Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München: C.H.Beck 2003, 128 S., ISBN 978-3-406-48020-1, EUR 7,90
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An Veröffentlichungen zum Thema Globalisierung hat es in den letzten Jahren wahrlich nicht gemangelt. Aus der Flut der Publikationen ragt jetzt ein kleines Buch in der Reihe Beck-Wissen heraus, das Licht in das entstandene Dickicht unklarer Begriffe und politischer Phrasen zu bringen versucht. Die "Geschichte der Globalisierung" des Historikers und Ostasienexperten Jürgen Osterhammel und seines Konstanzer Mitarbeiters Niels P. Petersson ist geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Aufgeregtheiten der aktuellen Debatte. Sie möchten differenzieren, wo der Begriff anderswo zu "sprachlichem Imponiermaterial"(7) aufgebauscht wird. Indem sie diesen in seinen historischen Kontext setzen, bringen sie eine Perspektive ins Spiel, die in den eher tagespolitisch ausgerichteten Diskussionen bislang unterrepräsentiert war.
Osterhammel / Petersson sind skeptisch, was die Bedeutung der Globalisierung als herausragendes Signum der Zeit an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert angeht. Auf ihre Ausgangsfrage, ob sich Globalisierung als für die zeithistorische Forschung brauchbarer Entwicklungsbegriff neben den bereits etablierten wie Industrialisierung oder Urbanisierung zur Kennzeichnung der Gegenwart erweisen wird, fällt die Antwort negativ aus. Eine neue Epoche können sie in der häufig als "Zeitalter der Globalisierung" apostrophierten jüngsten Zeitgeschichte nicht erkennen. Vielmehr sei der Globalisierungsschub der 1980er- und 1990er-Jahre auf eine Welt getroffen, "für die Globalität bereits seit langem nichts besonderes mehr war"(109). Die Autoren wollen jedoch, mit diesem Befund gerüstet, keine "andere" Geschichte der Globalisierung schreiben, deren Schwerpunkt in früheren Zeitperioden angesiedelt ist. Ihr Ziel ist es vielmehr, mit dem Begriff als historischem "Suchscheinwerfer" ausgestattet, "aus der Perspektive von Globalisierung einen neuen Blick in die Vergangenheit" zu werfen (10).
Im ersten Kapitel umschreiben die Autoren den Begriff der Globalisierung. Sie definieren Globalisierung als Ausweitungs-, Verdichtungs- und Beschleunigungstendenzen im globalen Maßstab. Den Beginn der Entwicklung hin zu tatsächlich globalen Zusammenhängen in unterschiedlichen Bereichen des Lebens in allen Teilen der Erde verorten sie am Ausgang der Neuzeit. Erst um diesen Zeitpunkt herum sei durch die europäische Expansion und die Verstetigung des interkontinentalen Handels tatsächlich irreversible globale Vernetzung entstanden. Osterhammel / Petersson wollen damit freilich auch der Gefahr entgehen, die sich aus dem Zweifel an der herausragenden Bedeutung von Globalisierungstendenzen der Gegenwart ergibt: nämlich umgekehrt gleich die gesamte Entwicklung der Menschheit als linearen Anstieg der Globalität zu erzählen. Auch in der Binnenperiodisierung treffen die Autoren plausible, weil pragmatische Entscheidungen. Sie räumen ein, dass sich aus der Untersuchung unterschiedlicher Bereiche, etwa der Politik-, Wirtschafts- oder Kulturgeschichte, Verschiebungen der Periodisierung ergeben können.
Nach einem Kapitel über die "Dimensionen der Globalisierung" (Kapitel II) wird der Prozess globaler Vernetzung in fünf verschiedenen Phasen seit Beginn der Neuzeit untersucht. Dabei haben die Autoren die gesetzten Zäsuren mit großer Sorgfalt und hohem Bewusstsein für die möglichen Alternativen begründet. Bislang ist es keinem der neueren global- beziehungsweise weltgeschichtlichen Ansätze der zumeist angelsächsischen Geschichtswissenschaft gelungen, die Beiträge aus einzelnen Sparten der historischen Forschung zu einer geschlossenen Narration zu bündeln. Um dieses Dilemma zu beseitigen, so die Forderung Osterhammel / Peterssons, müsse die Geschichte der Globalisierung mehr als bislang üblich als eine Erzählung "von unten" geschrieben werden. Globalisierung müsse stärker als "der Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung" (24) konzipiert werden; dann verliere der Begriff "seinen statischen und totalisierenden Charakter" (24). Zurecht verweisen die Autoren darauf, dass ein Ansatz, der Netzwerke und Interaktionsräume statt Nationalstaaten oder Kulturräume in den Mittelpunkt stellt, weniger anfällig für den Euro- beziehungsweise Transatlantikzentrismus ist, der so viele globalgeschichtliche Erzählungen in der Vergangenheit geprägt hat. Wenn Osterhammel / Petersson sich auf die Entwicklung tatsächlich weltweiter Verflechtungen konzentrieren, gelingt es ihnen, diesen Anspruch auch selbst einzulösen.
