Marina Frasca-Spada / Nicholas Jardine (eds.): Books and the Sciences in History, Cambridge: Cambridge University Press 2000, 438 S., 89 half-tones, 1 figure, ISBN 978-0-521-65939-0, GBP 18,95
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Die Wissenschaftsgeschichte ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten, gerade in Deutschland häufig unbemerkt vom Mainstream der historischen Forschung, zu einem der innovativsten historiografischen Felder geworden. Sie ist aufgrund ihrer thematischen Zurichtung zum einen in hohem Maße interdisziplinär ausgerichtet, zum anderen methodischer Selbstreflexion nicht nur offen, sondern geradezu verpflichtet. In dieser Entwicklung hat die angelsächsische Forschung stets eine Vorreiterrolle gespielt. Im Gegensatz zu Deutschland wurde die Wissenschaftsgeschichte in England und den USA auch institutionell verankert. Zu diesen Einrichtungen gehört das Departement of History and Philosophy of Science in Cambridge, an dem die beiden Herausgeber des im folgenden anzuzeigenden Sammelbandes, Marina Frasca-Spada und Nick Jardine, arbeiten.
Der epochengeschichtlich übergreifend konzipierte Band umfasst zweiundzwanzig wissenschaftsgeschichtliche Aufsätze, die unterschiedliche Aspekte des Themas Buch und Wissenschaft beleuchten. Der historische Schwerpunkt der meisten Abhandlungen liegt auf der frühen Neuzeit, mithin auf der Zeit, in der sich das gedruckte Buch als dominierendes Speicher- und Kommunikationsmedium im Bereich der Wissenschaft durchsetzt und gleichzeitig einschneidende wissenschaftsgeschichtliche Wandlungsprozesse stattfinden. Sowohl die Buch- als auch die Wissenschaftsgeschichte haben in diesem Zeitalter seit jeher einen ihrer wichtigsten Untersuchungsbereiche gesehen, ohne dass es zu einem nennenswerten Austausch zwischen den Disziplinen gekommen wäre. Diesen Austausch zu organisieren und dabei gleichzeitig für beide Disziplinen neue Perspektiven zu entwickeln, haben sich die Herausgeber und Autoren auf ihre Fahnen geschrieben.
Die Argumentation ist einleuchtend. Die Wissenschaftsgeschichte habe lange Zeit dem Aspekt des Buches als Träger wissenschaftlicher Kommunikation keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie habe - meist unter anachronistischem Rekurs auf ein selbst dem Buchdruckzeitalter zuzurechnendes Autorenkonzept - Ideen zu ihrem Gegenstand gemacht, ohne auf die konkreten Umstände der Produktion, Verbreitung und Distribution von Wissen einzugehen. Erst Bücher jedoch klassifizieren Wissen, rahmen es, kanonisieren es, ermöglichen und beeinflussen Rezeptionszusammenhänge und wirken so gewissermaßen als historisches Apriori der Wissenschaftsgeschichte. Das Buch als Medium wissenschaftsgeschichtlich ernst zu nehmen, ist also die eine Intention, die der Sammelband verfolgt.
Parallel zu dieser mediengeschichtlichen Neubesinnung der Wissenschaftsgeschichte geht es den Herausgebern vice versa aber auch um eine Erweiterung des bislang eng begrenzten Spektrums der Buchgeschichte. Buchgeschichte könne sich nicht auf editorische und bibliografische Aspekte beschränken, sondern müsse sich zu einer Wissenschaft vom Gebrauch und vom Inhalt der Bücher wandeln und als ein konstitutiver Aspekt der Wissenschaftsgeschichte ernst genommen werden, so Frasca-Spada und Jardine. In dieser doppelten Perspektivierung liege das innovative Potenzial des Bandes.
In den jeweils kurz gehaltenen Einzelbeiträgen, die in drei thematischen Blöcken zusammengefasst sind, wird die von den Herausgebern ambitioniert formulierte Aufgabenstellung in unterschiedlicher Weise angegangen. Neben Überblicksdarstellungen zu allgemeinen Themen gibt es Abhandlungen zu Spezialaspekten der Buch- und Wissenschaftsgeschichte. Dieser inhaltlich-methodischen Divergenz entspricht der - von den Herausgebern programmatisch formulierte - Verzicht auf mediengeschichtliche Periodisierungen und epochengeschichtliche Festlegungen. So reicht der erste Block, der den Titel "Triumphs of the books" trägt, vom Manuskriptzeitalter bis zum Barock.
