Rezension über:

Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.): Polyvalenz und Multifunktionalität in der Emblematik. Akten des 5. Internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies. Unter Mitarbeit von Michael Waltenberger (= Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung; Bd. 65), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 2 Bde., 1023 S., ISBN 978-3-631-36137-5, EUR 115,00
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Rezension von:
Joseph Imorde
Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Imorde: Rezension von: Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.): Polyvalenz und Multifunktionalität in der Emblematik. Akten des 5. Internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies. Unter Mitarbeit von Michael Waltenberger, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/1450.html


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Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.): Polyvalenz und Multifunktionalität in der Emblematik

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Das "Emblem" ist eine theoretisch schwierige und deshalb auch praktisch umkämpfte Sache, ein wissenschaftlicher Gegenstand, bei dessen Behandlung sich ein übergreifender Konsens bis zum heutigen Tag nicht wirklich hat einstellen wollen. Wo man hinblickt Streit der Fakultäten, der konkurrierenden Fächer und Personen, überall Hader und auch Häme widerstreitender Netzwerke. Das zu rezensierende Buch, das zweiundfünfzig Beiträge des 5. Internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies (9. bis 13. August 1999 in München) versammelt, gibt auf seinen tausenddreiundzwanzig Seiten von diesen andauernden Auseinandersetzungen kaum ein rechtes Bild. Vielmehr bemüht es sich schon in der "inscriptio" darum, das Forschungsfeld in thematischer Konturlosigkeit einzufrieden. Fächergrenzen werden da mit zwei Worten niedergelegt, sprachlich-topografische Distinktionen aufgehoben und auch ideologische Unterscheidbarkeiten mit der großen Zahl unterschiedlichster Beiträge zum Verschwinden gebracht: "Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik" erklärt die Beliebigkeit zur Tugend und verbindet damit noch einen hohen Anspruch.

Die "emblem studies" dürften sich nicht zur "Hilfswissenschaft" verkleinern lassen, heißt es in der Grußadresse von Wolfgang Harms (4), müssten vielmehr zu den neuen Diskussionen semantischer Phänomene und den Beziehungen zwischen Wort und Bild ihren Teil beitragen. Wie dieser Beitrag aussehen könnte, etwa im Gegensatz oder in Verbindung mit einer synthetisierenden Bildwissenschaft, wird allerdings nirgendwo weiter erläutert. Der Mahnung, vom Positivismus zu lassen, um das Potenzial der Emblematik mit Selbstbewusstsein als Forschungsaufgabe zu vertreten, steht im Buch selbst überwiegend noch die Freude am Besitz und der Weitergabe partikularen Geheimwissens entgegen. Das ist in den jeweiligen Einzelbeiträgen interessant zu verfolgen und hat natürlich auch seine jeweilige wissenschaftliche Berechtigung, dies aber nur für den Leser, der sich mit sehr konkreten Fragen dem Buch nähert, um als Spezialist dann vielleicht den einen oder anderen Aufsatz als Kopie mit nach Hause nehmen zu wollen. Die fehlende thematische Konkretion macht die Anschaffung dieses Sammelbandes für den Hausgebrauch zu einem Unsinn und für Bibliotheken schnell zu einer Zumutung, da das Produkt nach dreimaliger Benutzung vom Buchbinder vor dem gänzlichen Zerfall gerettet werden muss, was den hohen Anschaffungspreis noch einmal verdoppelt, wenn nicht verdreifacht. Die Form des Bandes steht - und soviel ist gewiss - nicht auf der Höhe seines mit dem Druckgewerbe so eng verbundenen Gegenstandes. Und natürlich unterbietet auch die beschämende Buchtechnik die Qualität der wissenschaftlichen Beiträge bei weitem. Egal nun, welcher Autor sich hier angesprochen fühlt, er sollte es bedauern, seine Schätze zwischen solch geschmacklose Pappdeckel begraben zu haben.

Und hier wäre nun länger über das halsabschneiderische Gebaren einschlägiger Verlage zu lamentieren, die es sich systembedingt leisten können, das Billigste als Teuerstes auszugeben, wäre da nicht auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die bedauernswerte Form des Buches Ausdruck des eigentlichen Problems der sich so ambitioniert gebenden "emblem studies" sein könnte. Der Forschungszweig hat offenbar Schwierigkeiten, sich zentral zu verorten und nachhaltig zu legitimieren, ein Umstand, auf den die Reizworte Polyvalenz und Multifunktionalität nachdrücklich hinweisen. Und sollte es in der Absicht der Herausgeber gelegen haben, mit der bewusst unscharfen Thematik den "emblem studies" einen Ort größerer Wirksamkeit zu verleihen und dem Fach eine selbstrechtfertigende Aktualität zuzuschreiben, so wird man leider nicht umhin können, das Scheitern dieses durchaus guten Vorsatzes zu konstatieren.