Die Erste der fünf Phasen (Kapitel III) reicht vom Beginn der Neuzeit bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts. In ihr wurden alle Kontinente "entdeckt" und über neue Seefahrtsrouten erschlossen, Handelsbeziehungen wurden interkontinental verstetigt und eine stabile multilaterale Interdependenz im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich hergestellt. Gleichwohl war diese Vernetzung lückenhaft. Ein globales Bewusstsein habe es nur sehr begrenzt gegeben, der kulturell-technologische Demonstrationseffekt des Westens, der in späteren Phasen eine so wichtige Rolle spielte, sei kaum ins Gewicht gefallen. In einer zweiten Phase von 1750-1880 (Kapitel IV) kam es in bis dato unbekannter Dichte zum Aufbau wirtschaftlicher Verflechtung und einer Explosion des Welthandels. Erst in den letzten Jahren dieser Phase entstand jedoch eine interdependente Weltwirtschaft. Vorbild, Mittel- und Bezugspunkt des Globalisierungsprozesses in dieser Phase war Großbritannien. Für die folgende Periode von 1880-1945 (Kapitel V) streuen die Autoren Zweifel an einer Grundthese der bisherigen Globalisierungsforschung, welche die Zeitspanne in einen Abschnitt gesteigerter Globalisierung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs sowie eine Phase der De-Globalisierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs teilt. Wenn man sich nicht auf die Entwicklung der Wirtschaft beschränke, sondern die "globale Dimension von Konflikt und Kooperation" (63) betrachte, so zeichneten sich Entflechtungsprozesse innerhalb der Weltwirtschaft als bewusste Reaktion auf die Globalisierung bereits vor 1914 ab. Erstmals sei nun der Versuch unternommen worden, zielgerichtet weltwirtschaftliche Vernetzung durch nationale Politik einzuhegen. Der "Politisierung von Globalität" folgte die "Ökonomisierung der Politik"(69) als einer bedeutenden Wurzel des Imperialismus und des intensivierten Wettstreits der Nationen. Beide Weltkriege hatten, wie die Autoren zeigen, ebenfalls solche globalisierenden und de-globalisierenden Effekte. Nach 1945 (Kapitel VI) wurde der bewusste Aufbau einer globalen Weltordnung betrieben. Der Multilateralismus neuer Art, wie er sich in der Gründung des UN-Systems ausdrückte, konnte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es sich als Folge des Kalten Krieges nur um eine "halbierte Globalisierung" (86) handelte. Bis in die 1970er-Jahre wirkten vor allem die politisch-kulturelle Macht der USA, die Dekolonisation, die Ausbreitung multinationaler Konzerne, die Entwicklungspolitik, die Durchsetzung von Konsumgesellschaften oder auch ein gemeinsames Bedrohungsbewusstsein angesichts von nuklearer Bewaffnung und Umweltproblemen als globalisierende Faktoren.
Zu den originären Globalisierungserscheinungen des 20. Jahrhundert gehören aus der Sicht der Autoren vor allem politische, wirtschaftliche und soziale Krisenerfahrungen, Kriege und die Angst vor Vernichtung der Welt; andere Bereiche, vor allem die vermeintlich präzedenzlose Verdichtung weltwirtschaftlicher Verflechtung in der Gegenwart, lassen sie hingegen nicht als spezifisches Globalisierungsphänomen des 20. Jahrhundert gelten. Es habe zwar Mitte der 1970er-Jahre eine neue Phase begonnen, zu deren wesentlichen Merkmalen die Krise des Sozialstaates, die Explosion der Finanzmärkte sowie die Popularisierung und gesteigerte Reflexivität des Globalen gehörten. Als zentrale geschichtliche Erfahrung müsse Globalisierung jedoch in anderen Perioden verortet werden.
Natürlich ist es auf 113 Seiten nicht möglich, die Geschichte der Globalisierung erschöpfend zu behandeln. Umso erstaunlicher ist es, wie es Osterhammel / Petersson gelingt, eine klar strukturierte und doch an Details reiche Skizze der Entwicklung von Globalität seit Beginn der Neuzeit zu präsentieren. Als Einführung in die Materie ist das Buch deshalb sehr zu empfehlen. Ebenso kann es als Beitrag zur fachhistorischen Periodisierungsdebatte gute Dienste leisten. In jedem Fall ist den Autoren gelungen, was der Klappentext verspricht, nämlich "einem der wichtigsten Begriffe heutiger Zeitdiagnose historische Tiefenschärfe" zu verleihen.
Daniel Maul