Die Leistung des Buches wird in der ersten acht Aufsätzen unter verschiedenen Aspekten beleuchtet. Im Mittelpunkt des Beitrages von Rosamund McKitterick steht zunächst die Renaissance der klassischen Lektüre- und Lernverfahren in karolingischer Zeit im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Textüberlieferung. In den folgenden sieben Abhandlungen werden dann die Entwicklungen von unterschiedlichen Literaturgattungen, Lektüreverfahren und Darstellungsformen im Zusammenhang mit dem Triumph des gedruckten Buches betrachtet. Jerry Brotton beschreibt anhand der Druckgeschichte der Weltkarte von Hajji Ahmed aus dem Jahre 1560 die interkulturellen Austauschprozesse, aber auch die zunehmenden Brüche zwischen osmanischen und zentral-europäischen Wissensformationen. In der Rekonstruktion einer selbstreflexiven zeitgenössischen Wendung kann er zeigen, dass die zunehmende Marginalisierung des osmanischen Reiches von den Zeitgenossen selbst auf dessen mangelnden technologischen Fortschritt, insbesondere das Fehlen der Drucktechnik, zurückgeführt wurde.
Anthony Grafton rekonstruiert ausgehend von Girolamo Cardanos "Libelli quinque" (1547), einer Sammlung von Geburtshoroskopen bekannter historischer und zeitgenössischer Persönlichkeiten, den Ort astrologischen Wissens innerhalb des gelehrten Diskurses im 16. Jahrhunderts sowie die Lektüre- und Rezeptionsweisen, die sich hier herausbildeten. Auch das Interesse Ann Blairs gilt den wissenschaftlichen Lektürepraktiken. In ihren Ausführungen zu naturphilosophischen Druckwerken der Frühen Neuzeit richtet sie den Blick im Gegensatz zu Grafton allerdings nicht auf von Lesern angefertigte handschriftliche Marginalien, sondern auf die dem Text selbst eigenen paratextuellen Elemente wie zum Beispiel Indizes, Überschriften sowie auf 'loci communes'-Sammlungen, durch die Autoren und Drucker Einfluss auf Rezeptions- und Lektürepraktiken nahmen. Ebenfalls anhand naturphilosophischer Texte beschäftigt sich Sachiko Kusukawa mit der Rolle grafischer Illustrationen und bildlicher Darstellungen innerhalb des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses. Sein Interesse gilt insbesondere dem - weitgehend noch nicht konventionalisierten - 'Gebrauch' von Bildern, wobei er sich auf die Rekonstruktion von Bild-Text-Verhältnissen innerhalb der Druckwerke sowie auf Aussagen von Autoren beschränkt.
Astronomie, Alchemie und exotische Tiere sind die Gegenstände der folgenden drei Aufsätze von Adam Mosley, Lauren Kassell und Silvia De Renzi. Auch hier ergibt sich das jeweilige Erkenntnisinteresse aus der Korrelation der Faktoren Buchproduktion, Herausbildung gattungsspezifischer Darstellungsformen sowie Lektüre- und Rezeptionsweisen. Die Unterschiede in der Herangehensweise ergeben sich aus der jeweiligen Entscheidung, ob das Buch in seiner konkreten Materialität oder der Umgang mit dem Buch - also die Lektüre und Rezeption des Textes - zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht wird. Die Kontextualisierung der vorgestellten Ergebnisse, der Ort der thematisierten Literaturgattungen innerhalb der zeitgenössischen Wissensformationen oder die diskurs- beziehungsweise kommunikationstheoretischen Voraussetzungen der zeitgenössischen textuellen Wissensproduktion werden dagegen kaum ins Auge gefasst.
