Michael North (Hg.): Kunstsammeln und Geschmack im 18. Jahrhundert (= Aufklärung und Europa. Schriftenreihe des Forschungszentrums Europäische Aufklärung e.V.; Bd. 8), Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2002, 241 S., ISBN 978-3-8305-0312-5, EUR 28,00
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"So nahm ich den Wert der italienischen Meister mehr auf Treu und Glauben an, als dass ich mir eine Einsicht in denselben hätte anmaßen können." Dass Goethe bei seinem Besuch der Dresdner Gemäldegalerie die Italiener nicht schätzen konnte, lag daran, dass er an die niederländische Malerei gewöhnt war, die in den Frankfurter Kunstsammlungen seiner Zeit vorherrschte. Mit dem Aufleben des deutschen Kunsthandels nach dem Siebenjährigen Krieg und einem gesteigerten Interesse des Bürgertums am Sammeln von Malerei setzte sich - etwas verzögert nach England und ungefähr zeitgleich mit Frankreich - die "Holländer"-Mode auch in deutschen Kunstsammlungen durch. Ein Grund war, dass die Gemälde aus den Niederlanden oder die Bilder lokaler, im "holländischen" Stil produzierender Maler schlichtweg billiger waren, als die bis dahin hoch geschätzten italienischen Kunstwerke. Auch waren die "niederen" oder "protestantischen" Sujets der Niederländer bei den neuen Käufern in Deutschland beliebter. Landschaften und Genreszenen dominierten nun die Bilderwände in den Privathäusern der Händler, Handwerksmeister und Gelehrten - Historien, vor allem die religiösen, wurden kaum mehr gesammelt.
Im November 2000 hatten der Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Neuzeit der Universität Greifswald und das Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam zu einem wissenschaftlichen Kolloquium geladen, das die Erforschung der oben skizzierten Situation - also des Kunsthandels und Gemäldesammelns im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts - zum Thema hatte. Für die Rezension der nun in gedruckter Form vorliegenden Tagungsbeiträge war die Autorin dieses Textes nicht die erste Wahl gewesen. Sie ahnte aber schon beim ersten Blick auf das noch geschlossene Buch, warum sich etliche Kenner der Geschichte des Sammelns vor der Besprechung gedrückt hatten - die im Vorwort erwähnte "großzügige Förderung" der Publikation reichte offenbar nicht für die Beschaffung einer akzeptablen Druckvorlage der Titelillustration, was dem Band eine ziemlich lieblose Erscheinung gibt. Daniel Chodowiecki, dessen charmante Radierung "Der Gemählde Liebhaber" unscharf und verzerrt auf dem Einband zu sehen ist, bekommt davon wahrscheinlich noch im Sarg Kopfschmerzen.
Aus dem "hässlichen Entlein" wird aber auch beim Lesen kein Schwan, denn die Redaktion der Texte ist entschieden zu kurz gekommen. Die Beiträge sind unübersichtlich: Malerschulen, Käuferschichten, Händlerbiografien laufen bunt durcheinander, die Untersuchungskoordinaten scheinen bei jedem Absatz andere zu sein, mal lokal, mal sozial, dann wieder Malsujet und -schule. Oft fehlt ein roter Faden, die Beobachtungen werden selten gebündelt und gedeutet. Da hilft es auch nicht, wenn die Texte hin und wieder, aber insgesamt unausgewogen durch nichts sagende Zwischenüberschriften wie "Sammlungen", "Maler", "Händler und Liebhaber (Connaisseurs)" gegliedert sind. Man merkt den Autoren Unsicherheit gegenüber ihren Daten an, mit denen man - so wie sie präsentiert sind - wenig anfangen kann. Ärgerlich ist, dass sich einige Beschreibungen wiederholen, ohne aufeinander bezogen zu sein, zum Beispiel wenn verschiedene Autoren die gleichen Sammlungen besprechen, wie jene des Frankfurters Johann Ludwig Ernst Morgenstern. Hier wünscht man sich eine beherzte Überarbeitung der offenbar kaum modifizierten Vortragstexte oder wenigstens einen umfassenden Namensindex, denn die billigere Variante des Künstlerindexes nützt bei einem Buch, in dem es ja auch um Sammler und Händler geht, nur bedingt.
Einen wohltuend übersichtlichen Beitrag liefert Rudolf Schlögl. Seine Ausführungen über die ästhetischen Ideale und sozialen Repräsentationsbestrebungen, wie man sie aus privaten Kunstsammlungen lesen kann, sind klar aufgebaut und verständlich. Ohne sich in Details zu verlieren, versucht er auf Grundlage von Inventaren von Gemäldenachlässen eine erste Differenzierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und ihres Geschmacks. Die deutsche Funktionselite, so stellt er fest, "verbannte die religiösen Motive fast vollständig aus ihren Sammlungen, [...] und konzentrierte sich stattdessen auf Motive, in denen Natur, Landschaft und 'gemeines Volk' dargestellt wurden. [...] Wirtschaftsbürger sammelten anders: Ihnen war es offenbar wichtig, 'Bildung' zu dokumentieren und kein ästhetisches Risiko einzugehen. Deswegen griff man zu Motiven aus der Antike" (62-63). Der Klerus blieb hingegen erwartungsgemäß dem religiösen Motiv treu, der Adel sammelte "durchschnittlich" durch alle Gattungen (62-64).
Insgesamt entwickelte sich aber zwischen den Vorlieben des Adels und des Wirtschaftsbürgertums eine Opposition, die Schlögl dahingehend deutet, dass "seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nicht mehr die Nachahmung von Vorbildern die Sammelleidenschaft" prägte, sondern eben die gesellschaftliche Distinktion (65-66). Allerdings weist schon Schlögls Beitrag das Problem auf, dass die Darstellung der quantitativen Daten in Word-Tabellen nicht die übersichtlichste ist. In Michael Norths Beitrag wird dann deutlich, dass beispielsweise die prozentuale Verteilung der verschiedenen Malgenres in einigen Hamburger Sammlungen über die Jahrzehnte hinweg in Tabellenform zu spröde ist (93). Man hätte hier besser einen die einzelnen Punkte verbindenden Graphen gewählt, der die Zahlenwerte untereinander visuell in Bezug setzt.
Das Buch wird insgesamt auch nicht lesbarer, wenn mit jedem neuen Aufsatz betont wird, wie wenig das Thema bisher untersucht worden ist. Interessanter wäre es gewesen, wenn gelegentlich reflektiert worden wäre, warum diese oder jene Untersuchung sinnvoll oder gar notwendig ist. So schreibt der Herausgeber Michael North: "Das Sammeln von Gemälden spielte in Frankfurt wie in anderen Zentren des Heiligen Römischen Reiches im 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle, die aber von der Aufklärungsforschung bisher nur wenig wahrgenommen wurde" (85). Warum sie das hätte tun sollen, erschließt sich der Rezensentin nicht. Das Buch ist vor allem ein Arbeitsbericht geworden, stellt Grundlagenforschung dar, bei der man offenbar die Anwendbarkeit der Beobachtungen so selbstverständlich findet, dass man sie nicht mehr erwähnen muss. Vielleicht sollte man lieber auf die ausführlicheren Veröffentlichungen zurückgreifen, die heute von den Autoren - über die man im übrigen in diesem Band auch nichts weiter erfährt - vorliegen. Zwar ist das Buch voller interessanter Einzelinformationen und -beobachtungen, diese fügen sich aber nur zu einem sehr grob gerasterten Bild von den Vorgängen der Geschmacksbildung im 18. Jahrhundert.
Uta Kornmeier