Da hilft es auch nicht, dass Rüdiger Zymner dem Leser das Emblem als offenes Kunstwerk zu erklären versucht, ein Versuch, der zu Beginn der Konferenz stand und nun am Anfang des Buches steht und sich als einziger Beitrag grundsätzlich an die umstrittene Theorie des Emblems heranwagt. Das ist im Ausgriff mutig und allein deshalb schon begrüßenswert, hinterlässt aber auf der Ebene der Ergebnisse einen zwiespältigen Eindruck. Denn warum sollte man die Ansicht teilen, dass es sich bei jedem einzelnen Emblem um ein Kunstwerk handeln muss, das als "perzeptuelles und ästhetisch strukturiertes Ganzes" verstanden werden will, sich aber gleichwohl "jeder Poetik der Eindeutigkeit entzieht" (21)? Und wieso sollte man der Rätselrede von einem "idealen Rezipienten" des offenen Kunstwerks trauen, also einem stilisierten Betrachter oder Leser, der von Zymner dazu aufgefordert wird, aus der perzeptuellen Einheit der drei Teile (inscriptio, pictura, subscriptio) in seiner Wahrnehmung ein ästhetisches Ganzes zu formen, wenn nur wenig später die Offenheit der Emblemkunst selbst wieder relativiert wird und das gerade mit Hinweis auf eine heteronome Ästhetik? (23) Die seltsam aktivische Vorstellung davon, dass die Text-Bild-Text-Bezugnahme nur als ein ästhetisches Ganzes die reflektierende Urteilskraft auf verallgemeinernde Deutungen hin lenkt, ist neben ihrer praktischen Unverständlichkeit vor allem eins, unoffen gegenüber der theoretischen Möglichkeit, dass Embleme vom "Rezipienten" gerade nicht als Kunstwerke wahrgenommen werden und sich erst recht nicht als ästhetische Erlebnisse realisieren.

Der gerade bei der Wahrnehmung des ästhetischen Ganzen als Autorität beigezogene Wolfgang Harms hatte 1974 vom Fragmentcharakter emblematischer Auslegungen gehandelt und dabei unter anderem den englischen Rollenhagen-Bearbeiter George Wither zitiert, der die nun wirklich künstlerisch zu nennenden Embleme Gabriel Rollenhagens als ein Ding erachtete "for Wittie men to shew Tricks one to another". Ignoranten fehle der Verstand dafür, weise Menschen hätten diese Form des Intelligenzbeweises nicht nötig.[1] Diese Funktionsbestimmung des Emblems, die Harms auch im Buch noch als "the joys of possessing and distributing arcane knowledge" anspricht (4), geht eben nur eine kleinere Gruppe von Menschen etwas an, die "Wittie men", oder wie Harms 1974 sagte, die befähigten, kundigen und wissenden Leser. Das Emblem hält nicht für alle Rezeptionsgruppen etwas Gleichwertiges bereit. Und eben deshalb ist die ästhetische Dimension, die Zymner als offen darzustellen sich bemüht, eher das Gegenteil - nämlich "arcane" und darin dem Satz verpflichtet, dass man nur sieht, was man weiß - also vor allem das, was man sich mühsam erarbeitet hat und als schweres hermeneutisches Gerät an den Gegenstand heranträgt! Die "joys" der Selbstbestätigung erwachsen da nicht aus "ästhetischem" Erleben, sondern aus einer denkerischen Enträtselung der ehemals mit Klugheit verdunkelten Aussagen, also im Sinne Withers aus Wissen und nicht aus Weisheit. In diesem Sinne ist das Emblem unauthentisch und eher empfindungsarm. Mit der Offenheit des Kunstwerks im Sinne Umberto Ecos hat das, nach meinem Dafürhalten, wenig zu tun. Und wirklich konstatiert Zymner dann auch selber, dass die "Offenheit des Emblems von ganz anderer Art" sei "als die Offenheit moderner Kunst." "Das Emblem befindet sich insgesamt auf einem anderen Offenheitsniveau als die programmatisch offene Kunst des 20. Jahrhunderts." (21)

Dass das Emblem aber nichtsdestoweniger und trotzdem noch ein offenes Kunstwerk sei, mag vielleicht der Leser unterschreiben, der die "modernistische" Prämisse teilt, alles könne Kunst sein und zwar auf unterschiedlichen Ebenen auch rezeptiver Offenheit, doch werden alle anderen von der Lektüre ebenda enttäuscht werden und ratlos bleiben, wo ihnen die Rede von der progressiven Ästhetik des Emblems oder das Sprechen von dem ästhetischen Ganzen nicht nachvollziehbar erscheint und ihnen darüber hinaus die Beschwörung eines idealen Betrachters als methodische Zumutung und Nötigung zur Affirmation ins Auge dringt. Während Rüdiger Zymner so den Emblembegriff zu Kongressbeginn mit einer Offenheitsbehauptung in künstlicher Weise einengte, weitete Peter M. Daly (Montreal) den Gegenstandsbereich in seinem Abschlussvortrag dadurch, dass er dort allein von "telling images" sprach, also ganz generell von Wort-Bild- oder Bild-Wort-Verbindungen. Im Buchbeitrag geht es ihm nun um das Nachleben der Embleme in der Werbung und Propaganda. Diese Erweiterung des Arbeitsfeldes überzeugt in methodischer Hinsicht, weil der Begriff Kunst hier als Beschreibungs- und Qualifizierungskriterium vermieden wird und sich die Auseinandersetzung mit Wort-Bild-Synthesen dadurch auf angenehme Weise entschlackt. Doch entgeht Dalys Gegenüberstellung von moderner Werbung und frühneuzeitlicher Emblematik nicht der Gefahr, in den Untiefen der mutwillig vergleichenden Verallgemeinerung stecken zu bleiben: "Not unlike the renaissance emblem, modern symbolic advertising is an exercise in communication and persuasion." (64) Oder: "Advertising, like emblems, is always concerned with communiction and persuasion." (67) Und schließlich: "Today the emblem may be dead as an allegorical form, but some of its modes of communication and persuasion live on in propaganda and advertising." (67)