Dies gilt auch für die folgenden acht, unter der Überschrift "Learned and conversable reading" zusammengefassten Beiträge. Dabei markiert die Überschrift - etwas irreführend - weniger eine neue systematische als vielmehr eine neue chronologische Schwerpunktbildung in der Zeit vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Einheit dieses Untersuchungs-Zeitraums und damit das die Einzelstudien zusammenfassende Paradigma wird durch den von Habermas entlehnten Begriff der 'bürgerlichen Öffentlichkeit' gestiftet. Vor diesem Hintergrund bildet die Frage nach der Popularisierung und Distribution gelehrten Wissens einen roten Faden, der sich durch die meisten der Beiträge zieht. Der Block beginnt mit einem Aufsatz von Marina Frasca-Spada; ihr Interesse gilt der Fußnote im frühen 18. Jahrhundert als einem zunehmend wichtiger werdenden paratextuellen Element innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses. Frasca-Spada zeigt, dass über die Fußnote Intertextualität organisiert wird, ohne die Geltungsansprüche von Aussagen nun nicht mehr durchgesetzt werden können.
Unterschiedliche Fassetten der Wissenszirkulation und Wissensdistribution im Zeitalter der Aufklärung werden dann in den folgenden vier Beiträgen beleuchtet. Es beginnt mit einem Beitrag von William Clark zur Entstehung und zum Ausbau der Forschungsbibliothek im Barock. Clark charakterisiert die frühe Forschungsbibliothek als Mischform zwischen Bücherei, 'Wunderkammer', Museum und Forschungslabor, beschreibt die zeitgenössischen Formen ihrer systematischen Erschließung sowie ihren Wandel vom aufgeklärten Forschungs- zum romantischen Speichermedium zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die bibliothekarische Ordnung des Wissens findet ihre Gegenüber in den großen enzyklopädischen Projekten des Zeitalters, die Richard Yeo anschließend zu seinem Gegenstand macht. Er knüpft dabei an die Überlegungen zur frühneuzeitlichen Wissensordnung durch topische, alphabetische und systematische Modelle an und zeigt, wie sich die Enzyklopädie von der Vorstellung, das gesamte Wissen eines Zeitalters sei repräsentierbar, emanzipiert und zu einer auf dem Gedanken des Wissensfortschritts basierenden Literaturgattung entwickelt. Damit gewinnen die enzyklopädischen Projekte Anschluss an Wissensvorstellungen, die im Kontext der neuen, periodisch erscheinenden Zeitschriften entstanden. Thomas Broman nimmt sich dieses Themas an. Die periodische Literatur beruhe, so Broman, auf dem Ideal der Akkumulation und Erweiterung von Erkenntnis durch Wissenszirkulation. Ihr zentrales Funktionsprinzip ist das der Kritik, aber auch das des Marktes, wie Broman zeigt. An einem konkreten Beispiel, nämlich wiederum dem der Naturphilosophie, beschreibt schließlich Mary Terrall den neuen Zuschnitt, den das Wissen unter den Bedingungen seiner permanenten Zirkulation und Distribution erhält. Im Spannungsfeld zwischen Leser und Autor, Hörer und Vortragenden, Lehrer und Studenten entwickeln sich Konjunkturen respektive, wie die Autorin betont, 'Moden' des Wissens.
Die letzten drei, dem Zeitalter der 'bürgerlichen Öffentlichkeit' gewidmeten Beiträge werfen dann Schlaglichter auf die zeitgenössische Praxis des Lesens und greifen damit wiederum einen zentralen Aspekt der neueren Buchgeschichte auf. Während E.C. Spary eine Form des "Rococo readings of the book of nature" identifiziert, beschreibt Aillen Fyfe in ihrem Aufsatz über "Young readers and the sciences" die frühen Bemühungen um eine altersspezifische Reformulierung wissenschaftlicher Erkenntnisse um 1800 im Kontext der 'Entdeckung' der Kindheit. Der zeitgenössischen Reflexion der Lesepraxis gelten dann die abschließenden Überlegungen von Adrian Johns.
