Jörg Rogge: Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; Bd. 49), Stuttgart: Anton Hiersemann 2002, 457 S., ISBN 978-3-7772-0228-0, EUR 144,00
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Jörg Rogge / Markus Meumann (Hgg.): Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006
Jörg Rogge (Hg.): Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter, Affalterbach: Didymos-Verlag 2008
Jörg Rogge: Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006
Die Sorge um den Fortbestand des Geschlechts, um Steigerung von Macht und Ansehen waren bestimmend für adliges Denken und Handeln. Väter waren darauf bedacht, Besitz und Herrschaftsrechte zu bündeln, Söhne drängten auf Teilung und erhoben Anspruch auf selbstständige Herrschaft und Gründung einer eigenen Familie. Zwischen den Versorgungsansprüchen der Kinder und dem Erhalt des Stammgutes die Balance zu finden war nicht leicht, und nicht immer gelang eine konfliktfreie, für alle Beteiligten zufrieden stellende Weitergabe von Besitz- und Herrschaftsrechten.
Nach welchen Regeln die Herrschaftsweitergabe im fürstlichen Hochadel erfolgte, wie familiäre Konflikte geregelt wurden und welche Normen und Wertvorstellungen eine Familie zusammenhielten, ist Thema der Mainzer Habilitationsschrift von Jörg Rogge. Sie greift Fragen auf, die zuvor schon Heinz-Dieter Heimann und Karl-Heinz Spieß gestellt und am Beispiel der wittelsbachischen Pfalzgrafen und des nichtfürstlichen Adels im deutschen Spätmittelalter untersucht haben. [1] Rogge erweitert die bisherigen Forschungsansätze jedoch um eine betont kommunikationstheoretische Zugangsweise, die von der Einsicht ausgeht, dass gesellschaftliche Regelwerke und damit verbundene Verhaltenserwartungen im Wesentlichen durch Kommunikation generiert und verfestigt werden.
Am Beispiel der Wettiner vermag der Autor zu zeigen, wie und unter welchen Bedingungen sich dynastische Ordnungsvorstellungen im späten Mittelalter entwickelten, wie diese zur Stabilisierung fürstlicher Herrschaft beitrugen und welche Folgen sich daraus für einzelne Familienmitglieder ergaben. Er spannt den Bogen von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Trennung der Wettiner in eine ernestinische und eine albertinische Linie im Jahr 1485 und deren Verfestigung unter Kurfürst Friedrich III. (gestorben 1525) und Herzog Georg von Sachsen (gestorben 1539).
Anhand von Familienverträgen, Testamenten und Briefwechseln untersucht Rogge die Kommunikationspraxis der Wettiner. Dabei wird deutlich, welch große Bedeutung die fortwährende Verständigung über handlungsleitende Werte für die Ausbildung familiärer Normen und den Zusammenhalt einer Dynastie hatte.
Im Zentrum des innerdynastischen Diskurses standen zunächst Begriffe wie "Brüderlichkeit", "Gleichheit" oder "Gleichmäßigkeit" als Ausdruck der prinzipiellen Gleichrangigkeit der Wettiner in Erb- und Herrschaftsangelegenheiten. Erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begegnet darüber hinaus auch die Vorstellung von der Dynastie als verhaltensleitender Norm, der sich die Belange des Einzelnen unterzuordnen hatten. Galt bis dahin, "dass jeder einzelne Fürst nach seinen Interessen und Notwendigkeiten agieren sollte, ohne dabei den Nutzen der Dynastie als einer den individuellen Interessen übergeordneten Einheit berücksichtigen zu müssen" (362), so gelang unter den Söhnen Markgraf Friedrichs II. (gestorben 1349) "die sukzessive Einbindung der einzelnen Familienmitglieder in eine dynastische Disziplin", die ganz wesentlich zum Erhalt und zur Ausweitung der wettinischen Machtstellung beitrug (84).
Umsichtig analysiert Rogge die verschiedenen Maßnahmen der Wettiner zur Sicherung des Familienfriedens und der dynastischen Einheit. Er kommt dabei zu einer grundlegenden Neubewertung der wettinischen Teilungspraxis, die das bisherige Bild der Forschung zu großen Teilen als anachronistisch entlarvt (vergleiche etwa 220 mit Anm. 36 oder 224 f. mit Anm. 46).
Rogge kann überdies zeigen, welchen Einfluss die Verwandten, die Räte und seit dem 15. Jahrhundert auch die Ständevertretungen auf die wettinische Familienorganisation ausübten, wie sie zum Fortbestand der Dynastie beitrugen und wie mittels Rollenzuweisungen und Zwang versucht wurde, deviantes Verhalten Einzelner im Namen der Dynastie zu unterbinden. Letzteres gilt sowohl für die Fürstinnen, die bis auf einige wenige richtungsweisende Bemerkungen (350-353) jedoch bewusst aus der Untersuchung ausgeklammert wurden, als auch für die männlichen Familienmitglieder. Vor allem die in der Literatur überwiegend negativ dargestellte Regierung Friedrichs des Friedfertigen (gestorben 1440) erfährt in diesem Zusammenhang eine grundlegende Neuinterpretation (104 ff.) ebenso wie die Person Sigismunds (gestorben 1471), der die ihm auferlegte Rolle als Geistlicher und Bischof von Würzburg nicht akzeptiert habe und deshalb als "einfältig" diskreditiert worden sei (141-157).