Während die theoretische Durchdringung der miteinander verglichenen Gegenstände einen auf Grund ihrer Dürftigkeit verwundert zurücklässt, scheint die von Daly vertretene Öffnung der "emblem studies" in die richtige Richtung zu weisen, in eine, die sich anschickt, neue Themenbereiche zu erschließen, ohne sich dabei zu scheuen, in einen engeren Kontakt mit den "cultural" oder "visual studies" einzutreten. Allerdings geht dieser aktualisierende Ansatz, den auch Wolfgang Harms hatte fordern können, in der breiigen Aufteilung der beiden Bände verloren, denn dort wird nach der Eröffnung und den hier kurz referierten Hauptvorträgen zuerst Allgemeines und Regionales thematisiert, dann von den Emblemata politica, Emblemata sacra, Emblemata moralia gehandelt, um schließlich bei Arbeiten zur angewandten Emblematik zu enden. Das Buch ist nicht auf Synthesen hin organisiert, sondern behandelt "Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik" in der größten Ausfächerung, das heißt in der Form historischer Einzelfälle. Und da sind dann auch Beispiele von teils fragwürdigster Relevanz darunter.

In den wenigen misslungenen Beiträgen liest man etwa hybride Aussagen wie den folgenden Satz - ein Satz im Übrigen, dessen banale Haltlosigkeit noch durch eine ganzseitige Illustration dahingehen bebildert wird, dass die Gegenstände, von denen da die Rede ist, gerade nicht zu erkennen sind: "Die Emblemgruppe am Beichtstuhl der katholischen Dreieinigkeitskiche in Goldingen hängt eng mit der weiteren Entwicklung der Gegenreformation im protestantischen Kurland Ende des 17. Jahrhunderts zusammen." [204] Da gerät eine offenbar ins Schwimmen geratene Geschichtsschreibung durch das falsche Gewichten des behandelten Gegenstandes auch noch in provinzielle Schieflage! Und doch ist es lehrsam, dergleichen zu lesen, weil an solchen Interpretationsversuchen deutlicher werden könnte, dass die Forderung Rüdiger Zymners, das jeweilige Text-Bild-Text-Gefüge des "idealtypischen" Emblems in der Wahrnehmung zu einem ästhetischen Ganzen zu formen, praktisch unrealistisch ist. Das wissenschaftliche Bemühen um solche Gegenstände wird eben überwiegend auf einer anderen, nicht ästhetischen Ebene entlohnt. Damit soll allerdings keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass die Forschung auch "Freuden" aus der Bearbeitung solcher Inhalte zu ziehen vermag. Zweifel an der Motivation zur Forschung entstehen nur da, wo die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse dieses geheimen Partikularwissens offenbar nicht mehr gewährleistet werden kann und auch die Theorie des Emblems sich der Aufgabe einer frischen Erweiterung des Arbeitsbereiches nicht mehr gewachsen sieht.

Das Buch "Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik" leidet, und das sei resümierend gesagt, an einem Zuwenig an Theoriebildung und einem Zuviel an kleinteiliger Einzelforschung. Nicht die Qualität der jeweiligen Beiträge ist hier in Abrede zu stellen, sondern allein die mangelnde thematische Zuspitzung, man möchte sagen, die fehlende Disziplin der Veröffentlichung. Und dies bringt mich zum Schluss zu der Frage nach dem Sinn und Zweck der massenhaften Herstellung ausufernder Sammelbände und damit zu einem Problem, das sich vor allem für jüngere Wissenschaftler dringlich stellt, denn die können es sich nicht leisten, ihre neuen Forschungen in papierne Gräber zu legen, die womöglich erst am jüngsten Tag wieder geöffnet werden. Das wissenschaftliche Leben ist zu kurz, um kunstlos bei Peter Lang zu veröffentlichen!

Anmerkung:

[1] Wolfgang Harms, Der Fragmentcharakter emblematischer Auslegungen und die Rolle des Lesers. Gabriel Rollenhagens Epigramme, in: Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Herausgegeben von Martin Bircher und Alois M. Haas. Bern und München: Francke Verlag 1974, 49-64, hier 54 mit Verweis auf George Wither, A Collection of Emblemes, Ancient and Moderne: Quickened With Metricall Illustrations, both Morall and Divine ..., London 1635 [Neudruck 1968], To the Reader, fol. A 1r.

Joseph Imorde