Rezension über:

Cornelia Jöchner (Hg.): Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte. Studien, Theorien, Quellen; Bd. 2), Berlin: Akademie Verlag 2003, 208 S., ISBN 978-3-05-003774-5, EUR 34,80
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Rezension von:
Tanja Michalsky
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Tanja Michalsky: Rezension von: Cornelia Jöchner (Hg.): Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit, Berlin: Akademie Verlag 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/3764.html


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Cornelia Jöchner (Hg.): Politische Räume

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Der "spatial turn" ist zwar längst ausgerufen, seiner Umsetzung in Forschungsergebnisse kann man jedoch derzeit noch zusehen. Einen beachtlichen Beitrag dazu liefert der von Cornelia Jöchner herausgegebene Band über "Politische Räume", in dem Literaturwissenschaftler, Historiker und Kunsthistoriker an historischen Fallbeispielen die politische Dimension der Konstitution von Räumen aufzeigen. Trotz der Bandbreite von Themen, die von Idealstadtentwürfen der Renaissance bis zur Kartierung im 20. Jahrhundert reichen, lassen sich die methodische Ausrichtung der Beiträge und ihre Prämissen folgendermaßen fassen:

Raum ist nicht einfach gegeben, sondern er wird geschaffen. Er unterliegt deshalb ständigem Wandel. Raum ist ein Beziehungsgefüge, ein Substrat gesellschaftlicher und kultureller Praxis. Er wird in konkreten Situationen konstituiert und in verschiedenen Medien - von der Stadtplanung und Architektur bis zur Kriegsberichterstattung, Volkszählung, Kartierung, oder schriftlichen Entwürfen - je neu geschaffen und nicht nur gestaltet. Das Thema des 'politischen Raumes' weiter eingrenzend wurde der Fokus auf "Stadt und Land" gelegt, da sich in deren Planung, Gestaltung, Darstellung und Wahrnehmung sowohl das Innen und Außen von begrenzten Räumen verhandeln lässt als auch die symbolische Ordnung verschiedener Herrschafts- und Staatsformen.

Die Beiträge sind so gut aufeinander abgestimmt, dass die wichtigsten Beobachtungen und Ergebnisse hier thematisch zusammengestellt werden können. Um einer ahistorischen Verbindung von Raum und Politik vorzubeugen, wird mehrfach betont, dass der heute geläufige Konnex von Nation beziehungsweise Staat und Raum sich erst in der Neuzeit herausgebildet hat, dass das Prinzip, demzufolge der Staat sich über sein Territorium definiert, relativ jung ist. Marcus Sandel erinnert an die Organisationsform des politischen (symbolischen) Raumes über personale Abhängigkeitsverhältnisse im Reich, wo ein Untertan am gleichen Ort mehreren Herren dienen konnte. Cornelia Jöchner bezeichnet das frühneuzeitliche Territorium als "'Orte'-Raum", der sich aus mehreren symbolisch besetzten Orten zusammensetzt. Wie sie an den im 'Theatrum Sabaudiae' ausgewählten Orten deutlich machen kann, dienten diese ihrerseits der Repräsentation einzelner Landesherren oder Dynastien. Wolfgang Schäffner zeigt an den Befestigungsbauten der Kolonialmächte, wie das weltumspannende Netzwerk von Politik und Handel sich an kleinen Orten bündelte, also ein Diagramm den Raum bildete. Die architektonische Gestalt der Festungsanlagen musste sich neuen militärischen Standards anpassen und war daher recht einheitlich. Ihre Verteilung über die Kontinente hinweg schuf aber dennoch klar definierte räumliche und politische Beziehungen, die mit einer spezifischen Regierungstechnik einhergingen.

Wie eng politisches Konzept und Visualisierung von historischen Orten zusammenhingen, macht auch der Beitrag von Karsten Müller zur Darstellung von Stadt und Land in der Druckgrafik aus den niederländischen Unabhängigkeitskriegen deutlich. Anhand von Belagerungs- und Gefechts-, Nachrichten- und Situationsplänen sowie Stadtansichten und allegorischen Collagen mehrerer Stiche wird klar, wie Kriegsschauplätze in und vor den Mauern als Orte nationaler Geschichte erinnert werden und so dem nationalen Raum seine Facetten verleihen. Grenzüberschreitungen der Spanier und der holländische Wunschraum des friedlichen Gartens markieren die Pole einer Raumvorstellung, mit der aus dem Chaos des verwüsteten Landes heraus eine Nation konstruiert werden kann. Die strenge Ordnung der Bildräume exemplifiziert dabei die dem politischen Raum eingeschriebene Symbolik.