Mit der Darstellung des sächsischen Bruderkrieges (168 ff.) gelangen erstmals auch Briefwechsel zwischen den Wettinern ins Blickfeld, die eine noch genauere Analyse der dynastisch-familiären Vorstellungswelt der Fürsten erlauben. Es war bezeichnenderweise der ältere der beiden Brüder, Kurfürst Friedrich II., der sich in dieser Zeit auf das Gesamtinteresse der Dynastie berief, um in die Belange Wilhelms III. eingreifen zu können. Zielte Friedrichs Politik auf die Aufrechterhaltung des landesfürstlichen Primats, so sah sich sein Bruder dadurch genötigt, dem Adel größere Handlungsspielräume zuzugestehen. Hier wird deutlich, wie eng Familienpolitik und landesherrliche Regierungspraxis miteinander verflochten waren. Spätestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts war familiäre Konfliktaustragung "keine alleinige Angelegenheit der Dynastie mehr, [...] sondern eine Angelegenheit von großem Interesse für den Adel und andere Stände des Herrschaftsbereichs" (206).
Eine neue Dimension der Herrschaftsweitergabe kommt in der von Friedrich II. 1459 getroffenen Nachfolgeregelung ins Blickfeld. In ihr wird erstmals eine Primogenitur anvisiert, die sich freilich erst eine Generation später unter Herzog Albrecht (gestorben 1500) durchsetzen kann. Dieser übertrug seinem ältesten Sohn Georg die alleinige Regierung über die wettinischen Lande und erhob damit zugleich das "Haus Sachsen" explizit zum "Angelpunkt des Verhaltens und der Familienorganisation" (259), ein Gedanke, der zunächst nur in der albertinischen Linie der Wettiner weitergeführt wurde, während die Ernestiner ein eigenes, "auf ihr engeres Territorium bezogenes Selbstverständnis entwickelten" (285).
Maßgebend für die nachhaltige Entfremdung beider Linien schon vor der Reformation war, nach Rogge, allerdings nicht die Leipziger Teilung von 1485, sondern der Umgang mit deren Folgen, einer fehlgeleiteten Kommunikation über Ehre und Verfahrensfragen, die Verhandlungen über Sachthemen verhindert habe. Zwar hätte das von den Albertinern immer wieder beschworene "Haus Sachsen" nach Meinung des Autors durchaus als handlungsleitende Idee wirkmächtig werden können, letztlich aber sei es ein "den Linien übergeordnetes gedankliches Konstrukt" (289) geblieben, das dazu gedient habe, die Interessen der albertinischen Seite gegenüber dem Kurfürstentum durchzusetzen. Die zentrale Norm bei der Gestaltung des beiderseitigen Verhältnisses war nicht das "Haus", sondern das Wohlergehen des eigenen Territoriums. Auch wenn Rogge an anderer Stelle schon für das 14. Jahrhundert von einem "entwickelten strategisch-dynastischen Hausdenken" der Wettiner spricht, mit dem diese anderen Fürsten der Zeit voraus gewesen seien (62), so wird man sich künftig doch davor hüten müssen, vorschnell von einem übergreifenden dynastischen Bewusstsein in einer Familie auszugehen.
In einer systematischen Auswertung der zahlreichen Einzelergebnisse werden die beobachteten Verfahren zur Konfliktregelung und Familienorganisation abschließend mit der Praxis anderer Fürstenhäuser (Habsburger, Welfen, Wittelsbacher, Hohenzollern) verglichen und in einen weiteren Kontext eingeordnet. Dass dieser Vergleich auf verhältnismäßig dünnem Eis steht, ist freilich nicht dem Autor anzulasten, sondern als Zeichen dafür zu nehmen, dass hier weitgehend Neuland betreten wurde, das künftig noch weiter erschlossen werden muss. An der Lektüre dieser sowohl für die sächsisch-thüringische Landesgeschichte als auch für die allgemeine Geschichte wichtigen Arbeit wird man dabei nicht vorbeigehen dürfen.
Anmerkung:
[1] Heinz-Dieter Heimann: Hausordnung und Staatsbildung. Innerdynastische Konflikte als Wirkungsfaktoren der Herrschaftsverfestigung bei den wittelsbachischen Rheinpfalzgrafen und den Herzögen von Bayern. Ein Beitrag zum Normenwandel in der Krise des Spätmittelalters (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N.F. 16), Paderborn 1993; Karl-Heinz Spieß: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts. (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 111), Stuttgart 1993.
Mathias Kälble