Rubinstein arbeitet heraus, dass es sich bei der "synegoria" um eine - gemessen an den Prinzipien der Demokratie - höchst ambivalente Einrichtung handelte: Sie minderte zum einen das Risiko, in einem öffentlichen Prozess aufseiten der Anklage aufzutreten. Man konnte auf diese Weise als Redner agieren, ohne die Klage initiieren und sich entsprechend persönlich gefährden zu müssen. Dies mochte geeignet sein, Bürger zu motivieren, Prozesse anzustrengen, die faktisch die Integration der sozialen Elite förderten. Auf der anderen Seite barg die Institution auch Gefahren: Sie erleichterte es Angehörigen der Oberschicht, bezahlte Strohmänner (etwa Sykophanten) als Kläger einzusetzen und selbst ohne nennenswertes persönliches Risiko als "synegoroi" aufzutreten. Damit konnten sie sich in entscheidender Weise der Kontrolle durch die Bürgerschaft entziehen.
Rubinstein hat eine differenzierte Untersuchung vorgelegt, die viele gut begründete Thesen enthält. Wo sie mit Hypothesen arbeitet - was aufgrund der Überlieferungslage nicht vollständig zu vermeiden ist -, verhält sie sich sehr umsichtig. Sie scheut sich auch nicht, die Grenzen aufzuzeigen, die sich bei der Erforschung dieses Gegenstandes ergeben. So verschweigt sie nicht, dass sich kaum Aussagen darüber treffen lassen, ob es sich beim Auftreten von 'Mitrednern' in öffentlichen Prozessen wirklich um die Regel handelte und ob dieses Phänomen de facto Auswirkungen auf das politische Leben der attischen Demokratie hatte.
Weiterführen ließe sich die Untersuchung etwa noch, indem man die Wahrnehmung der Athener stärker berücksichtigte, als Rubinstein es tut. Beispielsweise bei der zentralen Frage, inwieweit die "synegoria" mit der politischen Ordnung der Athener in Einklang stand, könnten neben den gängigen Modellen der Forschung auch die entsprechenden Reflexionen der Athener selbst herangezogen werden, um zu einer adäquaten Einschätzung des Phänomens zu gelangen.
Anmerkungen:
[1] M. Lavency: Aspects de la logographie judiciaire attique, Louvain 1964, 84-94; H.-J. Wolff: Demosthenes als Advokat. Funktionen und Methoden des Prozeßpraktikers im klassischen Athen, Berlin 1968, besonders 11 f.
[2] R.J. Bonner: Lawyers and Litigants in Ancient Athens. The Genesis of a Legal Profession, Chicago 1927.
Karen Piepenbrink