Das Zeitalter der Wissenschaften bildet den Rahmen des dritten, vier Aufsätze umfassenden thematischen Abschnitts des Bandes. Dabei stehen, gewissermaßen der Physiologie des Zeitalters entsprechend, vor allem Dynamisierungs- und Wandlungsprozesse im Mittelpunkt. So konstatiert Jonathan Topham eine "textbook revolution". Seine These, die er vor allem anhand mathematischer Lehrbücher entwickelt, lautet, dass seit dem 19. Jahrhundert wissenschaftliche Publikationen vor allem aus pädagogischen Erwägungen (und nicht mehr dem Gedanken der Repräsentation) heraus konzipiert wurden. Wird hier implizit auf den Gebrauchswert von Wissen - eine Wissenskonzeption, die bekanntlich schon in der Aufklärung entwickelt wurde - abgehoben, so erhält das Postulat des "Useful Knowledge" im Bereich des Kulturtransfers eine explizite konstitutive Bedeutung. Der transatlantische Austausch von Wissen, so Eugenia Roldán Vera, brachte einen bestimmten Typus des Lehrbuchs hervor, der Utilitarität mit einer spezifischen Form der Kompilation verband und dabei nationale Identitäten antizipierte und festschrieb. Während diese Publikationsformen mit einem Verschwinden des Autors verbunden waren, entwickelte sich andererseits eine Tendenz, 'wissenschaftliche Revolutionen' zu personalisieren, indem man den wissenschaftlichen Fortschritt einzelnen 'Heroen' zurechnete. Wie diese 'Erfindung' des modernen Forschertyps auf der Ebene der Editionspraxis vonstatten ging, zeigen Lisa Jardine und Alan Stewart anhand der Editionsgeschichte von Francis Bacon im 19. Jahrhundert. Als "industrial revolution in communication" beschreibt schließlich James Secord die Entwicklungen im Bereich der drucktechnischen Produktion von Texten im 19. Jahrhundert.
Der Band wird durch zwei fundierte und aufschlussreiche Überblicksdarstellungen beschlossen. Nick Jardine gibt einen Einblick in aktuelle Forschungstendenzen in der Buch- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung, und Adrian Johns reflektiert die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des wissenschaftlichen Buches in systematischer Absicht.
Der Band enthält, so lässt sich resümieren, eine Reihe innovativer und sehr interessanter Einzelstudien. Den Herausgebern ist es auch gelungen, einen hohen Grad an innerer Kohärenz herzustellen, sodass der Anspruch, ein Grundlagenwerk zum Zusammenhang von Buch- und Wissensgeschichte vorzulegen, durchaus gerechtfertigt erscheint. Diese Kohärenz ist freilich mit einer thematischen Beschränkung erkauft. Es steht vor allem der Bereich der Naturwissenschaften im Mittelpunkt, während andere Bereiche gerade des frühneuzeitlichen Wissens unterrepräsentiert sind. So ergibt sich in der Gesamtlektüre der Eindruck, dass hier an Vorstellungen wissenschaftsgeschichtlicher Kontinuität und Entwicklung angeknüpft wurde, die in der neueren Wissenschaftsgeschichte mit gutem Grund infrage gestellt wurden. Dieser Eindruck wird noch auf einer anderen Ebene verstärkt. Durch den Fokus auf das Buch werden longue durée-Strukturen in den Mittelpunkt gestellt, während medial-technische und diskursive Brüche kaum eine Rolle spielen. Beschränkt man sich auf ein Medium, in diesem Falle das drucktechnische, so beraubt man sich der Möglichkeit, medial induzierte Kommunikationszusammenhänge übergreifend zu beschreiben und die Funktionen des Buches innerhalb des je zeitspezifischen medialen Gesamtensembles zu beleuchten. Gerade für den Bereich der Naturwissenschaften wurde in jüngerer Zeit die Bedeutung medialer Dispositive und technischer Apparaturen wie zum Beispiel des Fernrohrs oder diverser Messapparaturen herausgearbeitet. Auch die Frage nach dem konkreten Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, beispielsweise innerhalb der wissenschaftlichen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, oder nach den neuen technischen Möglichkeiten der Visualisierung (Fotografie und andere) bedarf weiterer Studien. Der Ort des Buches innerhalb des wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhangs kann von diesen Aspekten nicht unberührt geblieben sein.
Marcus Sandl