Im wahrsten Sinne plastisch wird die Bedeutung eines Bildes für die nationale Identifikation am Beispiel der ersten umfassenden, im 19. Jahrhundert erstellten Schweiz-Karte - eine Anstrengung, die gegen Einwände einzelner Kantone unter einem beträchtlichen Verwaltungsaufwand unternommen wurde, der seinerseits zu einer Zusammenführung der bis dato auf Unabhängigkeit pochenden Gruppierungen führte. "Berge von Papier" (so der Titel des Beitrages von Daniel Speich) türmten sich auf Schreibtischen und stützten die (spezifisch moderne) nationale Identität, die nun auf der räumlichen Vorstellung des eigenen Landes gründen konnte.

Ein weiteres Hauptanliegen des Bandes ist die Differenzierung von symbolischer Ordnung und politischem Raum in der Anlage von Städten. Wolfgang Neuber stellt die von Herrschaftsvorstellungen und -strategien geprägten Raumvorstellungen in Idealstadtentwürfen und Utopien von Alberti bis Burton vor. Bezeichnend ist ihm zufolge der Wandel von einer den Raum sichtbar nach innen (die Stadt) und nach außen (das Territorium) beherrschenden, zentral angeordneten Architektur wie dem Florentiner Dom hin zu einem Idealstaat, dessen ökonomische Ausdifferenzierung die Machtverhältnisse unanschaulich werden lässt. Im Gang durch die diversen Modelle eines nach innen definierten monarchisch geprägten Stadtbildes bei Dürer und einer egalitären Variante bei Morus, sowie dem Abbild des Kosmos bei Andreae sieht er im Sinnlichkeitsverlust des politischen Körpers, der sich im Raum manifestiert, das "wichtigste Moment der Moderne". Kurz: der neuzeitliche politische Raum ist in seiner Symbolhaftigkeit unanschaulicher geworden - an Macht hat er nichts eingebüßt.

Die Stadtplaner beziehungsweise ihre Auftraggeber gingen bald subtilere Wege, um Stadt und Land mit neuen Zeichen zu besetzen. Ein konkret greifbares Indiz für ein gewandeltes Verhältnis von Stadt und Land ist die Entfestigung der Städte, mit der eine neue städtische Raumordnung einhergeht, die - wie in Kassel - dem Landgrafen Friedrich II. zwar noch auf dem zentralen Platz ein Denkmal zubilligt, die aber die Blickmacht in die Landschaft und auf das Schloss an die Bürger der Stadt übergeben hat (Katrin Bek). In Turin bezieht sich die im Osten weit außerhalb auf dem Berg gelegene Kirche Santa Maria della Natività als Grablege der Savoyer und Erinnerungsmal an den Sieg über die Franzosen in einem weiträumigen Achsensystem sowohl auf die französische Grenze als auch auf die Stadt selbst - und der geschichtsträchtige Ort wird hier in ein vom Stadtbesucher erlebbares räumliches Gefüge verwandelt (Cornelia Jöchner).

Dass Städte ihre Gestalt letztlich einer ganzen Reihe von Faktoren zu verdanken haben und Städteplaner sich mit politischen Vorgaben auch an natürlichen Begebenheiten orientieren mussten, zeigt das Beispiel von Bremerhaven. Mascha Bisping arbeitet im Vergleich der nie ausgeführten schwedischen Pläne aus dem 17. Jahrhundert und der später verwirklichten Anlage eines flexiblen Planraums im Anschluss an Bremen das Wechselverhältnis von Topografie und deren konkreter politischer Interpretation heraus.

Dass Karten ein besonders potentes Medium sind, um politische Räume abzubilden, nimmt nicht weiter Wunder. Umso aussagekräftiger ist ihre im Lauf der Zeit doch stark gewandelte Sprache. Für die moderne, mit dem nationalen Territorium verbundene Vorstellung steht - wie erwähnt - die Karte der Schweiz. Martin Warnke zeigt in einem kurzen Gang durch Schlachtdarstellungen vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, wie der Raum von Bewegung erfasst wird. Noch im 18. Jahrhundert herrscht die statische, geometrisch überformte Darstellung in Absehung vom tatsächlichen Gelände vor. Sie wird dann von weniger konventionellen Zeichnungen abgelöst, die nun auch die topografischen Bedingungen in die Strategie einbeziehen. Die Karten des Zweiten Weltkrieges rücken darüber hinaus die Truppenbewegung durch Pfeile in den Vordergrund und nehmen gleichzeitig die Bedrohung durch den Feind in die Symbolsprache auf.

Das von Wolfgang Kemp beigefügte "Fundstück" - die Zusammenfassung einer Architekturübung Panofskys (1931) - zeigt schließlich den Konnex von architektonischer Praxis und kunstwissenschaftlicher Theorie. Der Text überliefert trotz des strengen stilgeschichtlichen Gerüstes nämlich auch die "Ausschweifung" über "translucide Fassaden moderner 'Nachtarchitektur'", die den sozialen Raum verändert haben.

Tanja Michalsky